Acht Millionen Menschen in Deutschland arbeiten zu Niedriglohnbedingungen. Das sind zehn Prozent der Bevölkerung und fast 20 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung. Damit ist jeder fünfte Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor tätig. Seit 1. Januar 2015 hat er Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro brutto. "Die Politik hat mit dem gesetzlichen Mindestlohn einen ersten Schritt in die richtige Richtung getan. Die Ursachen für Armut und Überschuldung sind damit nicht gelöst", so Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Württemberg. "Mit 8,50 Euro Stundenlohn können viele Menschen nicht auskommen. Eine defekte Waschmaschine, die ersetzt werden muss, kann die finanzielle Katastrophe bedeuten. Prekär Beschäftigte und Arbeitslose geraten schnell in die Überschuldung. Unbedingt notwendig sind weitergehende gesetzliche Regelungen wie einmalige Beihilfen, Equal Pay und unbefristete Arbeitsverträge, was die Lebenssituation von Langzeitarbeitslosen und von Menschen mit prekärer Beschäftigung deutlich verbessert."
Als prekär Beschäftigt gelten Menschen mit Minijobs, befristeten Verträgen, Teilzeitverträgen oder Werkverträgen sowie Leiharbeiter im Niedriglohnbereich. Die prekär beschäftigten Menschen haben oftmals keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, kein Urlaubsgeld, keine Pausenzeiten und erwerben kaum Rentenansprüche. Sie jonglieren mitunter mit mehreren Jobs, und es reicht dennoch nicht zum Leben. Die Beschäftigungsverhältnisse sind in der Regel nicht auf Dauer ausgelegt. Prekäre Beschäftigung und Arbeitslosigkeit wechseln sich ab. "Das ist ungerecht und verletzt die Menschen in ihrer Würde. Menschen ohne Arbeit wollen arbeiten und sich einbringen, dürfen dies aber nicht. Menschen in prekärer Beschäftigung erleben ihre Lage zu Recht als persönliche Abwertung und Geringschätzung ihrer Arbeit. Wo es zu Armut und Überschuldung kommt, fordert die Bibel: Wenn dein Nächster neben dir verarmt und nicht mehr bestehen kann, so sollst du ihn unterstützen (3. Mose 25,35)", sagt Kaufmann. "Unsere diakonische Aufgabe ist es, eine gerechte und solidarische Gesellschaft mitzugestalten. Deshalb treten wir für Menschen in Not ein. Unsere gut ausgebaute Schuldnerberatung ist eine konkrete Unterstützung. Auf politischer Ebene übernehmen wir anwaltschaftliche Funktion: Wir fordern die Politik in puncto prekäre Beschäftigung und Armut mit Nachdruck zum weitergehenden Handeln auf."
Der gesetzliche Mindestlohn muss zum Leben ausreichen. Es gilt, ihn regelmäßig zu überprüfen und anzupassen. Mit 8,50 Euro brutto ist er für Alleinerziehende und Familien mit Kindern nicht existenzsichernd. Sie müssen ihr Einkommen mit Grundsicherungsleistungen aufstocken. Bei Alleinstehenden reicht der Mindestlohn selbst bei Vollzeitbeschäftigung nur bei einer sehr günstigen Miete zum Leben. Die Schuldnerberatung erlebt, dass viele Ratsuchende in prekären Beschäftigungsverhältnissen sogenannte Aufstocker sind. Sie sind trotz Arbeit gezwungen, zusätzliche Sozialleistungen zu beantragen.
Ratsuchende mit niedrigem Einkommen sind in der Regel nicht in der Lage, größere Reparaturen oder notwendige Anschaffungen für den Haushalt (Waschmaschine, Kühlschrank etc.) zu tätigen. Im Eckregelsatz sind beispielsweise Anschaffungen für den Haushalt mit einem niedrigen einstelligen Eurobetrag pro Monat kalkuliert. Das bildet im Ernstfall nur einen Bruchteil der tatsächlichen Kosten ab. Die Ratsuchenden sind gezwungen, Finanzierungsangebote zu nutzen oder Darlehen beim Jobcenter aufzunehmen. Die Rückzahlung sprengt häufig das ohnehin schon knappe Budget. Überschuldung ist oftmals die Folge.
Der Gesetzgeber muss den Mindestlohn regelmäßig so weit anheben, dass eine Vollzeit arbeitende Einzelperson die bei Erwerbstätigkeit nötigen Ausgaben ohne ergänzende Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld II und Wohngeld bestreiten kann. Diese nötigen Ausgaben sind die Aufwendungen für den Lebensunterhalt, Sozialkontakte, die reale durchschnittliche Miete, Heizung und Nebenkosten sowie die üblichen Anschaffungen eines Haushaltes.
Einmalige Beihilfen für langlebige Haushaltsgegenstände sind für Menschen, die Arbeitslosengeld II oder Leistungen nach SGB XII (Sozialhilfe) beziehen, wieder einzuführen. Einmalige Beihilfen bewahren Menschen mit Einkommen auf Hartz-IV-Niveau vor Überschuldung.
Equal-Pay bei Leiharbeitsverhältnissen von Anfang an ist gesetzlich zu verankern. Ausnahmeregelungen und Abweichungen davon sind per Gesetz abzuschaffen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist eine Frage der Gerechtigkeit.
Befristete Arbeitsverträge ohne Sachgrund sind per Gesetz abzuschaffen. Sie stehen dem Anspruch der Menschen auf eine dauerhaft existenzsichernde Lebenssituation entgegen.