„Es muss uns als Gesellschaft und als Kirche aufrütteln, wenn wir sehen, dass immer mehr alte Menschen einsam und isoliert leben, ohne teilzuhaben am gesellschaftlichen Leben, ohne tragfähige Beziehungen,“ so Frank Otfried July im Stuttgarter Wichernhaus, einem Pflegeheim für Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht waren oder auf der Straße lebten. „Ich möchte, dass wir Leben im hohen Alter mit seinen beschwerlichen Seiten nicht weiter ausblenden und verdrängen. Dass wir uns vielmehr dem Alter mit seiner ganzen Verletzlichkeit stellen. Dann werden wir erfahren, wie wertvoll das Leben und wie kostbar menschliche Begegnung ist.“
Generalvikar Clemens Stroppel weist auf die gleichzeitig existenten Gestaltungschancen im Alter hin und bezeichnet es als Herausforderung für die Kirchen, den „neuen und mobilen Senioren Perspektiven für ein geglücktes Altern aus dem Glauben heraus anzubieten“. „Als Kirche muss es uns gelingen, in dieser Lebensphase präsent zu sein. Für viele Menschen birgt die Zeit zwischen Berufstätigkeit und Lebensende die Chance, noch einmal Neues zu erleben und zu erfahren. In gewisser Weise noch einmal ein „neu geboren zu werden“, wie es im Johannesevangelium heißt“. Wer aus der Auferstehungshoffnung heraus Kraft fände, fühle sich zum Altern ermutigt und unternehme es jeden Tag aufs Neue, seine Chancen zu nutzen, seine Zumutungen anzunehmen und seine Erfüllungen auszukosten. Über den klassischen Altennachmittag oder Seniorentanz hinaus sei es Maxime für die Kirche, Rahmenbedingungen und Orte zu schaffen, die Menschen im letzten Lebensabschnitt nicht nur gut versorgen und umsorgen, sondern ihnen, passend zu ihren unterschiedlichen Verfassungen, Möglichkeiten der Beteiligung und Teilhabe offenhalten.
„Würde ist bedingungslos,“ unterstreicht Landesbischof July den Anspruch von Kirche und Gesellschaft. „Denn Gott hat jedem Menschen diese Würde geschenkt. Unabhängig davon, wie alt, wie gesund, wie klug, wie aktiv wir sind. Das gehört zu den Grundlagen unseres christlichen Glaubens und gottseidank auch zu den Grundlagen des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft.“ Er hebt die Relevanz von Pflege hervor. Sie schaffe es, dass Menschen in Würde leben und sterben könnten, auch wenn sie die Norm des juvenilen und fitten Leistungsträgers nicht erfüllten. „Wenn es gelingt, der Pflege insgesamt den gesellschaftlichen Stellenwert zu geben, der ihrer Bedeutung entspricht, dann wird – so meine Hoffnung – auch der Fachkräftemangel in der Pflege zu bewältigen sein.“
In diesem Zusammenhang begrüßt der Rottenburger Generalvikar die geplanten Änderungen beim Pflegeberufsgesetz: „Die Zusammenführung der bisher getrennten Pflegeausbildungen der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege zu einem neuen Pflegeberuf ist die richtige Antwort auf die veränderten Anforderungen, die sich durch die demographischen Veränderungen für das Gesundheitssystem ergeben“. Die Attraktivität des Pflegeberufs werde dadurch gesteigert. Gleichzeitig mahnt Stroppel an, dass ein Alter in Würde nur möglich sei in einer „sorgenden Gemeinschaft der Generationen“.
Die ökumenische Aktion, „Woche für das Leben“ dauert bis zum 16. April 2016 und steht unter dem Motto „Alter in Würde“.
Seit mehr als 20 Jahren steht die „Woche für das Leben“ für den Wert und die Würde des menschlichen Lebens und seinen Schutz in allen Lebensphasen. Sie will auf die vielfältigen Gefährdungen des menschlichen Lebens hinweisen und Menschen in Kirche und Gesellschaft für die Schutzwürdigkeit des Lebens in allen seinen Phasen sensibilisieren. Die „Woche für das Leben“ ist eine gemeinsame Aktion der Katholischen und Evangelischen Kirche in Deutschland. Sie wurde bundesweit am 9. April 2016 im Mainzer Dom eröffnet. Der landesweite Festgottesdienst zum Abschluss der „Woche für das Leben“ findet am Samstag, 16. April 2016, in der Katholische Kirche St. Johannes in Nürtingen statt.