- Statement von Oberkirchenrat Dieter Kaufmann
Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Württemberg
Monat für Monat hören wir Erfolgsmeldungen zur Lage auf dem Arbeitsmarkt. Baden-Württemberg befindet sich mit Bayern in einem ständigen Wettstreit um den Spitzenlatz unter den Bundesländern. Und in Baden-Württemberg steht wiederum der Landkreis Tuttlingen mit seiner Arbeitslosenquote von 2,9 Prozent besonders gut dar gegenüber dem Landesdurchschnitt von 4,0 Prozent. Aber wie es mit den Medaillenrängen und Medaillen so ist: Sie haben stets zwei Seiten.
Für den Arbeitsmarkt bedeutet das, dass wir gegenüber den zunehmenden Zahlen der Erwerbstätigen, der stabilen bis sinkenden Arbeitslosenzahlen eine verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit registrieren müssen. Seit 2011 weist die Diakonie monatlich, wenn die Arbeitsmarktdaten veröffentlicht werden, auf diesen Umstand hin.
Allein die Zahlenreihe für das Jahr 2014 zeigt, dass mit der sinkenden Arbeitslosigkeit der Anteil der Arbeitslosen, die Harz IV beziehen, tendenziell ansteigt. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen insgesamt steigt an, und vor allem die Dauer der Arbeitslosigkeit im SGB-II-Bereich (Hartz IV) steigt an. Die Menschen, denen es jetzt nicht gelungen ist, auf den Zug des Arbeitsmarktes aufzuspringen, diese bleiben zurück, ausgegrenzt, am Rande unserer Gesellschaft, ohne ausreichende Teilhabemöglichkeiten. Das gilt gerade in den Regionen mit einem guten Arbeitsmarkt, für Tuttlingen mit seiner hochspezialisierten Wirtschaft im Medizin- und Technologiesektor, deren Qualifikationsanforderungen die Menschen nach jahrelanger Arbeitslosigkeit nicht mehr gerecht werden können.
Diese Menschen kommen in unsere Beratungsstellen. Wir kennen sie und begleiten sie oft über Jahre, denn auch in Baden-Württemberg beziehen 38 Prozent aller SGB-II-Hilfeempfänger über vier Jahre Hilfe. Das Thema der vererbten Armut, Opfer durch Nähe zu werden, ist für die Menschen, die mit Langzeitarbeitslosen zusammenleben, eine reale Bedrohung.
Wir setzen uns für diese Menschen ein. Nach christlichem Glauben führt der Weg zu Gott zum Mitmenschen, zu unserem Nächsten. Im Falle von Not oder Unrecht können wir nicht die Augen verschließen und gleichgültig sein. Das wäre verantwortungslos. Seit Jahren weisen wir daher auf die Schattenseite des insgesamt positiven Arbeitsmarktes hin. Wir fordern seit Jahren von der Politik eine Wiederbelebung der öffentlich geförderten Beschäftigung. 2012 haben wir die "Initiative Pro Arbeit" mit anderen Verbänden zusammen gegründet und aufgebaut. Die Initiative wirbt bei den politischen Parteien und in den zuständigen Ministerien für öffentlich geförderte Beschäftigung und weist immer wieder darauf hin, dass die Finanzierung von Arbeit statt Arbeitslosigkeit gesellschaftlicher Mehrwert ist. Das bezieht sich nicht nur auf das Geld und die einzusetzenden öffentlichen Mittel, sondern auch auf das Wohlbefinden, die Gesundheit und vor allem auch auf die Teilhabe und Menschenwürde der Menschen, für die der Arbeitsmarkt keinen Platz mehr bietet. Ich halte ausdrücklich fest, dass es nicht allein an den einzelnen Menschen, ihren fehlenden Qualifikationen und Vermittlungshemmnissen liegt, dass sie keine Arbeit mehr bekommen. Die Anforderungen des Arbeitsmarktes werden immer dichter und immer höher. Viele Arbeitsplätze, die früher Menschen mit geringen Qualifikationen und mit persönlichen Einschränkungen zur Verfügung standen, gibt es heute nicht mehr. Der Arbeitsmarkt hat sich von den Menschen entfernt. Die Evangelische Landeskirche und ihre Diakonie stehen für die Unterstützung von sozial schwachen und ausgegrenzten Menschen.
Das Diakonische Werk Württemberg hat ein Förderprogramm für Langzeitarbeitslose ins Leben gerufen, das sowohl einen politischen Impuls als auch ein konkretes Signal gibt: die Beschäftigungsgutscheine für langzeitarbeitslose Menschen.
Die Beschäftigungsgutscheine haben - je nach den individuellen Rahmenbedingungen - einen Gegenwert von 100 bis 500 Euro und gelten für einen Zeitraum von maximal zwölf Monaten. Sofern es durch Kofinanzierungsmöglichkeiten möglich ist, sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu schaffen, können bis zu 500,- Euro eingesetzt werden. Gibt es keine Möglichkeiten der Kofinanzierung, muss der Beschäftigungsgutschein in der Regel auf den Betrag von 100 Euro für die arbeitslose Person beschränkt bleiben. Dieser Betrag ist für Harz-IV-Empfänger anrechnungsfrei.
Die Gemeinden sind von Anfang an der Umsetzung der Beschäftigungsgutscheine beteiligt. Somit werden die Bürger für das Thema und für die Lebenssituation arbeitsloser Menschen stärker sensibilisiert. Die Kirchengemeinden beantragen den Beschäftigungsgutschein für eine arbeitslose Person beim Diakonischen Werk. Auf diesem Weg sind viele positive Kontakte und Gespräche mit Arbeitslosen in den Kirchengemeinden entstanden.
Die Einbeziehung der Gemeinde ist in Tuttlingen in dem Beschäftigungsprojekt "Kleider machen Menschen glücklich" ganz hervorragend gelungen. Und es war nicht nur eine Kooperation von Diakonie und Kirche(-Gemeinde), sondern vom einem weiten Netzwerk aus Kommune, Jobcenter und verschiedenen Verbänden. Das Gemeinwesen unterstützt die am Arbeitsmarkt benachteiligten Menschen. Dieses breite Bündnis hat uns aufmerksam gemacht.
Im Ergebnis hat die Landessynode seit November 2013 insgesamt 1,5 Millionen Euro für die Beschäftigungsgutscheine bewilligt. Davon sind bis heute insgesamt 396 Beschäftigungsmaßnahmen bewilligt. Durch Kofinanzierungen sind 126 umfangreiche bis vollzeitige sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geschaffen worden. Darüber freuen wir uns sehr. Aber natürlich hätten wir gerne noch mehr für unsere Klienten erreicht. Das Ziel, mit den Beschäftigungsgutscheinen über Kofinanzierungen in einem größeren Umfang sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse schaffen zu können, hat sich nicht in vollem Umfang umsetzen lassen, denn bei den Jobcentern gibt es kaum mehr freie Mittel für Beschäftigung schaffende Maßnahmen.
In unserer aktuellen Monatsmeldung haben wir sehr deutlich thematisiert, dass die Mittel für Eingliederungshilfen viel schneller gekürzt werden, als die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit sinkt. Den von Kommunen und Arbeitsagentur gemeinsam getragenen Jobcentern in Baden-Württemberg (33 von 44) wurde im Jahr 2014 ein Gesamtbudget von 336 Millionen Euro zugewiesen. Davon waren 193 Millionen Euro für die Verwaltungskosten und nur 143 Millionen Euro für Eingliederungsmaßnahmen vorgesehen. Zusätzlich wurden von den Eingliederungsmitteln noch 29 Millionen Euro zu den Verwaltungskosten umgeschichtet, wodurch tatsächlich nur noch 114 Millionen Euro für aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung standen. Von diesen Mitteln wurden fast 10 Millionen Euro nicht ausgeschöpft und wieder an den Bund zurückgegeben. Insgesamt sind 26,9 Prozent der Mittel für Eingliederungsleistungen nicht für solche Unterstützungsmaßnahmen ausgegeben worden. Über die rein kommunalen Jobcenter wie Tuttlingen gibt es auf der Bundes- und Landesebene bisher leider keine Zahlen, aber der Trend könnte sehr ähnlich sein. Wir wissen, dass die Jobcenter selbst diese Entwicklung bedauern. Die Mitarbeitenden dort würden selbst gerne mehr Hilfen geben.
Das Förderprogramm der Beschäftigungsgutscheine bestätigt auf der Erfahrungsebene die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, dass die Menschen arbeiten wollen. Die Einzelfälle zeigen, dass es dabei nicht nur um Verdienst und Existenzsicherung geht, sondern dass Arbeit selber eine zentrale Teilhabekategorie ist.
In finanzieller Hinsicht ist die Unterstützung, die wir den Langzeitarbeitslosen über einen Beschäftigungsgutschein anbieten können, eine Geste. Menschlich gesehen ist der Beschäftigungsgutschein in einer Zeit, in der viele langzeitarbeitslose Menschen keine Unterstützung mehr erfahren, ein Signal. Und ein Signal soll es auch an die Politik sein: die Menschen wollen Arbeit, sie brauchen Arbeit - sie brauchen öffentlich geförderte Beschäftigung.