Die Diakonie Württemberg begrüßt das Pflegestärkungsgesetz II und sieht gleichzeitig Handlungsbedarf, unter anderem in der Ausgestaltung und Finanzierung. "Diese zweite Stufe ist ein großer Schritt in die richtige Richtung", stellt Eva-Maria Armbruster fest, Stellvertreterin des Vorstandsvorsitzenden des Diakonischen Werks Württemberg. "Es ist gut, dass der Begriff der Pflegebedürftigkeit neu definiert ist und künftig auch Menschen mit Alltagseinschränkungen, beispielsweise demenzkranke Menschen, Leistungen der Pflegekassen erhalten werden. Das fordern die Diakonie und andere Wohlfahrtsverbände seit Jahren." Bundesgesundheitsminister Gröhe spricht von 500.000 Menschen, die zusätzlich Leistungen erhalten sollen.
Unterfinanzierung
Der erste Teil des Pflegestärkungsgesetzes trat bereits Anfang des Jahres in Kraft. Laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) stehen für die Pflegereformen I und II insgesamt zusätzlich 5 Milliarden Euro zur Verfügung. "Das ist bei weitem nicht ausreichend," so Armbruster. Allein die Mehrausgaben für die Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und damit einhergehende Leistungen im Jahr 2017 kosten rund 3,7 Milliarden Euro. Dazu kommen die Kosten für den Bestandsschutz bis 31.12.2016 plus Kosten für neue Leistungen, denn "Alle, die bereits Leistungen von der Pflegeversicherung erhalten, erhalten diese auch weiterhin mindestens in gleichem Umfang, die allermeisten erhalten sogar deutlich mehr", so die Verlautbarung des BMG.
Steigender Kaufkraftverlust
Die 5 Milliarden Euro des BMG reichen für die Finanzierung der Pflegereform nicht aus. Daraus folgt, dass, wenn mehr Menschen Leistungen erhalten, der Einzelne weniger erhält. Der demografische Wandel wird diese Situation zukünftig verschärfen. Der Kaufkraftverlust seit Bestehen der Pflegeversicherung vor 20 Jahren liegt für die Versicherten bei rund 30 Prozent. Dieser Trend wird sich fortsetzen, wenn die Leistungsansprüche nicht dynamisiert werden.
Im Jahr 2005 kostete ein Pflegeplatz in Pflegestufe 1 in einem beispielhaften Pflegeheim rund 2.500 Euro, im Jahr 2015 bereits rund 3.000 Euro, also etwa 500 Euro mehr. Im gleichen Zeitraum ist der Zuschuss durch die Pflegeversicherung von rund 1.000 Euro auf rund 1.050 Euro gestiegen. Der Pflegebedürftige muss heute also rund 450 Euro mehr zuzahlen.
Die neue Pflegereform nährt diese Tendenz des fortschreitenden Kaufkraftverlusts: Heute gibt es die Pflegestufen I, II, III, künftig die fünf Pflegegrade. Pflegestufe I wird dem Pflegegrad 2 entsprechen, jedoch finanziell geringer ausgestattet sein. Frau Schmidt in Pflegestufe I bekommt heute 1.064 Euro an Zuschuss aus der Pflegeversicherung. Herr Müller wird 2017 genauso pflegebedürftig sein wie Frau Schmidt heute ist. Statt in Pflegestufe I wird er in Pflegegrad 2 kommen. Er wird nur 770 Euro erhalten, also rund 300 Euro weniger als heute in Pflegestufe I. Herr Schmidt wird 300 Euro weniger erhalten plus einen höheren Eigenanteil zahlen müssen. Heute ist die Höhe des Eigenanteils von der Pflegestufe abhängig. Künftig wird der Eigenanteil nach dem Solidaritätsprinzip für die Pflegegrade 2 bis 5 gleich sein. Pflegebedürftige in niedrigeren Pflegegraden zahlen genauso viel zu wie Pflegebedürftige in höheren Pflegegraden. Die niedriger Eingestuften werden demzufolge die Leistungen der höher Eingestuften zu einem Anteil mitfinanzieren.
Die neue Stufe der Pflegereform sieht eine Anpassung der Leistungen erst 2020 vor. Im Zuge der allgemeinen Preissteigerungen müssten auch die Leistungen, d.h. die Zuschüsse der Pflegeversicherung steigen, weil sich sonst der Eigenanteil für Herrn Müller und Frau Schmidt - für die Versicherten - weiter erhöht.
"Ein Gesetz ohne stabile langfristige Finanzierung ist ein Traum auf Papier", so Armbruster. "Deshalb treten wir als Diakonie ein für Beiträge, die im Gleichschritt steigen mit den Qualitätsansprüchen, den Lohnkosten der Beschäftigten und der demografischen Entwicklung. Für die solide Finanzierung der Pflegereform besteht Nachbesserungsbedarf, damit gute Pflege zukunftssicher wird."