Die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft werden nicht müde, auf die Bedeutung frühkindlicher Bildung und damit auf das Fundament für erfolgreiche Bildungsbiografien von Kindern hinzuweisen. Das Bewusstsein für den hohen Stellenwert des Erzieherberufs scheint also vorhanden zu sein, dennoch scheitern die Verantwortlichen bislang daran, den Beruf für junge Menschen attraktiv zu machen und so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Dies lässt darauf schließen, dass bei den Verantwortlichen kein Erkenntnisproblem, sondern eher ein Umsetzungsproblem vorliegt.
An dieser Stelle sei noch einmal konkretisiert, was den Verantwortlichen bewusst zu sein scheint, jedoch nicht der breiten Öffentlichkeit kommuniziert wird: Erzieher/-innen sind Experten für Bildung, Erziehung und Betreuung. Sie begleiten die Kinder auf ihrem Weg zu einer - wie es das Kinder- und Jugendhilfegesetz sagt - eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. In den frühen Jahren eines Kindes stellen sie in enger Zusammenarbeit mit den Eltern die Weichen für das weitere Leben des Kindes und dessen erfolgreiche Bildungsbiografie. Wir dürfen auch nicht vergessen: Kinder sind der wichtigste "Rohstoff" für die Zukunft unseres Landes. In der Kita wird, neben der Ausbildung persönlicher und sozialer Kompetenzen, auch das Fundament für zukünftige Bildungserfolge gelegt. Daher müssen hier Erzieher/-innen mit hoher fachlicher und sozial-emotionaler Kompetenz arbeiten. Erzieher/-innen sind also Experten in Pädagogik und Psychologie, Fachkräfte für Erziehungsfragen, Brückenbauer, Entwicklungsbegleiter, Wegbereiter für die Zukunft, Forscher, Projektleiter aber auch Vertrauensperson und Krisenmanager mit klarem Bildungsauftrag. Erzieherinnen und Erzieher haben einen verantwortungsvollen Beruf. Sie sind mit die wichtigsten Bezugspersonen für Kinder; sie sind Kindern kompetente Berater und authentische Vorbilder, für die Eltern wichtige Bildungspartner.
Dieser Anspruch einer ganzheitlichen Bildung, der auch in den Bildungsplänen der einzelnen Bundesländer festgehalten wurde, stellt eine komplexe Aufgabe dar, auf die in einer fundierten Ausbildung vorbereitet werden muss. Aus dieser Beschreibung geht hervor: Der Beruf Erzieher/-in ist anspruchsvoll und von hohem gesellschaftlichen Stellenwert. Warum gelingt es also den Verantwortlichen immer noch nicht, mehr junge Menschen für diese Tätigkeit zu begeistern? Warum wird die Bedeutung ihrer Bildungsleistung immer noch unterschätzt?
Auf diese Fragen lassen sich klare Antworten finden: Es wurde versäumt, die gestiegenen Anforderungen an die notwendigen Qualifikationen für diesen Beruf sowie seine Bedeutung für die Gesellschaft in der Öffentlichkeit nachhaltig zu kommunizieren. Bis heute hat die Gesellschaft noch zu wenig Sensibilität dafür entwickelt, wie viel Verantwortung die Erzieher/-innen für die maßgebliche Entwicklung und weitere Bildungsbiografie des Kindes tragen: "Die spielen und basteln doch nur mit den Kindern, das kann doch nicht so schwer sein", so die weitläufige Meinung.
Zudem lassen die Rahmenbedingungen für Erzieher/-innen einiges zu wünschen übrig: Schlechte Arbeitsbedingungen wie Gesundheitsbelastung durch Stress, Lärm und rückenbelastende Tätigkeiten, Überforderung durch dauerhafte Unterbesetzung wegen zu dünner Personaldecke, befristete Arbeitsverträge, stark variierende Arbeitszeiten, mangelnde Aufstiegschancen und Entwicklungsmöglichkeiten schrecken viele davon ab, diesen Beruf zu ergreifen. Auch die inklusive Förderung wird das Arbeitsfeld erweitern. Die Gehälter entsprechen nicht der Verantwortung und den Anforderungen an das Berufsbild. Sollten aber gerade die Gestalter und Mitbegleiter der individuellen Bildungsbiografien nicht angemessen bezahlt werden?
Die aufgeführten Gründe haben, neben dem Anstieg der benötigten und auch von der Politik geforderten Krippenplätze, letztendlich zur jetzigen Situation beigetragen: Es herrscht ein Mangel an Fachkräften vor und trotz vollmundiger Bekundungen hinkt der Ausbau der U3-Einrichtungen regional weit hinter dem tatsächlichen Bedarf hinterher. Es fehlen bundesweit nahezu 170 000 Krippenplätze.
Die Politik versucht dem Fachkräftemangel beizukommen, indem sie ihre eigenen, in den Bildungsplänen festgehaltenen Forderungen und per Gesetz garantierten Ansprüche auf einen Krippenplatz konterkariert: Sie ist bereit, eine Abwertung von Standards und eine Verringerung der Qualität frühkindlicher Bildung in Kauf zu nehmen, um eine Klagewelle, die sie auf sich zukommen sieht, abzuwenden. Sie will Arbeitslose in einem "Schnellkurs" zu "Erzieher/-innen-Helfern" ausbilden. Dies erscheint umso absurder, wenn man bedenkt, dass der reguläre Weg einer Erzieher/-innen-Ausbildung eine Ausbildungszeit von vier bis fünf Jahren vorsieht. Auch die vorgeschlagene Reduktion der Ausbildungszeit muss als eine der Komplexität der zu bewältigenden Aufgaben in keinster Weise gerecht werdenden Maßnahme mit Nachdruck zurückgewiesen werden.
Zu dieser Problematik hat eine Arbeitsgruppe des Bundesfamilienministeriums, der unter anderem Vertreterinnen und Vertreter aller Bundesländer, des Familien- und Bildungsministeriums, der Bundesanstalt für Arbeit, der Gewerkschaften, der Fachschulverbände, der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege und der KTK als Fachverband des Deutschen Caritasverbandes angehören, mit den "Empfehlungen zur Fachkräftegewinnung in der Kinderbetreuung" ein durchaus beachtenswertes Arbeitspapier erstellt. Maßnahmen aus dem Arbeitspapier, die kurzfristig Erfolg versprechen könnten, sind:
- Erhöhung der Stundenzahl bei Teilzeitbeschäftigten
- Rückgewinnung von Fach-und Assistenzkräften, die aus dem Beruf ausgestiegen sind
- eine duale Ausbildung der Berufsanfänger
- eine berufsbegleitende neunmonatige Ausbildung für berufsnahe Quereinsteiger, die bereits eine mindestens zweijährige Berufsausbildung vorweisen können
- neunmonatige Zertifikatskurse für Kinderpfleger/-innen zu Erzieher/-innen
Doch auch dieses Papier lässt wichtige Fragen offen: Warum arbeiten so viele Erzieher/-innen nach einer langen Ausbildung in Teilzeit? Worin liegen die Gründe für den Ausstieg der Fachkräfte aus dem Berufsfeld der Erzieher/-innen? Wie gewährleisten die Träger zusätzliche Verfügungszeit und Qualifikation von Ausbildern? Wie sichern die Fachschulen die Kompetenz des Lehrpersonals? Welche Perspektiven und Entwicklungschancen bieten sich Quereinsteigern?
Es wird deutlich: Die Vorschläge der Arbeitsgruppe gehen von einem positiv besetzten Berufsbild aus. Das entspricht jedoch nicht der Realität. Denn sonst müsste wohl kaum über den Fachkräftemangel in der Kita gesprochen werden. Das negative Berufsbild ist nicht allein für den Fachkräftemangel verantwortlich.
Zur Beseitigung des Fachkräftemangels müssen daher auch grundlegende Strukturreformen Einzug halten. Wir fordern von den Bildungsverantwortlichen in Politik und Gesellschaft die Aufwertung des Berufsbildes in der Öffentlichkeit und eine leistungsgerechte, der Verantwortung entsprechende Bezahlung. Außerdem müssen die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Dazu zählen:
- die Personalschlüssel müssen angehoben und verlässliche Arbeitszeiten möglich gemacht werden,
- in den Kitas muss ein Gesundheitsmanagement eingeführt und etabliert werden , das auf die besonderen Bedingungen in der Kita reagiert,
- die Ausbildung muss reformiert und bessere Qualifikations- und Fortbildungsmöglichkeiten geboten werden,
- die gestiegenen Anforderungen an die Kita muss mit einer Anpassung der Räumlichkeiten und Materialien einhergehen. Kinder als auch Erzieher/-innen benötigen räumliche Ausstattungen und pädagogisch-didaktische Materialien, die diesen Anforderungen entsprechen.
Nur durch die tatsächliche Verbesserung dieser Rahmenbedingungen kann die Bildungsqualität gesichert und der Beruf Erzieher/-in zukunftsfähig und attraktiv für junge Menschen werden. Nehmen wir alle unsere Verantwortung wahr für die "Diamanten" der Zukunft!
Die Mitglieder des Ausschusses Frühe Bildung im Didacta Verband