Sicherlich trägt gesundheitliches Wohlbefinden wesentlich zur unserer Zufriedenheit bei. Man möchte nach allgemeinem Verständnis gesund sein, oder zumindest nicht krank.
Nun unterliegt aber gerade das Thema Gesundheit einer ständigen Entwicklung. Stetiger Erkenntniszuwachs führt zu Änderungen in der Beurteilung, welches Verhalten gesund, welche Grenzwerte akzeptabel, welche Behandlungsmethode Erfolg versprechend ist. Hier spielen gesellschaftliche Entwicklungen ebenso eine Rolle wie kulturelle Unterschiede.
Unbestritten ist dabei, dass die Blickrichtung im Allgemeinen in Richtung Entstehung und Entwicklung von Krankheit geht. Dies wird mit dem Fachausdruck Pathogenese ausgedrückt.
Der israelisch-amerikanische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky (1923–1994) entwickelte demgegenüber ein System, das die Gesundheit des Menschen in den Mittelpunkt stellt und diese als Prozess beschreibt. Der entsprechende Fachausdruck lautet Salutogenese
Antonovsky verwendet das Bild des in einem Fluss schwimmenden Menschen, der allen möglichen Gefahren durch Stromschnellen oder andere Hindernisse ausgesetzt ist. Während beim pathogenetischen Ansatz der Mensch quasi aus dem Fluss gerettet werden soll, ist aus salutogenetischer Sicht das Stärken der eigenen Ressourcen zum Schwimmen im Fluss maßgebend. Dies beruht auf der Annahme, dass ein eindeutig zu definierender Zustand der Gesundheit gar nicht erreicht werden kann. Sicher kennen auch Sie den Spruch „Niemand ist gesund, er ist nur noch nicht gründlich genug untersucht": Krankheit und Gesundheit kommen stets gleichzeitig vor. Es geht nicht darum, dass der „kranke" Mensch gesund wird, sondern der Mensch bewegt sich zwischen den Polen Krankheit und Gesundheit.
„Das Gefühl von Gesundheit erwirbt man sich nur durch Krankheit"
Georg Christoph Lichtenberg
Die Salutogenese wird nicht im Gegensatz zur Pathogenese gesehen, sondern vielmehr wird beides als sich ergänzend betrachtet. Allerdings richtet die Pathogenese ihren Fokus auf die Krankheit, während die Salutogenese auf die Gesundheit ausgerichtet ist. Wie die neuere Hirnforschung bestätigt, spielt jedoch der
Blickwinkel eine wesentliche Rolle, den ein Mensch auf eine „Tatsache" einnimmt. Über die Bewertung einer Situation wird der weitere Umgang mit dieser gesteuert.
Ein Mensch, der sich seiner Ressourcen – oder auch Handlungsmöglichkeiten – bewusst ist, kann mit einer Beeinträchtigung aktiver umgehen. Diesen Ansatz finden wir auch bei Albert Bandura, einem kanadischen Psychologen, der das Konzept der „Selbstwirksamkeit bzw. der Selbstwirksamkeitserwartung" (self-efficacy) in den 1980er Jahren entwickelte. Dabei geht er davon aus, dass ein Mensch, der an sich und seine Kompetenz glaubt, auch erwartet, aus sich heraus etwas be-wirken zu können. Dieser Mensch ist sich sicher, auch in schwierigen Situationen handlungsfähig zu bleiben und fühlt sich nicht ausgeliefert.
„Unter Gesundheit verstehe ich nicht ‚Frei sein von Beeinträchtigungen’ sondern die Kraft, mit ihnen zu leben" Johann Wolfgang von Goethe
Diese menschlich-psychische Dimension ist es, um die Antonovsky den gängigen Reparaturansatz medizinischen Handelns ergänzt. Jeder Mensch hat eine Sicht auf seine Gesundheit oder Krankheit, die davon bestimmt ist, inwieweit er seine Situation versteht, seine Möglichkeiten einschätzt, diese zu bewältigen und inwieweit er in ihr einen Sinn sieht. Antonovsky fasst dies unter dem Begriff des Kohärenzgefühls (sense of coherence SOC) zusammen.
Gerade der Aspekt der Sinnhaftigkeit findet sich ja auch bei der Logotherapie Viktor Frankls, dem Begründer der „Dritten Schule der Wiener Psychotherapie" (neben den Schulen Sigmund Freuds und Alfred Adlers). Frankl geht davon aus, dass jeder in seinem Leben nach Sinn strebt. Fehlt dieser Sinn, können psychische Erkrankungen die Folge sein.
Ebenso lassen sich bei dem Kohärenzgefühl von Antonovsky Verbindungen zum Gemeinschaftsgefühl der Individualpsychologie erkennen. Wie weit fühlt ein Mensch sich seiner Umgebung und seinen Mitmenschen zugehörig und verbunden, wobei stärkere Verbundenheit in der Regel gesundheitlich positiv wirkt.
In der westlichen Gesellschaft wird eine Trennung von körperlichem und geistigem Wohlbefinden gelebt, die es so in anderen Kulturen nicht gibt. Der naturwissenschaftliche Ansatz führt dazu, dass die Behebung von Krankheit als ein eher technischer Vorgang betrachtet wird. Aber ein gebrochenes Bein ist eben mehr als nur zwei Knochenteile, die sachgemäß zusammengefügt werden müssen. Dies ist ein – sicherlich sehr wichtiger – Aspekt, aber ebenso wichtig ist es, dass der Patient in dieser Situation Zuspruch und Ermutigung erhält, insbesondere im Hinblick darauf, welche eigenen Ressourcen ihm zur Bewältigung seiner misslichen Lage zur Verfügung stehen.
Zwar wird immer mehr darauf hingewiesen, wie wichtig die Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist, in der Praxis wird jedoch im Wesentlichen darauf geachtet, was seitens der Kranken(!)-kassen als abrechnungsfähig anerkannt wird – und dazu zählt viel zu wenig das eingehende Gespräch mit dem Patienten.
„Ärzte verabreichen Medikamente, von denen sie sehr wenig wissen, an Kranke, von denen sie noch weniger wissen, um Krankheiten zu heilen, von denen sie gar nichts wissen." Voltaire
Für eine alternde Gesellschaft ergibt sich daraus ein immer stärker werdendes Problem. Eine ständig steigende Zahl an Menschen wird in einem Zustand leben, der nicht dem allgemeinen Verständnis von gesund sein entspricht. Und die ständige Vorstellung krank zu sein, wirkt in unserem Gehirn wie eine Rückkopplungsschleife negativ verstärkend.
Hier kann der Gedankenansatz der Salutogenese entlastend wirken: Wir verfügen über eigene Ressourcen, die uns helfen, Hindernisse im ‚Fluss des Lebens’ zu bewältigen.
Sinnvoll ist dabei, seine Ressourcen nicht erst dann abrufen zu wollen, wenn eine Krankheit diagnostiziert wurde. Jeder kann sich beobachten, wie er im alltäglichen Leben mit seinen „Wehwehchen" umgeht. Im Sinne lebensstiltypischen Verhaltens lässt dies dann schon Rückschlüsse auf das Verhalten bei ernsthaften Gesundheitsproblemen zu. Ebenso sinnvoll ist, sich darüber zu informieren, wie Gesundheit erhalten werden kann, bzw. einmal gedanklich durchzuspielen, was wäre, wenn man über einen längeren Zeitraum, z.B. aufgrund eines Beinbruches, außer Gefecht gesetzt wäre.
Eine schwierige Situation gedanklich schon einmal erfolgreich durchgespielt zu haben, hilft bei ihrer Bewältigung, wenn sie in der Realität eintritt. Dies kennen wir im Coaching bereits als worst-case-Betrachtung.
Nutzen Sie auch das Gespräch mit Ihrem Coach für dieses Thema. Es trägt dazu bei, sich Ihrer Ressourcen bewusst zu werden, mit denen Sie schwierige Situation bewältigen können..
In Abwandlung des Satzes „Erfolg ist, wenn Vorbereitung auf Chance trifft" könnte man sagen „Wenn Unglück auf Vorbereitung trifft, erhöhen sich Ihre Bewältigungschancen"
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