Von Stephan Josef Dick auf Anregung von Ralf Senftleben
Wenn ich ehrlich bin, dann muss ich zugeben: Ich kenne mich einfach nicht mehr aus mit dem Teil da oben, dem Gehirn meine ich. Ich muss mal eine Beschwerde beim Hersteller einreichen! Da hat man mir so ein gigantisches Teil mitgegeben und erst nach mehr als 50 Jahren unterschiedlichster Lebens- und Nutzungsphasen komme ich dahinter:
Mir fehlt offensichtlich eine Gebrauchsanleitung.
- Es sagt mir häufig: „Dies oder jenes musst du unbedingt haben“ – obwohl die wenigsten Dinge, die ich in den letzten 50 Jahren dann gehabt habe, mich auch nur ein Stück glücklicher, lebensfroher oder lebendiger gemacht haben.
- Es präsentiert mir Sorgen um meine Partnerschaft, die Familie, das Geld, die Arbeit usw. und ich hab festgestellt, diese Dinge treten gar nicht ein.
- Wenn ich jemand treffe, dann sagt es mir nach wenigen Augenblicken, ob mir dieser Typ sympathisch ist oder nicht und ob ich mehr Aufmerksamkeit für die Person haben darf oder nicht – und weil ich nicht immer sofort tue, was mein Kopf meint, hab ich bemerkt, dass das wirklich völliger Quatsch ist und sogar die scheinbar schlimmsten Typen meist ganz ok sind – ja manchmal sogar echte Freunde werden können.
- Zu einer Sache oder einem Vorgang präsentiert mir mein Gehirn – und stellt euch das mal vor – sogar ungefragt Meinungen in einer Selbstsicherheit, auch dann, wenn ich wirklich wenig Ahnung davon habe. Und dann erwische ich mich auch noch dabei, darüber zu reden – wie peinlich ist das denn.
- Ja und seine Meinung zu mir selbst – die ist ein echter Hammer. Es sagt mir ständig, was ich alles nicht geschafft habe und warum es wieder an mir lag, dass es jetzt noch nicht gut genug ist – und ich gestehe, ich hab mal die Anderen um mich herum gefragt, die sehen das wirklich komplett anders und ich neige jetzt dazu, denen recht zu geben mehr zu glauben.
- Und dann gibt es immer mal wieder Situationen, in denen es mich „Rot“ sehen lässt und ich sofort draufhauen oder abhauen soll. Offensichtlich ein Teil meines Hirns aus der Steinzeit das mir suggeriert, dass es hier richtig gefährlich ist – und ich sags euch, in den ganzen 50 Jahren hat mich noch keiner (außer meine Mutter) verprügelt oder mich mit einer Keule oder einem Messer bedroht.
Wenn ich mal nicht weiter weiß und frustriert bin, weil etwas, was mir wirklich wichtig war ganz dumm gelaufen ist. Dann wird es obendrauf noch richtig kreativ. Es lässt sich dann andere Ereignisse einfallen, schnappt Worte, kleine Handlungen oder Gedankenfetzen auf, kombiniert diese und erfindet ein echtes Horrorszenario, wie schlimm es in Wirklichkeit ist. Das ganze macht es so realistisch, dass ich mir absolut sicher bin, es „erst jetzt“ wirklich ganz richtig zu sehen. Als Krönung dieser großartigen Hirnleistung fordert es mich dann noch dazu auf, mich entweder abzuschotten und mich stundenlang, ja manchmal sogar viele Tage im Selbstmittleid zu baden – oder – die Sache jetzt endlich zu beenden und alles kaputt zuschlagen.
Und tatsächlich, egal welchen der beiden scheinbar einzigen Möglichkeiten ich folge, dieses kreative Unglück nimmt dann gar kein Ende und ist insbesondere für mein Umfeld mehr als eine Zumutung.
Und da ich ja schon länger misstrauisch bin hab ich mich in letzter Zeit getraut, meine Horrorgeschichten mit den Beteiligten abzugleichen und kann daher mit Sicherheit sagen: Das Allermeiste was mir mein Hirn da zusammenbraut ist schlichtweg gelogen – und wie häufig bin ich drauf reingefallen.
Was soll ich also mit solch einem mächtigen Werkzeug wie meinem Gehirn machen, wenn ich keine Gebrauchsanleitung dafür habe?
Und ich hab viele gefragt und keiner konnte mir eine geben!
Dann schreib ich halt selber eine – hab ich mir gedacht – sie mag noch stümperhaft sein, aber besser eine unfertige und unvollständige Gebrauchsanleitung als gar keine.
Wer sie haben möchte, einfach eine Mail an stephan-josef@wertschaetzer.com