Wer schreibt, der bleibt?
Mit der Einführung der Diagnosis Related Groups (DRG) in Deutschland im Jahre 2003 haben Klassifikationen in der stationären Versorgung einen völlig neuen Stellenwert erhalten. Eine ähnliche Schwelle steht dem ambulanten Sektor 2009 mit der Einführung der morbiditätsorientierten Regelleistungsvolumina bevor. Die weiter steigende Bedeutung der medizinischen Klassifikationen in Deutschland ist Grund genug, darauf in zwei Schwerpunktheften des Bundesgesundheitsblattes einzugehen.
Im Juli-Heft: Pflicht oder Chance?
„Menschen werden mit der Fähigkeit zur Gestalterkennung, zur Klassifikation geboren.“ Der ehemalige Direktor des Zentrums der Medizinischen Informatik des Frankfurter Universitätsklinikums geht zurück bis auf die philosophischen Aspekte der Klassifikation bei Aristoteles und gibt auf Basis seiner über 40-jährigen Praxis Empfehlungen für die Zukunft, um „von der Fron des Klassifizierenmüssens“ zu befreien.
Eindrucksvoll ist die über 100-jährige Geschichte der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD). Im Beitrag von Robert Jakob wird deutlich, dass die allseits bekannte ICD jedoch nur ein Pfeiler des Systems der Internationalen Klassifikationen ist, für das die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verantwortlich zeichnet.
Bernd Graubner überblickt in Göttingen seit Jahrzehnten die Entwicklungen der Klassifikationen in Deutschland. Seine Arbeit dokumentiert die Geschichte der „ICD-10-GM“, der German Modification, die das DIMDI zur Einführung der DRG herausgegeben hat, und des Operationenschlüssels (OPS), der schon die Sonderentgelte und Fallpauschalen in den 90er Jahren unterstützt hat.
Der OPS ist jedoch mittlerweile ausgereizt und nur noch schwer zu pflegen. Albrecht Zaiß untersucht daher die vielversprechende französische Classification Commune des Actes Médicaux (CCAM) auf ihre Einsatzfähigkeit in Deutschland.
Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) ist die jüngste der WHO-Referenzklassifikationen. 2001 von der World Health Assembly verabschiedet, spielt sie in Deutschland bisher noch keine herausragende Rolle. Thomas Ewert und Gerold Stucki vom ICF Research Branch des deutschen WHO-Kooperationszentrums stellen diese Klassifikation näher vor.
Die Todesursachenkodierung und die DRG-gerechte Kodierung verlangen heute profunde Kenntnisse eines schwierigen Regelwerkes und medizinisches Hintergrundwissen. Die WHO-Kooperationszentren streben daher eine Aufwertung der Kodierberufe an und wollen die Qualität über einheitliche Ausbildungsanforderungen sichern. Stefanie Weber vom DIMDI stellt die aktuellen Entwicklungen aus ihrer Tätigkeit im Education Committee der WHO-Kooperationszentren vor.
Die Todesursachenstatistik auf der Grundlage der ICD ist die älteste und längste Zeitreihe der Medizinalstatistik. Im Beitrag von Torsten Schelhase und Stefanie Weber wird deutlich, dass auch hier die moderne Informationstechnik Optionen eröffnet, die Qualität weiter zu verbessern.
Im August-Heft: Vom Nutzen der Pflicht
Diagnosen als Gegenstand der Versorgungsforschung: Mit seinem Beitrag zeigt Gerhard Brenner vom Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (ZI), dass die ICD-kodierten ambulanten Diagnosen offenbar nicht nur Transparenz bei der Abrechnung schaffen, sondern auch epidemiologischen Wert haben.
Natürlich stellt sich die Frage nach der Qualität dieser Daten – eine Studie dazu hat das Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin durchgeführt. Klaus Giersiepen stellt die Ergebnisse vor. Gerade bei der Abrechnung im ambulanten Bereich ab 2009 wird der Kodierqualität erhebliche Bedeutung zukommen.
Der stationäre Sektor ist schon auf dem praktischen Weg: Die Einführungsphase der DRG neigt sich dem Ende zu: 2009 ist die Konvergenzphase abgeschlossen, und das System wird endgültig „scharf geschaltet“. Jürgen Stausberg untersucht in seinem Beitrag die Kodierqualität in den deutschen Krankenhäusern.
Auch aus den DRG-Daten lässt sich mehr gewinnen als nur ein Abrechnungsdatensatz. Stefan Müller-Bergfort stellt die umfangreiche Datensammlung des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) vor – und weist uns gleichzeitig auf seine eingeschränkte Verfügbarkeit hin.
Sollen Klassifikationen das medizinische Geschehen in der Versorgung realistisch abbilden, so müssen sie ständig an den medizinischen Fortschritt angepasst werden. In ihrem Beitrag stellt Birgit Krause das offizielle jährliche Pflegeverfahren des DIMDI für die ICD-10-GM und den OPS vor.
Medizinische Statistiken werden erst möglich durch die Verdichtungsprozesse in den Klassifikationen. In ihrer Betrachtung der unterschiedlichen Indikatorensätze für die Gesundheitsberichterstattung stellt Doris Bardehle den dringenden Vereinheitlichungsbedarf dar und weist auf mögliche Diskrepanzen statistischer Kennwerte hin.
Auch die Kodierung von Diagnosen und Prozeduren sind Teil einer Vielzahl von administrativen Tätigkeiten bei Krankenhausärzten. Seit langem strebt die medizinische Dokumentation danach, die primäre Information mittels einer Terminologie zu erfassen, um schließlich über die Abbildung auf Klassifikationen automatisch zu klassieren. Josef Ingenerf stellt das Thema plastisch vor.
Das Bundesgesundheitsblatt wird herausgegeben von den Bundesinstituten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Das Robert-Koch-Institut in Berlin ist Sitz der Redaktion. Die Monatszeitschrift ist über den Buchhandel erhältlich oder direkt beim Verlag (SDC-journals@springer-sbm.com).
Ergänzende Informationen auf unserer Website
- Klassifikationen beim DIMDI
Weitere Informationen im Web
- Bundesgesundheitsblatt