Strom und Biodiversität auf der gleichen Fläche? Gut geplante Solarparks können hier einen wertvollen Beitrag leisten und die Artenvielfalt erhöhen. Agri-Photovoltaik zählt deshalb zu den wichtigsten Themen, die vom 12. bis 15. November auf der EnergyDecentral 2024 in Hannover diskutiert werden. Moderne Modulbeständerungssysteme mit speziellen Paneelen machen es möglich, auf landwirtschaftlichen Flächen gleichzeitig Nutzpflanzen anzubauen und nachhaltigen Strom zu produzieren.
Wenn vom 12. bis 15. November auf der EnergyDecentral 2024 in Hannover diskutiert wird, wie eine zukunftsfähige Landwirtschaft aussehen kann, dürfte immer wieder ein Begriff fallen: Agri-Photovoltaik, kurz Agri-PV. „Gemeint sind damit Flächen, die sich sowohl landwirtschaftlich als auch für die solare Stromerzeugung nutzen lassen“, erläutert Marcus Vagt, Projektleiter bei der DLG Service GmbH. Die ambitionierten deutschen Klimaschutzziele ließen sich nur erreichen, wenn „wir die gesamte Vielfalt der Photovoltaik-Technologien in den Blick nehmen und deren Ausbau vorantreiben“, so Vagt. Eine Auffassung, die auch das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE teilt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Freiburg schätzen die installierbare Leistung hierzulande allein für hoch aufgeständerte Agri-PV auf etwa 1.700 Gigawatt. Rund vier Prozent der deutschen Agrarflächen würden demnach rein rechnerisch ausreichen, um den aktuellen Strombedarf in Deutschland zu decken.
Solarstrom vom Acker
Die hoch aufgeständerten Systeme dürften sich laut Experten aufgrund ihrer Höhe von vier bis sechs Metern vorzugsweise bei schattentoleranten Kulturen durchsetzen, wo aktuell Hagelschutznetze oder Schutzfolien zum Einsatz kommen. Mit ihren semitransparenten Modulen bieten sie genügend Licht für die Photosynthese. Ein weiterer Vorteil der Anlagen: „Kulturpflanzen profitieren von dem Schutz der Solarmodule“, erklärt Jun.-Prof. Dr. Andreas Schweiger. Er leitet das Forschungsprojekt »SynAgri-PV« an der Universität Hohenheim, welches die pflanzenökologischen Aspekte von Agri-PV Systemen untersucht. „Viele Pflanzen beginnen im Schatten, das Wachstum des oberirdischen, photosynthetisch aktiven Blattmaterials zu erhöhen. Interessant ist dies beispielsweise bei Salat, da dieser Teil der Pflanzen von wirtschaftlichem Interesse ist“, erklärt Lisa Pataczek, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projektteam.
Allerdings falle dieses Potenzial je nach den klimatischen Bedingungen unterschiedlich aus und hänge von den Pflanzen ab, die in derartigen dualen Landnutzungssystemen angebaut werden. „Die meisten der bislang untersuchten Kulturen tolerieren eine Beschattung bis zu 15 Prozent ohne nennenswerte Ertragseinbußen“, betont Schweiger. Beeren, Obst und Fruchtgemüse etwa profitieren von einer Beschattung, während die Erträge von Futterpflanzen, Knollen- und Hackfrüchte sowie der meisten Getreidearten darunter minimal leiden. Stärkere Ertragseinbußen dagegen verzeichnen Mais, Ackerbohnen, Soja und Lupinen.
Mehrwert im Klimawandel und Nachführsysteme, die dem Lauf der Sonne folgen
Doch diese Form der Energieerzeugung kann noch mehr. Pataczek: „Bei Wasserknappheit profitieren die Pflanzen von der geringeren Verdunstung und damit einem geringeren Wasserverlust: Der Ertrag ist höher als auf den unbeschatteten Flächen.“ Aus Sicht der Forschenden macht diese stabilisierende Wirkung auf die Ernteerträge die Agri-Photovoltaik zu einer vielversprechenden Option in trockenheitsanfälligen Gegenden. „Die Technologie trägt nicht nur dazu bei, die Auswirkungen des Klimawandels in bereits als trocken eingestuften Regionen abzuschwächen“, fährt Andreas Schweiger fort. „Sie wird vor allem für Regionen von Bedeutung sein, die in Zukunft mit einer zunehmenden Wasserknappheit konfrontiert sein werden.“
Auf der EnergyDecentral 2024 zeigen die Aussteller eine Vielzahl standardisierter Lösungen, bestehend aus Photovoltaikmodulen, Befestigungsstrukturen sowie Betriebs- und Wartungssystemen, die sich an die Bedürfnisse verschiedener Kulturen in unterschiedlichen Klimazonen und Landschaften anpassen lassen. Im Gegensatz zu herkömmlichen monokristallinen Modulen, die statisch zum Himmel ausgerichtet sind, wandeln vertikal installierte bifaziale Module auch direkte Sonneneinstrahlung auf der Rückseite in Strom um. Branchenanalysten gehen davon aus, dass sich auf den Ackerflächen langfristig vertikale Konzepte und bewegliche Solar-Tracker durchsetzen werden. Letztere steuern die Solarpanels dynamisch, sodass sie sich immer im optimalen Winkel zur Sonne hin ausrichten. Die Fläche direkt unter dem Tracker kann genutzt werden, um die Artenvielfalt zu fördern, beispielsweise indem ein Blumenstreifen gepflanzt wird.
Optimaler Ertrag durch Deep Learning
„Gerade in der Agri-Photovoltaik mit ihren vielen unterschiedlichen Kulturen und Systemen sehen wir ein großes Potenzial für nachgeführte Anlagen, deren Tracking-Algorithmus perfekt abgestimmt ist“, sagt Hannes Elsen, Produktmanager bei Zimmermann PV. Im Forschungsprojekt »DeepTrack« baute das Unternehmen aus Eberhardzell deshalb eine nachgeführte PV-Anlage auf das Testfeld des Fraunhofer ISE in Freiburg. Das Projektkonsortium entwickelte darauf basierend einen Digitalen Zwilling, der dank Deep Learning Überwachungs- und Modellierungstools mit Wetterprognosen koppelt.
„In einem ersten Schritt haben wir so Steuerungsabläufe entwickelt, die auf den optimalen Stromertrag bifazialer Solarmodule ausgerichtet waren oder genau auf die Bedürfnisse einer bestimmten Pflanze unter Agri-Photovoltaik“, erklärt Dr. Matthew Berwind, Teamleiter am Fraunhofer ISE. Der nächste Schritt besteht nun darin, die beiden Ansätze zu kombinieren. „Diesen Sweet Spot zu berechnen ist herausfordernd, aber durch unser KI-basiertes Konzept möglich“, so Berwind. Bis Anfang 2025 wollen die Forscherinnen und Forscher den Digitalen Zwilling verfeinern und validieren, indem sie ihn kontinuierlich mit tatsächlichen Leistungsdaten vergleichen.
Freiflächen als Chance für die Biodiversität
„Der Ausbau von Solarparks bietet eine Chance, die Artenvielfalt in unserer Kulturlandschaft positiv zu beeinflussen. Gut geplante PV-Freiflächenanlagen können über mehrere Jahrzehnte hinweg einen Rückzugsort für unterschiedliche Artengruppen bilden”, betont Robert Busch, Geschäftsführer des Bundesverband Neue Energiewirtschaft e.V. (bne). Dazu zählen zum Beispiel ein breiter besonnter Streifen zwischen den Modulreihen und die Wasserdurchlässigkeit zwischen den einzelnen Modulen. In Biodiversitäts-PV-Anlagen erfolgen außerdem weder Düngung noch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, dafür aber eine schonende Flächenpflege ohne Mulchen. Busch ist sich sicher: „Wird Biodiversitäts-PV zum Standard, werden jedes Jahr zehntausende Hektar für die Artenvielfalt gesichert.“ Zugleich ist Biodiversitäts-PV attraktiv für Landwirte: Während bei klassischen Solarparks Flächen dauerhaft verloren gehen, bleibt der Status als »landwirtschaftliche Fläche« erhalten.
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