Mit Blick auf die EnergyDecentral 2024 zeigt sich: Moderne Blockheizkraftwerke sind mehr als nur "Flexibilitäts-Champions" für eine kurzfristige Stromversorgung und unverzichtbar auf dem Weg in die Wasserstoffwirtschaft. Vom 12. bis 15. November beleuchtet die Leitmesse für die dezentrale Energieversorgung, die zeitgleich mit der EuroTier in Hannover stattfindet, die große Bandbreite der Kraft-Wärme-Kopplung in der Praxis und deren Perspektiven im Rahmen der Energiewende.
Bis 2030 sollen die erneuerbaren Energien mindestens 80 Prozent des Strombedarfs hierzulande decken. Damit die Versorgung dann sicher und stabil läuft, braucht es steuerbare Leistung, wie sie die Kraft-Wärme-Kopplung bietet. „Wollen wir zukünftig keine fossilen Kraftwerke mehr betreiben, dann benötigen wir eine flexible Stromerzeugung für genau die Zeiten, in denen der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint“, sagt Marcus Vagt. Flexible Blockheizkraftwerke sind für den Projektleiter der EnergyDecentral deshalb ein Schlüsselelement für das Gelingen der Energiewende. Dank Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) nutzen sie 80 bis 90 Prozent der Energie im Brennstoff. Vagt: „Noch besser sieht ihre Umweltbilanz aus, wenn sie mit Biogas betrieben werden – denn dann sind sie nicht nur höchst energieeffizient, sondern auch klimafreundlich.“
Strom und Wärme aus Bio- und Sondergasen: Das liegt im Trend. Neben dem Einsatz von Sondergasen wie Bio- und Klärgasen ist mit der Holzvergasung zuletzt eine weniger bekannte Technologie wieder in den Fokus gerückt. Auch hier bedienen die in Hannover ausstellenden Unternehmen einen stetig wachsenden Markt mit leistungsstarken Gasmotoren. Viele der in Hannover gezeigten Motoren sind zudem für die Nutzung von synthetischen Kraftstoffen der Norm EN15940 freigegeben und somit für nachhaltiges HVO (Hydrotreated Vegetable Oil). Durch den Einsatz von HVO kann der CO2-Ausstoß, je nach Herstellungsprozess und Ausgangsmaterial, um bis zu 90 Prozent gegenüber fossilem Diesel verringert werden.
Nachhaltige Kraftstoffe für die Zukunft
„Verbrennungsmotoren sind ein wesentlicher Baustein für eine
zuverlässige Energieversorgung in der Energiewende. Mit nachhaltigen Kraftstoffen machen wir sie klimafreundlich“, sagt Dr. Jörg Stratmann, CEO von Rolls-Royce Power Systems. Vom 12. bis 15. November liefert die EnergyDecentral 2024 deshalb die Antwort auf zwei der wichtigsten Fragen: Welcher Motor ist für die Kraft-Wärme-Kopplung geeignet? Und wie wirken sich Funktionsweise und Brennstoff auf die BHKW-Anlage aus?
Speziell im Betrieb mit grünem Wasserstoff leisten die Motoren einen wesentlichen Beitrag zur Dekarbonisierung. Mit der jüngsten Generation von Wasserstoffmotoren streben die Technologieanbieter ähnliche Leistungsklassen an, wie bei den bewährten Erdgasmotoren. „Im Prinzip verbessern wir unseren bestehenden Erdgasmotor dahingehend, dass wir ihn zu einem Wasserstoffmotor umkonstruieren. Mit grünem Wasserstoff betrieben, produziert dieser Strom und Wärme 100 Prozent CO2-neutral“, sagt Werner Kübler, Head of Engineering MAN Engines. Ein weiterer Vorteil: Ganz ohne Abgasnachbehandlung können die strengen EU-Emissions-Grenzwerte (zum Beispiel Stickoxid) eingehalten werden. „Gerade kleinere, dezentrale Gasmotorenanlagen können die, je nach Wetterlage schwankende Einspeisung von Wind- und Solarstrom ins Netz besonders flexibel ausgleichen“, erklärt Dr. Daniel Chatterjee, Leiter Corporate Sustainability (ESG) bei Rolls-Royce Power Systems. Und: „Mit unseren inzwischen als H2-ready-zertifizierten Gasmotoren können wir einen Beitrag zur Energiewende leisten.“ H2-ready bedeutet, dass die Motoren für die zukünftige Verwendung mit Wasserstoff vorbereitet sind und entsprechend umgerüstet werden können.
Bedarfsgerechte Bereitstellung auf Knopfdruck
„Der Wert der bedarfsgerechten Bereitstellung von erneuerbarer Energie auf Knopfdruck wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen“, bestätigt auch Jörg Lösing, Vertriebsleiter bei der 2G Energy AG. Neben der Erhöhung der absoluten Anlagenleistung sei die Verlässlichkeit und Effizienz der Aggregate von hoher Wichtigkeit. Lösing: „Die Anlagen müssen in den Stunden, in denen sie gebraucht werden, uneingeschränkt mit maximalem Wirkungsgrad zur Verfügung stehen. Genau in diese Richtung haben wir unsere Anlagen weiterentwickelt.“ Exemplarisch dafür steht das vor kurzem vorgestellte BHKW vom Typ avus 1000plus. Das Modul verfügt im Biogasbetrieb über eine elektrische Leistung von 1.000 Kilowatt (945 Kilowatt thermisch) und adressiert die Anlagenbetreiber, die mit der Flexibilisierung der eigenen Anlage weitere Erlöspotenziale am Strommarkt nutzen wollen.
Moderne Biogasaggregate zur Strom- und Wärmeerzeugung, wie sie auf dem Messegelände in Hannover vorgestellt werden, setzen Maßstäbe bei Wirkungsgrad, Leistungsdichte und Lebenszykluskosten. Durch den Aufbau der Blockheizkraftwerke in Containern wird die gesamte Anlage mobil; einzelne Module können dort installiert werden, wo sie netzdienlich ihre Kapazität zur Verfügung stellen können, um für maximale Resilienz zu sorgen. Für Betriebe mit Gas aus landwirtschaftlichen Abfällen – vor allem Gülle – oder Klärschlamm sind BHKW die ideale Lösung für eine dezentrale Energieversorgung. Die Aggregate sind außer in der Landwirtschaft auch für den Einsatz bei Kläranlagen (Klärgas), Mülldeponien (Deponiegas) und in der Lebensmittelverarbeitung gefragt. Rolls-Royce etwa installiert derzeit ein Zwölf-Zylinder-mtu-Biogas-BHKW seiner neuen Baureihe 4000 L64 FB beim Stärkeproduzenten Tongjit in Thailand. Zum Einsatz kommt es für die Strom- und Heißdampfversorgung. Das Unternehmen hat bereits eine 20-Zylinder-Anlage des Vorgängermodells in Betrieb und wird nun seine gesamte Fabrik selbst mit Strom versorgen und dadurch Kosten in Höhe von umgerechnet 600.000 Euro pro Jahr einsparen können.
Autarke Energieversorgung mit Microgrids
Die Beispiele zeigen: Bildeten Verbrennungstechnologien in der Vergangenheit die Grundlage des Stromsystems, werden sie heute zunehmend zu einer Brückentechnologie, die die Lücken zwischen Nachfrage und erneuerbarer Energieerzeugung schließt und den Weg in die Wasserstoffwirtschaft ebnet. Blockheizkraftwerke nehmen als Backbone in allen Szenarien der zukünftigen Energieversorgung eine zentrale Stellung ein. Sie werden in der Regel in der Nieder- oder Mittelspannungsebene eingebunden, also da, wo der überwiegende Teil der fluktuierenden Erneuerbaren Energien an das Stromnetz angeschlossen ist.
Flexible BHKWs bieten jedoch noch eine Anzahl weiterer Potenziale für die Energiewende: Die Anlagen mit Leistungen zwischen 30 Kilowatt und drei Megawatt lassen sich dezentral direkt vor Ort platzieren und für die Versorgung von Microgrids nutzen – kleine Energienetze, die der autarken Energieversorgung dienen. Sie können an das öffentliche Stromnetz angeschlossen sein, lassen sich bei Bedarf jedoch unkompliziert von diesem abtrennen und eigenständig betreiben. Grundlastfähige Energiequellen federn die natürlichen Schwankungen von Sonne und Wind ab und stellen so die Strom- und Wärmeversorgung jederzeit sicher. Durch die Integration von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, Batteriespeichern und fortschrittlichen Steuerungen, bieten Microgrids eine zuverlässige und kosteneffiziente Option nicht nur für Landwirtschaftsbetriebe, sondern auch für kommunale und auch industrielle Anwendungen.
Dezentralität ist das Wort der Stunde
„Microgrids zählen zu den Lösungen, die die Energiewende vorantreiben. Deshalb müssen sie sich mit globalen Megatrends und Herausforderungen auseinandersetzen, also unter anderem mit Dezentralisierung, Digitalisierung und Dekarbonisierung“, sagt Robert Autengruber, Senior Product Manager für die Jenbacher Produktlinie der INNIO Group. Besonders nachhaltig werden derartige Microgrids, wenn man einen oder mehrere erneuerbare Energieträger in den Energiemix mit einbezieht, etwa in Form von Photovoltaikanlagen oder Windräder. Durch ihren flexiblen Ansatz entfalten Microgrids ihr volles Potenzial und tragen zur Resilienz des gesamten Energiesystems bei. Wie das konkret in der Praxis aussehen kann, wird in Hannover im Rahmen der "Expert Stage EnergyDecentral" diskutiert.
So wichtig die Erzeugungs- oder Speichertechnologien auch sind – ohne digitale Messtechnik kommen Microgrids nicht aus. Um die Ausfallsicherheit bei der Integration von erneuerbaren Energien nicht zu gefährden, ist ein Energiemanagementsystem von entscheidender Bedeutung. Es ermöglicht den fortwährenden Austausch zwischen Erzeugung, Speicherung und Verbrauch, um so den optimalen Einsatz der einzelnen Komponenten zu steuern, was eine effiziente und gesicherte Energieversorgung ermöglicht. Eine fortschrittliche All-in-one-Microgrid-Steuerung etwa umfasst Funktionen wie Lastmanagement, Regelung der Leistungsaufnahme und -abgabe, Netz- und Kupplungsschaltersteuerung sowie Schnittstellen für Zusatzleistungen oder Zusatzaggregate. Zudem ist sie für ein breites Spektrum von dezentralen Energieressourcen (Distributed Energy Resources) oder wechselrichtergestützte Technologien ausgelegt. Mit Blick auf die EnergyDecentral 2024 zeigt sich: Das alte System der Energieerzeugung und -verteilung befindet sich im Umbruch. In den Vordergrund rücken dezentrale Ansätze, bei denen Microgrids und Blockheizkraftwerke den direkten Energieverbrauch am Erzeugungsort ermöglichen.