Bis heute leiden Sinti und Roma in Europa unter massiver Stigmatisierung und Ausgrenzung. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International setzt sich seit vielen Jahren dagegen ein und mobilisiert gegen die Diskriminierung der Minderheit in allen Lebensbereichen, insbesondere der Schulbildung und im Bereich des Wohnens. Vor dem Hintergrund einer neuen Welle der Diskriminierung gegenüber Sinti und Roma sagte der Generalsekretär Thorbjørn Jagland in seiner Laudatio: „Wenn die Menschenrechte nicht für alle gelten, dann gelten sie für keinen.・ Amnesty International appelliere an das Gewissen der europäischen Regierungen und sei dabei die Stimme der Stimmlosen.
Iverna McGowan, Leiterin des Amnesty International Büros für Europäische Institutionen, machte in Ihrer Dankesrede klar, dass Amnesty International den Preis für die Arbeit nur entgegennehmen könne, weil viele Roma- und Nicht-Roma-Organisationen sowie Einzelpersonen vor Ort eine hervorragende Arbeit leisteten. Ihnen gebühre der Preis ebenso. Sie verwies noch einmal auf die Diskriminierungen im Bildungsbereich und appellierte insbesondere an die Regierungen von Tschechien und der Slowakei: „Es ist nicht akzeptabel, dass im Jahr 2016 Kindern der Zugang zu Bildung verweigert wird, nur weil sie Roma sind." Sie betonte außerdem, dass die Ausgrenzung der Minderheit der Sinti und Roma nicht nur ein osteuropäisches, sondern auch ein westeuropäisches Problem sei und nannte als Beispiel Italien, wo Menschen aus ihren Häusern vertrieben würden und gezwungen seien, neben Müllhalden zu leben. „Der Kampf ist noch lange nicht vorbei", schloss McGowan ihre Rede und verwies auf die menschenunwürdige Situation in den griechischen Flüchtlingscamps, die skandalös sei.
Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, betonte, dass mit der Wahl des Europäischen Parlaments zum Ort der Verleihung, ein doppeltes Zeichen gesetzt werden solle. Rose unterstrich die europäische Dimension des Preises und hob die besondere Rolle der europäischen Institutionen für den Minderheitenschutz hervor. Vor dem Hintergrund der alarmierenden Menschenrechtssituation der Sinti und Roma in nahezu allen Ländern Europas soll der Preis zur Durchsetzung der Menschenrechte und zur Chancengleichheit unserer Minderheit in ihren Heimatländern beitragen."
Auch die Vize-Präsidentin des Europäischen Parlamentes, Ulrike Lunacek stellte die europäische Idee in den Mittelpunkt ihrer Ansprache: „Roma und Sinti sind Bewohner ihrer Länder, sie sind Europäer, es stehen ihnen daher alle Bürgerrechte zu, nicht ein einziges weniger." Weiter sagte sie: „Minderheiten gehören in die Mitte der Gesellschaft, nicht an den Rand."
Der Stifter des Preises, Manfred Lautenschläger, stellte in seiner Ansprache die Frage, wie angesichts des Zivilisationsbruchs des Holocaust, die Opfer von damals auch heute wieder vielerorts in die Opferrolle gedrängt werden: „Als engagierter Bürger muss ich mich fragen: Wie ist es vor diesem geschichtlichen Hintergrund möglich, dass große Teile der Minderheit in den Staaten Europas keine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben haben? Dass sie in Ländern, in denen sie seit Jahrhunderten beheimatet sind, immer noch wie Fremde behandelt und an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden?"
Der Sonderpreis ging an die ungarische Filmemacherin Eszter Hajdú, die in ihrem 2013 erschienenen Film „Judgment in Hungary" den zweieinhalbjährigen Prozess gegen vier rechtsextremistische Mörder dokumentierte. Die Täter überfielen 2008 und 2009 sechs Dörfer in Ungarn und töteten dabei sechs Roma, darunter ein fünfjähriges Kind. Eszter Hajdú sagte in ihrer Dankesrede dass die Morde nicht einfach so passierten, sondern die direkte Folge des mittlerweile zur Normalität gewordenen Extremismus in Ungarn seien. In seiner Laudatio forderte der britische Filmemacher Ben Steele, es müsse mehr Filme wie Hajdús geben, die den Hass, den Sinti und Roma tagtäglich erfahren, einer breiten Öffentlichkeit zeigten und für diese durch das Medium Film erleb- und nachvollziehbar machten.
Der Europäische Bürgerrechtspreis der Sinti und Roma wurde in 2007 ins Leben gerufen und wurde in 2008 erstmalig verliehen. Vor dem Hintergrund der äußerst besorgniserregenden Menschenrechtssituation der Sinti und Roma in vielen europäischen Staaten soll dieser Preis ein Beitrag zur Wahrung und Durchsetzung der Bürgerrechte der Angehörigen der Sinti- und Roma-Minderheiten in ihren jeweiligen Heimatländern sein. Zugleich versteht sich der Preis als ein Signal an die Gesellschaft und Öffentlichkeit in Europa, gegen tief verwurzelte Klischees und Vorurteilsstrukturen vorzugehen, um die alltägliche Ausgrenzung der Minderheit zu überwinden. Bisherige Preisträger waren der ehemalige polnische Außenminister Władysław Bartoszewski, die französische Publizistin und ehemalige Ministerin Simone Veil, der Menschenrechtskommissar des Europarates Thomas Hammarberg und der Präsident der Gesellschaft für bedrohte Völker Tilman Zülch.