In den Vorträgen am Freitag, dem 1. Juni, wurde das Thema „Integration“ aus verschiedensten wissenschaftlichen Perspektiven – so auch von VertreterInnen aus Psychologie, Politik, Soziologie und Kunst – erörtert, der zweite Tag stand im Zeichen fachspezifischer Fragen mit dem Schwerpunkt Integration.
Freitag, 1. Juni
Die Psychotherapie wolle integrieren – etwa neurobiologische oder sozialpsychologische Aspekte –, sagte Anton Leitner, Leiter des Departements für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie an der Donau-Universität Krems, in seiner Eröffnungsrede. Im Rahmen des Symposions wurde diskutiert, nach welchen Kriterien dies möglich sein werde, ob es Unverbindliches gebe und wo die Psychotherapie bestehende Differenzen einbeziehen könne.
Johann Götschl, Systemtheoretiker und Professor für Philosophie der Wissenschaften, betonte in seinem Vortrag, dass die Dynamik schöpferischen Verhaltens ohne andere, externe Faktoren gar nicht möglich sei: „Indem wir das Leben beschreiben, erzeugen wir das Leben.“ Der Mensch habe als kybernetisches Problem alles gespeichert, was er je erlebt habe. Sein Schwerpunkt lag auf dem Theorem der Wissensbeschleunigung: Information generiert Wissen und Wissen generiert Information. Mit der Zunahme des möglichen Raum des Denkens wird der Raum unlösbarer Probleme ebenfalls größer, erweitere jedoch auch den Möglichkeitsraum des Denkens, und auch „WissenschaftlerInnen sind unsicherer geworden in ihrem Wissen“.
Anschließend sprach Politikwissenschaftler Peter Filzmaier, Leiter des Departments für Politische Kommunikation an der Donau-Universität Krems, über die Integration aus politischer Sicht. Integration sei etwas Komplexes, denn Menschen suchten nach Orientierungspunkten in ihrem Sein. Es gebe politische Rattenfänger, die genau eben mit diesen Ängsten spielten, mit der Angst vor dem Unbekannten. So fühlten sich Menschen in Österreich etwa bedroht durch AusländerInnen. Für politische Bildung als Beitrag zur Lösung des Problems fand Filzmaier sowohl Pro- als auch Kontra-Argumente.
Über die Integration traumatisierter Flüchtlinge sprach Klaus Ottomeyer, Professor am Institut für Psychologie der Universität Klagenfurt. Seinen Ausgangspunkt von der eigenen Normenwelt und vom Normenrelativismus verließ er über das Statement der fehlenden Leitkultur und der Desintegration. Er sieht MigrantInnen in der „Sündenbockrolle“ in der „Schiefhaltung von ökonomischen, gesellschaftlichen und sozialen Forderungen“. Die darauf folgende abwehrende Haltung der österreichischen Bevölkerung beruhe auf verschiedenen Gründen wie Konkurrenz- oder Versorgungsangst. Ebenso kritisierte er die bürokratischen Verhältnisse bei der Integration von MigrantInnen.
Psychologin Claudia Höfner, Fachbereichsleiterin am Department für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie an der Donau-Universität Krems, unterstrich in ihrem Vortrag „Gender Vertigo“ die Notwendigkeit der Integration von Frauen- und Männerforschung. Nach ihrem Überblick über die historischen Gründe dieser dichotomen Forschungsgebiete kam sie zu dem Schluss, dass es Parallelen wie Unterschiede in beiden gebe. Das Geschlecht als Variable müsse auch in der Geschlechterforschung dekonstruiert werden. Es gebe weiterhin große Forschungslücken. Höfner plädierte für Integration der Forschungsgebiete.
Rudolf Richter, Professor für Soziologie und Dekan der Sozialwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Wien, thematisierte Integration als eine Frage der Globalisierung und der nunmehr neu erforschten „Netzwerkgesellschaften“, die an Stelle von Gruppen stehen. Aus „families“ und „friends“ werden „framilies“, es gibt weltweit übergreifendes Sozialkapital sowie komplexe Zusammenhänge in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Das Mittel der aktuell möglichen Integration sei die Sprache. Integration in die Gesellschaft sei die Einordnung in Strukturen. Sein Fazit: „In eine Netzwerkgesellschaft muss nicht hinein integriert werden, es hat lediglich eine Segmentierung einer solchen zur Folge.“
Klaus Dörner, langjähriger Leiter der Psychiatrie Gütersloh, Deutschland, analysierte die Ethik in der Integration von PatientInnen seiner Klinik zurück in die Alltagswelt. Man könne die Kranken nur über einen funktionierenden dritten Sozialraum, also die Nachbarschaft, wieder in ihre Alltagswelt integrieren. Professionelle Hilfe sei nur in einem bestimmten geographischen Raum möglich. „Man kann nicht nur ein bisschen integrieren, entweder ganz oder gar nicht!“, meinte Dörner, und: „Integration scheitert unweigerlich an einer gewissen Marktethik.“
Der Überwindung des Geschlechterkampfes am Beispiel der Zauberflöte widmete sich Renate Frühmann, Lehrtherapeutin für Integrative Therapie. Entlang den Klängen der Zauberflöte zeigte ihr Vortrag Krisen und Überwindungsmotive auf dem Weg der Integration mündiger Partner und Bürger. Es bedürfe großer Reifungsschritte sowohl für Frauen als auch für Männer auf einem Weg zu einem partnerschaftlichen Miteinander.
Samstag, 2. Juni
Burkhard Dafert vom Psychosomatischen Zentrum Eggenburg im Waldviertel beschrieb in Vertretung von Primarius Andreas Remmel praxisnah, wie in der erst 2006 eröffneten Klinik mit einhundert Betten Menschen behandelt werden. Die Herausforderung liege darin, unterschiedliche TherapeutInnen (PsychologInnen, Integrative TherapeutInnen, PsychiaterInnen etc.) auf einer Station zusammenarbeiten zu lassen. Die erkennbare Integrationsleistung von TherapeutInnen sei etwa die Symptomreduktion bei PatientInnen. Die Klinik verstehe sich als „Werkstatt“, die alte Schuldmodelle der Psychotherapie hinten an stelle und neue entwickle, um alle Seiten in einem Heilungsprozess (TherapeutIn – PatientIn – soziales System der PatientInnen) zu integrieren. Wichtig sei bei jedem Heilprozess die Integration alltagsrelevanter Probleme.
Günter Schiepek, Leiter des Lehrgangs für Synergetisches Prozessmanagement an der Donau-Universität Krems, befasste sich mit der Neurobiologie in der Psychotherapie. Er bestand auf der Integration der Neurobiologie in die Psychotherapie, da neue Ansätze und Forschungsergebnisse in den Bereichen von psychologischen Störungsbildern, Empathie, sozialer Resonanzfähigkeit (wie Spiegelneurone, Theory of Mind) oder auch der neuronalen Konstruktion des Selbst nun der Wissenschaft vorliegen. Diese neuen Erkenntnisse gelte es in andere Bereiche zu intergrieren. Schiepek plädierte dafür, neue Verfahren des Verhaltens und Erlebens, z.B. Real Time Monitoring, mit neurobiologischen Methoden zu kombinieren.
Ilse Orth, Supervisorin und Lehrtherapeutin für Integrative Therapie, gab einen Überblick über die Heilkraft der Sprache in der Therapie. Als Kunst-, Poesie- und Bibliographietherapeutin vermittelte sie, dass „der Leib immer auf eine Interaktion und Kommunikation ausgerichtet“ sei. Der Mensch sei prinzipiell schöpferisch, denn er sei von seinem Wesen her ein Schöpfer. Gerade für Menschen, denen Unaussprechliches widerfahren sei, könne die Überführung des Traums in Sprache explizit therapeutisches Handeln sein („darüber sprechen lernen“). TherapeutInnen könnten dabei PatientInnen durch die Methode des „fühlenden Stammelns“ Worte leihen. Sprache sei das Ergebnis einer bewussten Wahrnehmung.
Ob die Psychotherapie weiblich sei, fragte Marianne Springer-Kremser, Vorstand der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie in Wien, in ihrem Vortrag. Laut Springer-Kremser gibt es auffällige Unterschiede in der Arbeit von weiblichen und männlichen TherapeutInnen, z.B. bei PatientInnen mit Angststörungen oder Schizophrenie. Im Sinne einer erfolgreichen Integration müsse der Beziehungsaspekt zwischen TherapeutInnen und PatientInnen in der Zukunft wesentlich mehr betrachtet werden.
Zur Kontroverse zwischen Psychotherapie und Psychopharmaka nahmen Walter Pieringer, Vorstand der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie an der Medizinischen Universität Graz, und Theodor Meißel, Allgemeinmediziner, Psychiater und Psychotherapeut, gemeinsam Stellung. Sie gaben einen Überblick über die drei wesentlichen Psychopharmakagruppen gegeben – Tranquilizer, Thymoleptika und Neuroleptika – und gingen der Frage nach, wann der Einsatz sinnvoll sei und wann nicht.
Hilarion Gottfried Petzold, emeritierter Professor an der Freien Universität Amsterdam, sprach über Psychotherapie, Agogik und Kulturarbeit. Heute sei es eher sinnvoll, nicht die Psychotherapie, sondern eher eine Humantherapie zu erzielen. Das Gehirn an sich sei bereits ein Integrationsorgan, da es Neues aufnehmen und Neues erschaffen könne. Jede psychotherapeutische Schule sei ein Dokument einer Kreativität. Die Psychotherapie sei eine Nachfolgerin der Seelsorge. „Wir Menschen müssen unsere Muster verstehen lernen, um sie mit gutem Willen zu ändern. Wir wollen nicht andere eingemeinden, sondern Gäste unter einem Dach willkommen heißen“, so Petzold.