Gericht: Fiat Chrysler handelte im Abgasskandal sittenwidrig
Die 54. Zivilkammer am Landgericht Landshut hat im Diesel-Abgasskandal von FCA am 18. März 2022 ein bemerkenswertes verbraucherfreundliches Urteil gesprochen (Az. 54 O 1306/21). Bei dem von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer erstrittenen Urteil handelt es sich nicht um ein Versäumnisurteil. Das Gericht machte klar, dass Fiat Chrysler vorsätzlich und sittenwidrig getäuscht habe. Hier die wichtigsten Fakten zum vorliegenden Urteil am Landgericht Landshut:
- Der Kläger kaufte im Mai 2019 das Wohnmobil „367 Mageo Premium“ des Herstellers Challenger für 64.937,50 Euro. Das Fahrzeug ist mit einem für das Basisfahrzeug Fiat Ducato typischen 2,3-Liter-Motor mit 150 PS ausgestattet und verfügt über die Abgasnorm Euro 6b. Motorkennung: F1AGL411C.
- Das Gericht folgte im Wesentlichen dem Antrag des Klägers und verurteilte FCA aufgrund vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung nach §826 BGB zur Zahlung von Schadensersatz in Form einer Preisminderung in Höhe von 9740,63 Das entspricht 15 Prozent des Kaufpreises. Der Kläger hat aus Sicht des Gerichts schlüssig vorgetragen, dass Fiat Chrysler im Basisfahrzeug des Wohnmobils 367 Mageo Premium von Challenger eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut hat, die dazu führt, dass die Abgaswerte auf dem Prüfstand auf das gesetzlich vorgeschriebene Maß optimiert werden. Im realen Straßenbetrieb wird dann die Umwelt verpestet und die Gesundheit der Menschen gefährdet. Die Abgasreinigung wird durch eine sogenannte Zeitschaltuhr nach rund 22 Minuten ausgeschalten. Das Gericht wertete diese Steuerung als unzulässige Abschalteinrichtung.
- FCA hat aus Sicht des Gerichts „nicht bestritten, dass die Abgasreinigung nach dem für den NEFZ-Zyklus vorgesehenen Zeitraum von 22 Minuten komplett abschaltet.“ Daher sieht das Gericht den Vorwurf als „unstreitig“ an. Außerdem sei das „streitgegenständliche Fahrgestell mit einem von den Untersuchungen des Kraftfahrtbundesamtes betroffenen Motor ausgestattet“.
- Die Verteidigung von FCA, das Fahrzeug würde auf der Straße und Prüfstand identisch funktionieren, reichte für das Gericht nicht aus, „um eine Manipulation zu verneinen. Dies ist schließlich gerade der Kernpunkt der geltend gemachten Manipulation: Das Fahrzeug funktioniert auf Prüfstand und Straße identisch, sprich in beiden Fahrsituationen wird nach 22 Minuten die Abgasreinigung vollständig abgeschalten. Auf dem Prüfstand fällt dies allerdings gerade deswegen nicht auf, weil der dortige Zyklus lediglich auf diese 22 Minuten beschränkt und die Messung der Abgaswerte nach Ablauf dieser Zeitspanne beendet ist.“
- Das Gericht hatte auch keinerlei Zweifel daran, „dass die Abgasreinigungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten werden können. Eine Typgenehmigung war somit auch nur durch Vorspiegelung falscher Tatsachen gegenüber der zuständigen Behörde in Italien zu erlangen. Es kann daher nicht darauf ankommen, dass eine immer noch gültige italienische Typgenehmigung vorliegt, welche aufgrund des europäischen Binnenmarktes auch in Deutschland zu akzeptieren ist. Im Falle einer Manipulation wie vorliegend kann diese auch in einem anderen Mitgliedstaat nicht uneingeschränkt Anwendung finden bzw. hindert nicht die Haftung von FCA wegen sittenwidriger Schädigung.“
- Entsprechend der Rechtsprechung im Abgasskandal durch den Bundesgerichtshof (BGH) ist dem Verbraucher durch den Abschluss des Kaufvertrags ein Schaden entstanden. Der Abgasskandal von Fiat Chrysler ist damit aus Sicht des Gerichts mit dem von VW vergleichbar.
- Das Gericht taxiert den bloßen Minderwert des Fahrzeugs auf 15 Prozent, entsprechend vom Kaufpreis ein Betrag von 9.740,63 €. Darin fließt auch ein, dass der Verbraucher im Falle eines Verkaufs des Fahrzeugs die Manipulation des Motors gegenüber einem potentiellen Käufer offenbaren muss. Allein dies dürfte zu einer Minderung des dann zu erzielenden Verkaufspreises führen.
- Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Verbraucherfreundliche Entwicklung im Fiat-Abgasskandal
Für die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer ist die Beweislast gegen den Autobauer mittlerweile erdrückend. Alleine die Vorkommnisse bis ins Jahr 2020 müssten für eine Verurteilung von FCA genügen. Weit über 1000 Klagen hat die Kanzlei mittlerweile gegen FCA, Iveco und Fahrzeughändler bundesweit eingereicht. Hier eine kurze Zusammenfassung der aktuellen Entwicklungen:
- Das Landgericht Landau hat Fiat Chrysler am 6. Dezember 2021 zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 48.155,93 Euro verurteilt ( 2 O 169/21). Das Urteil ist das erste Nicht-Versäumnisurteil im Abgasskandal von Fiat.
- Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat mehrere verbraucherfreundliche Urteile in erster Instanz erstritten. Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Einige Verfahren befinden sich an Oberlandesgerichten in der Berufung.
- Das Landgericht Nürnberg hat mit Entscheidung vom 9. Juli 2021 festgestellt, dass die Holding Stellantis in der Rechtsnachfolge von Fiat Chrysler Automobiles (FCA) steht ( 19 O 737/21). Stellantis war Anfang des Jahres durch die Fusion von FCA und des französischen Konzerns PSA entstanden. Damit kann auch gegen Stellantis geklagt werden.
- Das Landgericht Stade verurteilte am 17. August 2021 den Händler eines Wohnmobils zur Zahlung von Schadensersatz, weil das Fahrzeug mangelhaft war ( 2 O 175/21). Der Halter kann sein Fahrzeug bei dem sogenannten kleinen Schadensersatz behalten. Den kleinen Schadensersatz hatte Dr Stoll & Sauer am Bundesgerichtshof in einem VW-Fall erstritten.
- Das Landgericht Oldenburg ordnete am 2. September 2021 die Neulieferung eines mangelfreien Wohnmobils an ( 4 O 767/21). Befindet sich ein Neufahrzeug in der zwei Jahre andauernden Gewährleistung, so wird neben FCA/Stellantis auch in der Regel der Händler verklagt. Der Bundesgerichtshof hatte im VW-Abgasskandal die Form der Neulieferung bestätigt.
- Das Landgericht Münster will beim KBA Auskunft über den Stand der Ermittlungen einholen.
- Das Landgericht Kempten stellt die Einholung eines Gutachten in Aussicht, falls FCA/Stellantis die Vorwürfe der Abgasmanipulation bestreitet. Dem sieht Dr. Stoll & Sauer gelassen entgegen. Mehrere Gutachten außerhalb von Gerichtsverfahren weisen derzeit darauf hin, dass Wohnmobile die Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalten.
- Am Landgericht Flensburg sieht die vierte Zivilkammer starke Indizien für eine unzulässige Abschalteinrichtung im Fiat-Motor. Das Argument Motorschutz will das Gericht in einer ersten Stellungnahme wohl nicht gelten lassen (Az. 4 O 232/21).
- Das Landgericht Saarbrücken lässt ein Gutachten zum Wohnmobil Columbus 640E von Westfalia einholen. Der Stickoxidausstoß soll überprüft werden (Az. 12 O 18/21).
- Das Landgericht Ansbach hat mit Beschluss vom 14. Dezember 2021 ein Gutachten in Auftrage gegeben, das herausfinden soll, ob „in dem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen vorhanden sind“ (Az. 3 O 761/21).
- Das KBA hat im Februar 2021 einen Rückruf zum Iveco-Motor Daily erlassen – allerdings nicht verpflichtend. „Durch eine ungeeignete Software können Störungen auftreten, durch die sich die Verringerung von Stickoxiden gegebenenfalls verschlechtert“, heißt es verklausuliert im KBA-Deutsch. Die Daily ist in vielen Wohnmobilen verbaut worden. Und Iveco gehört zum weitverzweigten Fiat-Imperium.
- Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat Informationen, wonach es bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt „amtsbekannt“ ist, dass Fiat-Motoren manipuliert worden sind.
- Das KBA hat durch eigene Untersuchungen festgestellt, dass Wohnmobile die Abgasgrenzwerte im realen Straßenverkehr nicht einhalten. Daher prüft die Behörde derzeit Konsequenzen. Nach EU-Recht hat das KBA sogar die Möglichkeit, betroffene Fahrzeuge stillzulegen.
- Mittlerweile versuchen Wohnmobilhändler sich außergerichtlich mit geschädigten Kunden zu einigen.
- Fiat Chrysler hat in einem Verfahren der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer den Einbau der sogenannten Zeitschaltuhr zugestanden. Der Einsatz des Timers führt dazu, dass die Abgasreinigung nach 22 Minuten ausgeschalten wird. Grund dafür: Die meisten Fahrten, so die Fiat-Anwälte, dauerten nicht länger als 22 Minuten.