Vor zwei Jahren hat die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer die erste Klage gegen Fiat Chrysler im Wohnmobil-Abgasskandal eingereicht. Und nun erreicht der Skandal auch die Oberlandesgerichte. Am 24. Februar 2022 kündigte das OLG Köln erstmals eine Verurteilung von FCA an (Az. 28 U 55/21). Beim OLG München geht es jetzt Schlag auf Schlag. In einem Verfahren der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer kündigte der 36. Senat am 3. August 2022 eine weitere Verurteilung an. FCA hat aus Sicht des Gerichts eine unzulässige Abschalteinrichtung im Wohnmobil Boxstar 600 Solution 4 von Knaus verbaut und damit steht dem Kläger Schadensersatz zu. Das Wohnmobil des Verbrauchers sei von einer Stilllegung und dem Entzug der Typgenehmigung bedroht. In einem weiteren Verfahren hat der gleiche Senat ebenfalls klar zum Ausdruck gebracht, dass der streitgegenständliche Motor die Abgasreinigung mit Hilfe einer Timerfunktion nach rund 22 Minuten ausschaltet (Az.: 36 U 2768/22). Die Verbraucherkanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst mit Hilfe des eigenen Verfahrens zusammen, wie der 36. Senat den Abgasskandal bei Fiat Chrysler beurteilt:
- Die Wohnmobile sind in der Regel mit einem für das Basisfahrzeug Fiat Ducato typischen 2,3-Liter-Motor mit 96 bis 180 PS ausgestattet und verfügen über die Abgasnormen Euro 5b oder 6b. Die Kläger verlangen von FCA die Rücknahme des Fahrzeugs sowie die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Möglich ist auch der kleine Schadensersatz bei dem die Verbraucher das Fahrzeug behalten können. Bei Neufahrzeugen, die noch in der Gewährleistung sind, besteht die Klage auf Neulieferung eines mangelfreien Wohnmobils.
- In dem Fiat Ducato sind nach Kenntnissen unserer Kanzlei mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut. Darunter die berüchtigte Zeitschaltuhr, die nach rund 22 Minuten die Abgasreinigung des Motors einfach beendet. Die Prüfstandkontrolle dauert etwas weniger als 22 Minuten. Mit Hilfe des Lenkradwinkeleinschlags und der Stellung des Gaspedals kann die Abgasreinigung ebenfalls manipuliert werden. Natürlich muss das On-Board-Diagnosesystem ebenfalls manipuliert worden sein. Ansonsten wäre dem System die Manipulation durch den Timer aufgefallen. Oft wird auch ein Thermofenster im Motor verwendet, das die Abgasreinigung abhängig von der Außentemperatur steuert – sprich abschaltet.
- Der 36. Senat am OLG München stellte in dem Verfahren der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer in einer Verfügung vom 3. August 2022 Folgendes fest:
- Die Timerfunktion ist nach Ansicht des Gerichts eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007. Dass die Abgasreinigung nach 22 Minuten abschaltet und diese Zeit im Zusammenhang mit der Dauer der Prüfstandkontrolle steht, kann aus Sicht des Gerichts als sittenwidrig gewertet werden. FCA hat die Zeitschaltuhr im Motor im Verfahren unserer Kanzlei nicht bestritten.
- Bei der Argumentation greift der Senat auch auf die verbraucherfreundliche Rechtsprechung am Europäischen Gerichtshof (EuGH) hin. Fiat trägt in den Verfahren gerne vor, dass die Abschalteinrichtungen zulässig sein, weil sie dem Schutz des Motors dienen. Und das entspräche der EU-Richtlinie. Der EuGH, so das OLG München, legt die Ausnahmen der VO (EG) Nr. 715/2008 jedoch grundsätzlich sehr eng aus. Allein auf die Schonung von Bauteilen kann sich die Beklagte dabei nicht berufen (EuGH Urteil vom 14.07.2022, C-128-20 Rn. 70). Eine Abschalteinrichtung wäre nur dann akzeptabel, wenn unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall bestünden. Also „Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen“, so der EuGH.
- Die streitgegenständlichen Wohnmobile unterliegen nach Meinung des 36. Senats der „latenten Gefahr eines Rückrufs bzw. eines Widerrufs der Typengenehmigung“. Und das käme nach Ansicht der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer einer Stilllegung der Wohnmobile gleich.
- Das OLG München weist weiter daraufhin, dass es mehrere gleichartige Verfahren in einem kommenden Sitzungstag zusammenfassen möchte. Für das Aktenzeichen 36 U 2768/22 ist das jetzt geschehen. Mit dem Zusammenfassen von Verfahren will der Senat nicht nur effizienter arbeiten, sondern auch den untergeordneten Gerichten einen Leitfaden für künftige Urteile an die Hand geben. Die Hinweise aus München stellen eine echte verbraucherfreundliche Wende im Abgasskandal der Wohnmobilbranche da.
Mit zahlreichen Urteilen an Landgerichten und der aktuellen rechtlichen Würdigung des Oberlandesgerichts München ist die juristische Aufarbeitung des Abgasskandals bei FCA/Stellantis erneut verbraucherfreundlich weitergekommen. Die Chancen auf Schadensersatz steigen derzeit enorm. Zudem ist am Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein Verfahren anhängig, in dem der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen am 2. Juni 2022 vorgeschlagen hat, dass Verbraucher generell Schadensersatz zustehen soll, sobald eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden ist (Az. C-134/20). Einen Vorsatz, wie ihn der Bundesgerichtshof verlangt, sei nicht erforderlich. Auch bei der Nutzungsentschädigung, die oftmals den Schadensersatz kompensiert, vertritt der EuGH-Generalanwalt eine andere Meinung als der BGH. Die Festlegung der Art und Weise der Schadensberechnung sei zwar Sache der Mitgliedstaaten; die Haftung müsse aber abschrecken und dem Effektivitätsgebot angemessen Rechnung tragen. Eine den (Kaufpreis-)Schaden ausschließende Anrechnung der Nutzung sei mit dem Unionsrecht deshalb unvereinbar. Hier bahnt sich eine neue Rechtsprechung an, an die sich auch der BGH halten muss. Die meisten Landgerichte und Oberlandesgerichte warten daher mit ihren Diesel-Urteilen ab, bis der EuGH entschieden hat. Der EuGH gilt generell als verbraucherfreundlich. Mit einer Entscheidung wird gegen Ende des Jahres gerechnet.
Daher rät die Kanzlei betroffenen Verbrauchern zur anwaltlichen Beratung. Geschädigte müssen durch die Folgen und Auswirkungen des Abgasskandals mit enormen Geldeinbußen kämpfen: Ihnen drohen Fahrverbote, Stilllegungen und Wertverluste, sofern sie die Ansprüche nicht rechtzeitig vor Gericht geltend machen. Verbraucher sollten eine Individualklage erheben. Die Chancen stehen nach aktueller Rechtsprechung sehr gut. Im kostenfreien Online-Check lässt sich der richtige Weg aus dem Dieselskandal herausfinden. Wir prüfen Ihren konkreten Fall und geben Ihnen eine Ersteinschätzung, bevor wir uns auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den Autobauer einigen.