Gericht sieht Vorwurf der Abgasmanipulation als zugestanden an
Die juristische Aufarbeitung des Diesel-Abgasskandals von Fiat Chrysler steht vor einem weiteren Meilenstein. Das Oberlandesgericht Köln will die Berufung von FCA gegen ein verbraucherfreundliches Versäumnisurteil des Landgerichts Aachen zurückweisen. Der 28. Senat machte mit seinem Beschluss vom 24. Februar 2022 deutlich, dass er den Vorwurf der Abgasmanipulation als zugestanden ansieht. Der klagende Verbraucher hätte in seinem Vortrag hinreichend die Voraussetzungen der vorsätzlichen und sittenwidrigen Schädigung nach §826 BGB durch FCA erläutert. FCA vertrat die Meinung, dass der Klägervortrag so wenig substantiiert gewesen war, dass FCA den Vortrag gar nicht bestreiten hätte müssen. Diese abstruse Argumentation wies das OLG Köln in seinem Beschluss zurück.
Beim streitgegenständlichen Fahrzeug handelt es sich um das Wohnmobil Twist des Herstellers Chausson. Das Landgericht Aachen hatte in einem Versäumnisurteil FCA zur Rücknahme des Wohnmobils und zur Zahlung von 37.706,02 Euro verurteilt (Az. 12 O 279/21). FCA hatte sich vor dem Landgericht nicht zur Klage geäußert. Das Wohnmobil hatte der Verbraucher ursprünglich für 41.400 Euro erworben.
Aus Gründen der Gewinnmaximierung habe FCA in der Abgassteuerung eine Zeitschaltuhr eingebaut, die nach 22 Minuten die Abgasreinigung drossele. Die Abgasgrenzwerte werden nur auf dem Prüfstand eingehalten und nicht im normalen Straßenverkehr. Der Kläger hatte diese Behauptung mit Berichten und Feststellungen durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) untermauert, so das OLG in seinem Beschluss. Da FCA dem nicht argumentativ entgegengetreten sei, sah die erste Instanz die Behauptungen als zugestanden an. Das OLG Köln will dieser Vorgehensweise offensichtlich folgen.
Verbraucherfreundliche Entwicklung im Fiat-Abgasskandal
Für die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer ist die Beweislast gegen den Autobauer mittlerweile erdrückend. Alleine die Vorkommnisse bis ins Jahr 2020 müssten für eine Verurteilung von FCA genügen. Weit über 1000 Klagen hat die Kanzlei mittlerweile gegen FCA, Iveco und Fahrzeughändler bundesweit eingereicht. Hier eine kurze Zusammenfassung der aktuellen Entwicklungen:
- Das Landgericht Landau hat Fiat Chrysler am 6. Dezember 2021 zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 48.155,93 Euro verurteilt ( 2 O 169/21). Das Urteil ist das erste Nicht-Versäumnisurteil im Abgasskandal von Fiat.
- Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat mehrere verbraucherfreundliche Urteile in erster Instanz erstritten. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Einige Verfahren befinden sich an Oberlandesgerichten in der Berufung.
- Das Landgericht Nürnberg hat mit Entscheidung vom 9. Juli 2021 festgestellt, dass die Holding Stellantis in der Rechtsnachfolge von Fiat Chrysler Automobiles (FCA) steht ( 19 O 737/21). Stellantis war Anfang des Jahres durch die Fusion von FCA und des französischen Konzerns PSA entstanden. Damit kann auch gegen Stellantis geklagt werden.
- Das Landgericht Stade verurteilte am 17. August 2021 den Händler eines Wohnmobils zur Zahlung von Schadensersatz, weil das Fahrzeug mangelhaft war ( 2 O 175/21). Der Halter kann sein Fahrzeug bei dem sogenannten kleinen Schadensersatz behalten. Den kleinen Schadensersatz hatte Dr Stoll & Sauer am Bundesgerichtshof in einem VW-Fall erstritten.
- Das Landgericht Oldenburg ordnete am 2. September 2021 die Neulieferung eines mangelfreien Wohnmobils an ( 4 O 767/21). Befindet sich ein Neufahrzeug in der zwei Jahre andauernden Gewährleistung, so wird neben FCA/Stellantis auch in der Regel der Händler verklagt. Der Bundesgerichtshof hatte im VW-Abgasskandal die Form der Neulieferung bestätigt.
- Das Landgericht Münster will beim KBA Auskunft über den Stand der Ermittlungen einholen.
- Das Landgericht Kempten stellt die Einholung eines Gutachten in Aussicht, falls FCA/Stellantis die Vorwürfe der Abgasmanipulation bestreitet. Dem sieht Dr. Stoll & Sauer gelassen entgegen. Mehrere Gutachten außerhalb von Gerichtsverfahren weisen derzeit darauf hin, dass Wohnmobile die Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalten.
- Am Landgericht Flensburg sieht die vierte Zivilkammer starke Indizien für eine unzulässige Abschalteinrichtung im Fiat-Motor. Das Argument Motorschutz will das Gericht in einer ersten Stellungnahme wohl nicht gelten lassen (Az. 4 O 232/21).
- Das Landgericht Saarbrücken lässt ein Gutachten zum Wohnmobil Columbus 640E von Westfalia einholen. Der Stickoxidausstoß soll überprüft werden (Az. 12 O 18/21).
- Das Landgericht Ansbach hat mit Beschluss vom 14. Dezember 2021 ein Gutachten in Auftrage gegeben, das herausfinden soll, ob „in dem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen vorhanden sind“ (Az. 3 O 761/21).
- Das KBA hat im Februar 2021 einen Rückruf zum Iveco-Motor Daily erlassen – allerdings nicht verpflichtend. „Durch eine ungeeignete Software können Störungen auftreten, durch die sich die Verringerung von Stickoxiden gegebenenfalls verschlechtert“, heißt es verklausuliert im KBA-Deutsch. Die Daily ist in vielen Wohnmobilen verbaut worden. Und Iveco gehört zum weitverzweigten Fiat-Imperium.
- Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat Informationen, wonach es bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt „amtsbekannt“ ist, dass Fiat-Motoren manipuliert worden sind.
- Das KBA hat durch eigene Untersuchungen festgestellt, dass Wohnmobile die Abgasgrenzwerte im realen Straßenverkehr nicht einhalten. Daher prüft die Behörde derzeit Konsequenzen. Nach EU-Recht hat das KBA sogar die Möglichkeit, betroffene Fahrzeuge stillzulegen.
- Mittlerweile versuchen Wohnmobilhändler sich außergerichtlich mit geschädigten Kunden zu einigen.
- Fiat Chrysler hat in einem Verfahren der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer den Einbau der sogenannten Zeitschaltuhr zugestanden. Der Einsatz des Timers führt dazu, dass die Abgasreinigung nach 22 Minuten ausgeschalten wird. Grund dafür: Die meisten Fahrten, so die Fiat-Anwälte, dauerten nicht länger als 22 Minuten.