Erster Abgasskandal um VW-Motor EA189 erlebt sein Comeback
Der für Medien, Hersteller und Verbraucher scheinbar zu den Akten gelegten Diesel-Abgasskandal erlebt derzeit sein Comeback. Wie kam es dazu?
- Der Bundesgerichtshof (BGH) musste im Sommer 2023 seine Diesel-Rechtsprechung nach etlichen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshof (EuGH) verbraucherfreundlich korrigieren. Auch Fiat ist im Wohnmobil-Abgasskandal erstmals am BGH verurteilt worden. Mittlerweile gilt vor Gerichten bei Schadensersatzklagen die BGH-Formel „unzulässige Abschalteinrichtung im Diesel = Schadensersatz“. Und dabei genügt fahrlässiges Handeln der Hersteller bereits für eine Verurteilung. Der Nachweis von Vorsatz und Sittenwidrigkeit ist nicht mehr notwendig. Mehr Informationen zu den Entwicklungen am EuGH und BGH gibt es auf unseren Spezial-Websites zum Diesel-Abgasskandal.
- Im Mittelpunkt dieser ganzen Verfahren stand stets die Abschalteinrichtung „Thermofenster“, die die Abgasreinigung von der Außentemperatur abhängig manipuliert. Und auf diese Weise ist der erste Diesel-Abgasskandal um den VW-Motor EA189 auf einmal wieder aktuell geworden. Denn mit einem Thermofenster als Software-Update versuchte VW, die im September 2015 aufgeflogene Abgasmanipulation zu beheben.
- Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) erkannt die erneute Manipulation, zog jahrelang vor Gericht – sogar bis zum EuGH - und bekam jetzt in dem aktuellen Verfahren vor dem VG Schleswig Recht.
- Es ging in dem Verfahren um 62 Pkw-Diesel-Modellvarianten des VW-Konzerns. Die Fahrzeuge von VW, Audi und Seat haben im Zuge des im September 2015 bekannt gewordenen VW-Abgasskandals ein Software-Update in Gestalt eines „Thermofensters“ erhalten. Bereits vor einem Jahr hatte das VG Schleswig das Software-Update eines VW-Golfs mit dem Motor EA189 für illegal erklärt. Das aktuelle Urteil bestätigt die Argumentation der DUH vollständig, wie die DUH mitteilte. Die Abgasreinigung bei Diesel-Fahrzeugen muss zwischen minus 15 Grad Celsius bis plus 40 Grad funktionieren, so das VG Schleswig nach einer Mitteilung der DUH. Abschalteinrichtungen, die unter 10 Grad Außentemperatur, nach 15 Minuten Leerlauf oder oberhalb von 1.000 Metern Höhe die Reinigung der Abgase runterfahren oder ganz abschalten, seien unzulässig. Dass das KBA dies über Jahre geduldet hat, war rechtswidrig. Das Gericht hob die Freigabebescheide der Behörde für alle betroffenen Diesel-Fahrzeuge des VW-Konzerns mit dem EA189-Motor auf.
- Gleichzeitig hat das Gericht das KBA dazu verpflichtet, gegen den VW-Konzern tätig zu werden, damit die Abschalteinrichtungen entfernt werden.
- Die DUH fordert nun die sofortige Anordnung einer Hardware-Nachrüstung oder eine Stilllegung der Autos mit Entschädigung der Kunden auf Kosten der Autobauer.
- Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Das vorliegende Urteil und die Entwicklungen der vergangenen Monate lassen die Chancen der Verbraucher auf Schadensersatz enorm ansteigen. Warum ist das so?
- Das aktuelle Urteil hat nicht nur Auswirkungen auf Fahrzeuge aus dem VW-Konzern, sondern auch für alle gängigen Fahrzeughersteller, die Thermofenster zum Einsatz bringen, wie beispielsweise VW, Mercedes, Opel, BMW, Fiat, Porsche, Audi und Toyota.
- Neue Rückrufe könnten obligatorisch sein, und die Gefahr von Stilllegungen steigt. Eine neue Klagewelle lässt sich kaum verhindern.
- Insgesamt geht die DUH von rund 8,6 Millionen Diesel-Fahrzeugen deutscher, europäischer und internationaler Diesel-Hersteller aus, die mit ähnlich unzulässigen Abschalteinrichtungen in Deutschland noch in Betrieb sind.
- In den kommenden Monaten wird das VG Schleswig sich mit weiteren Klagen der DUH gegen die Bundesregierung zu Diesel-Fahrzeugen von Mercedes-Benz, Porsche, BMW, Fiat und 15 weiteren Herstellern beschäftigen.