LG Stuttgart: FCA verbaut im Abgasskandal unzulässige Abschalteinrichtung
Vor etwas mehr als zwei Jahren hat die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer die erste Klage gegen Fiat Chrysler im Wohnmobil-Abgasskandal eingereicht. Und jetzt setzt sich an deutschen Gerichten eine verbraucherfreundliche Rechtsprechung durch. Schon am 24. Februar 2022 kündigte das OLG Köln die Zurückweisung einer Berufung von FCA gegen ein verbraucherfreundliches Urteil an (Az. 28 U 55/21). Das OLG München hat am 3. August 2022 in einem Verfahren der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer klar gemacht, dass FCA eine unzulässige Abschalteinrichtung im Wohnmobil Boxstar 600 Solution 4 von Knaus verbaut hat und damit dem Kläger Schadensersatz zusteht. Das OLG München erkennt die drohende Gefahr der Stilllegung des Wohnmobils. Damit läuft alles auf eine Verurteilung von FCA heraus (Az. 36 U 3000/22). Und jetzt auch das Landgericht Stuttgart FCA zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Die Verbraucherkanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst die wichtigsten Fakten zum Verfahren am LG Stuttgart zusammen:
- Der Kläger kaufte im Januar 2015 das Wohnmobil „ B 504 B20“ des Herstellers Hymer neu für 70.300 Euro. Das Wohnmobil ist mit einem für das Basisfahrzeug Fiat Ducato typischen 2,3-Liter-Motor mit 130 PS ausgestattet und verfügt über die Abgasnorm Euro 5b. Die Motorkennung lautet: F1AE3481D.
- Der Verbraucher verlangt in seiner Klage von FCA die Rücknahme des Fahrzeugs sowie die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung.
- In dem Basisfahrzeug des Wohnmobils sollen mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut sein. Eine Zeitschaltuhr beendet nach rund 22 Minuten die Abgasreinigung des Motors. Die Prüfstandkontrolle dauert etwas weniger als 22 Minuten. Darüber hinaus regelt ein sogenanntes Thermofenster die Abgasreinigung aufgrund der Außentemperatur.
- Das LG Stuttgart machte in seiner Urteilsbegründung vom 11. August 2022 Folgendes klar:
- FCA hat den Verbraucher sittenwidrig und vorsätzlich nach §826 BGB geschädigt. Dem Verbraucher steht Schadensersatz zu.
- Der Ducato verfügt über unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007. Hier bezieht sich das Gericht vor allem auf die Timerfunktion im Motor des Ducatos. Dass die Abgasreinigung nach 22 Minuten abschaltet und diese Zeit im Zusammenhang mit der Dauer der Prüfstandkontrolle steht, ist aus Sicht des Gerichts eindeutig. Das Gericht zieht zur Beurteilung auch ein VW-Urteil des Bundesgerichtshofes heran. Fiat ist mit VW vergleichbar.
- Das von FCA vorgetragenen Motorschutz-Argument entkräftige das Gericht mit den Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Der hat mit Urteil vom 14. Juli 2022 (Az. C-128/20) festgestellt, dass Abschalteinrichtungen dazu dienen, die Abgasreinigung für den Prüfzyklus zu verändern. Das Gericht geht daher von einer prüfstandoptimierten Abgasreinigung beim Ducato-Motor aus. Das Motorschutzargument zieht nur, wenn für Fahrzeug und Fahrer Gefahr besteht. Eine Motorverdreckung gehört da nicht hinzu.
- Einer Verurteilung von FCA steht auch nicht die Typengenehmigung der italienischen Zulassungsbehörde entgegen. Denn es entfällt die Tatbestandswirkung einer Typengenehmigung jedenfalls dann, wenn diese arglistig oder jedenfalls mit falschen oder unrichtigen Angaben erwirkt worden ist.
- Die von FCA ins Verfahren eingebrachte Verjährung verneinte das Gericht. FCA sieht den Skandal schon 2016 in der Öffentlichkeit stehen. Das Gericht ließ das Argument nicht gelten. Es müsste für Verbraucher zwar klar gewesen sein, dass auch andere Hersteller als VW ebenfalls in den Skandal verwickelt sein müssten, doch das rechtfertige nicht die Annahme, dass Fiat-Kunden Bescheid gewusst haben müssten.
- Das Gericht geht bei der Ermittlung der Nutzungsentschädigung von einer Nutzungsdauer des Wohnmobils von 15 Jahren aus. FCA hatte auf 10 Jahren plädiert und eine Gesamtlaufleistung von 200.000 Kilometer.
- Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Mit zahlreichen Urteilen an Landgerichten und der aktuellen rechtlichen Würdigung des Oberlandesgerichts München ist die juristische Aufarbeitung des Abgasskandals bei FCA/Stellantis erneut verbraucherfreundlich weitergekommen. Die Chancen auf Schadensersatz steigen derzeit enorm. Zudem ist am Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein Verfahren anhängig, in dem der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen am 2. Juni 2022 vorgeschlagen hat, dass Verbraucher generell Schadensersatz zustehen soll, sobald eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden ist (Az. C-134/20). Einen Vorsatz, wie ihn der Bundesgerichtshof verlangt, sei nicht erforderlich. Auch bei der Nutzungsentschädigung, die oftmals den Schadensersatz kompensiert, vertritt der EuGH-Generalanwalt eine andere Meinung als der BGH. Die Festlegung der Art und Weise der Schadensberechnung sei zwar Sache der Mitgliedstaaten; die Haftung müsse aber abschrecken und dem Effektivitätsgebot angemessen Rechnung tragen. Eine den (Kaufpreis-)Schaden ausschließende Anrechnung der Nutzung sei mit dem Unionsrecht deshalb unvereinbar. Hier bahnt sich eine neue Rechtsprechung an, an die sich auch der BGH halten muss. Die meisten Landgerichte und Oberlandesgerichte warten daher mit ihren Diesel-Urteilen ab, bis der EuGH entschieden hat. Der EuGH gilt generell als verbraucherfreundlich. Mit einer Entscheidung wird gegen Ende des Jahres gerechnet.
Daher rät die Kanzlei betroffenen Verbrauchern zur anwaltlichen Beratung. Geschädigte müssen durch die Folgen und Auswirkungen des Abgasskandals mit enormen Geldeinbußen kämpfen: Ihnen drohen Fahrverbote, Stilllegungen und Wertverluste, sofern sie die Ansprüche nicht rechtzeitig vor Gericht geltend machen. Verbraucher sollten eine Individualklage erheben. Die Chancen stehen nach aktueller Rechtsprechung sehr gut. Im kostenfreien Online-Check lässt sich der richtige Weg aus dem Dieselskandal herausfinden. Wir prüfen Ihren konkreten Fall und geben Ihnen eine Ersteinschätzung, bevor wir uns auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den Autobauer einigen.