EuGH-Rechtsprechung erhöht Erfolgsaussichten von Diesel-Klagen
Rechtsschutzversicherer wie ADAC, Auxilia und jetzt die ARAG waren der Überzeugung, dass der Diesel-Abgasskandal bereits vorbei sei. Daher verweigerte auch ARAG wegen unzureichender Erfolgsaussichten die Deckungszusage für eine Diesel-Klage. Die verbraucherunfreundlichen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs trugen zu dieser Annahme bei. Jedoch hat sich aufgrund von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nun der Wind gedreht. Das Landgericht Düsseldorf entschied zugunsten einer Deckungsklage gegen die ARAG-Versicherung. Das Gericht erkannte "hinreichende Erfolgsaussichten" für die Klage gegen den Autohersteller Audi. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer gibt eine kurze Zusammenfassung des Verfahrens und des Urteils.
- Ein Verbraucher kaufte im Dezember 2015 einen gebrauchten Audi A6 für 36.350 Euro mit dem Motor EA896. Am Landgericht Bonn wollte er 2019 seine Schadensersatzansprüche gegen Audi mit der Begründung geltend machen, dass die dort Verantwortlichen den PKW mit unzulässigen Abschalteinrichtungen unter anderem mit einem sogenannten "Thermofenster" versehen und ihn dadurch vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt hätten. Das Landgericht Bonn wies die Klage 2021 ab.
- Die Rechtsschutzversicherung der ARAG verweigerte im Mai 2021 für die Berufung die Deckungszusage mit der Begründung, es gebe keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Den sogenannten Stichentscheid – eine Art Gutachten zu den Erfolgsaussichten – lehnt ARAG jedoch ab. Daraufhin reichte der Verbraucher eine Deckungsklage ein.
- Das LG Düsseldorf wertete jedoch die Sachlage anders. Zum einen besteht für den Rechtsschutzfall Versicherungsschutz. Zum anderen sieht das Gericht Erfolgsaussichten für die Klage. Der Verbraucher, so das Gericht in seiner Urteilsbegründung, „behaupte, das Fahrzeug verfüge über verschiedene illegale Abschalteinrichtungen. So seien ein Thermofenster und eine Lenkwinkelerkennung programmiert, die zur Folge hätten, dass die Abgasreinigung im Prüfbetrieb zu einem niedrigeren Stickstoffausstoß führe. Jedenfalls die Entscheidung des EuGH vom 21.03.2023 rechtfertige die Annahme von Erfolgsaussichten für das Klageverfahren.“ Und der EuGH hat in seiner Entscheidung immer wieder betont, dass Thermofenster illegale Abschalteinrichtungen darstellen und den Verbrauchern daher Schadensersatzansprüche zustehen.
- Gegen das Urteil kann noch Berufung eingelegt werden.
Verbraucherfreundliche Entwicklung im Diesel-Abgasskandal
Es sind immer noch etwa 2.100 Verfahren beim Bundesgerichtshof (BGH) und schätzungsweise fast 100.000 anhängige Klagen bei unteren Instanzen, die sich knapp acht Jahre nach Beginn des Diesel-Abgasskandals mit Schadensersatzklagen gegen Autohersteller beschäftigen. In den vergangenen Monaten sind die Erfolgsaussichten der Verbraucher enorm gestiegen. Die Rechtsschutzversicherer müssen dies anerkennen und die Deckung für die Dieselverfahren übernehmen. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer gibt einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen.
- Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 21. März 2023 dem Diesel-Abgasskandal neuen Schwung verliehen und die Klagemöglichkeiten für Verbraucher deutlich erleichtert. Damit hat der EuGH der bisherigen Rechtsprechung des BGH deutlich widersprochen (Az.: C-100/21). Während der BGH stets den Nachweis von Sittenwidrigkeit und Vorsatz für Schadensersatz forderte, genügt dem EuGH bereits fahrlässiges Handeln. Da der Nachweis der Fahrlässigkeit einfacher ist als der des vorsätzlichen Handelns, wird es für Verbraucher einfacher, ihre Rechte geltend zu machen. Immerhin können Verbraucher nicht in die internen Unternehmensabläufe einsehen.
- Aus diesem Grund hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 8. Mai 2023 versucht, seine Position neu zu definieren. Der Diesel-Senat des BGH neigt nach ausgiebigen Verhandlungen zu einer neuen, verbraucherfreundlichen Rechtsprechung. Verbraucher könnten den durch Abgasmanipulation verursachten Wertverlust erstattet bekommen und ihr Fahrzeug behalten. Obwohl noch viele Fragen offen sind, ist die Richtung klar: Es wird eine neue Art von Schadensersatz geben, die Verbrauchern den Zugang zu ihrem Recht erleichtert. Eine neue Klagewelle ist möglich, und aufgrund der stark gestiegenen Erfolgsaussichten müssen die Versicherer die Klagen decken. Die endgültige Entscheidung des BGH wird am 26. Juni 2023 verkündet.
- Spätestens als das Verwaltungsgericht Schleswig am 20. Februar 2023 das Software-Update für den VW-Skandalmotor EA189 aufhob und als illegal erklärte, war klar, dass der Diesel-Abgasskandal erneut aufgerollt werden muss (Az.: 3 A 113/18). Das Update enthielt ein Thermofenster, das die Abgasreinigung je nach Außentemperatur regelt und somit deaktiviert. Der EuGH hatte mit verschiedenen Urteilen zum Thermofenster den Weg für diese Entscheidung geebnet.
- Das Verwaltungsgericht Schleswig machte auch deutlich, dass die Zulassungsbehörde sicherstellen muss, dass die Fahrzeuge wieder in einen gesetzeskonformen Zustand gebracht werden. Das bedeutet, dass Stilllegungen oder der Entzug der Typgenehmigung möglich sind. Verbraucher sollten daher schnell handeln und Klage gegen den Fahrzeughersteller ihres Diesel-Fahrzeugs einreichen, da in nahezu allen Modellen Thermofenster verbaut sind.
- Zusätzlich zu diesen verbraucherfreundlichen Entwicklungen vor Gericht gibt es noch die von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) veröffentlichten Bosch-Papiere. Aus diesen Dokumenten geht eindeutig hervor, dass alle Hersteller beim Automobilzulieferer Abschalteinrichtungen bestellt haben, um die gesetzlichen Abgasnormen zu umgehen. Bosch hat die Hersteller darauf hingewiesen, dass diese Abschalteinrichtungen nicht den Vorschriften entsprechen. Mehr zu den Bosch-Papers gibt es auf unserer Spezial-Website.