Seit Sommer 2020 ermittelt Staatsanwaltschaft Frankfurt gegen FCA
Fiat-Kunden stehen seit Sommer 2020 unter Schock. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt durchsuchte vor knapp zwei Jahren Büroräume von Fiat und Iveco. Der Verdacht: Abgasmanipulation im großen Stil. Ermittlungsergebnisse liegen öffentlich derzeit zwar noch keine vor, trotzdem ist klar, dass der Autokonzern FCA von einem ausgewachsenen Diesel-Abgasskandal betroffen ist. Ganz offensichtlich manipuliert der Autobauer die Abgasreinigung in seinen Motoren so, dass die EU-Grenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten werden. Fiat und Iveco verkaufen Fahrgestelle und Motoren an Herstellern von Reise- und Wohnmobilen. Zum Iveco Daily liegt mittlerweile ein Rückruf beim Kraftfahrt-Bundesamt vor. Damit hat der Diesel-Abgasskandal von FCA Einzug in eine gerade durch die Corona-Pandemie boomende Branche gehalten. Am 3. August 2020 hat Dr. Stoll & Sauer bereits die erste Klage in Deutschland im Abgasskandal gegen FCA am eingereicht. Mittlerweile sind weit über 1000 Klagen der Kanzlei gegen FCA an deutschen Gerichten anhängig. Erste verbraucherfreundliche Urteile konnte die Kanzlei erringen. Auch steigt die Anzahl von Gutachten, die durch Gerichte in Auftrag gegeben worden sind. Der Skandal ist an den Gerichten angekommen.
Landgericht Stuttgart sieht Gefahr der Fahrzeug-Stilllegung
Ein verbraucherfreundliches Urteil hat das Landgericht Stuttgart am 14. April 2022 gegen FCA gesprochen (Az. 20 O 147/21). Bei dem von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer erstrittenen Urteil handelt es sich nicht um ein Versäumnisurteil. FCA hatte sich der Klage gestellt und sich geäußert. Das Gericht machte klar, dass dem Verbraucher durch Fiat Chrysler ein Schaden entstanden sei. Hier die wichtigsten Fakten zum Urteil am Landgericht Stuttgart:
- Der Kläger kaufte im März 2018 das Wohnmobil „Ayers Rock“ des Herstellers Hymer gebraucht für 43.000 Euro. Das Fahrzeug ist mit einem für das Basisfahrzeug Fiat Ducato typischen 2,3-Liter-Motor mit 130 PS ausgestattet und verfügt über die Abgasnorm Euro 5b. Motorkennung: F1AE3481D.
- Das Gericht folgte in wesentlichen Punkten den Anträgen des Klägers und verurteilte FCA nach §823 BGB zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 37.936,07 Euro. Der Verbraucher muss das Fahrzeug im Gegenzug zurückgeben. Der Kläger hat aus Sicht des Gerichts schlüssig vorgetragen, dass Fiat Chrysler im Basisfahrzeug des Wohnmobils Ayers Rock von Hymer eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut hat, die dazu führt, dass die Abgaswerte auf dem Prüfstand auf das gesetzlich vorgeschriebene Maß optimiert werden. Im realen Straßenbetrieb wird dann die Umwelt verpestet und die Gesundheit der Menschen gefährdet. Die Abgasreinigung wird durch eine sogenannte Zeitschaltuhr nach rund 22 Minuten ausgeschalten. Darüber hinaus ist im Motor noch ein Thermofenster verbaut, dass die Abgasreinigung abhängig von der Außentemperatur regelt – sprich ausschaltet. Das On-Board-Diagnosesystem muss auch manipuliert worden sein, ansonsten hätte es die falschen Abgaswerte angemahnt. Das Gericht wertete diese Steuerung als unzulässige Abschalteinrichtung.
- Das Gericht stellte in seinem Urteil fest, dass das Fahrzeug nicht der EU-Verordnung EG 715/2007 entspricht, wonach dieses bei normalen Betriebsbedingungen die Grenzwerte des Anhangs I der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht überschreiten dürfe. FCA hätte im Verfahren nur darauf beharrt, dass bei Tests die Abgasgrenzwerte eingehalten werden. „Auf Nachfrage hat sich die Beklagtenseite nicht dazu positioniert, ob ihre Angabe, wonach das streitgegenständliche Fahrzeug den relevanten Stickoxidgrenzwert einhalte, auch mit Blick auf den realen Straßenverkehr gilt“, betonte das Gericht in der Urteilsbegründung. Die höchstrichterliche Rechtsprechung sieht jedoch vor, dass die Grenzwerte auch im realen Betrieb eingehalten werden müssen (EuG vom 23. Dezember 2018, Az. T 339/16 und BGH vom 8. Januar 2019, Az. VIII ZR 225/17).
- Beim Thema Motorschutz, der von Autobauern generell argumentativ für ein Einbau von Abschalteinrichtungen vorgetragen wird, blieb das Gericht unnachgiebig. Aus der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 gehe klar hervor, dass der Hersteller mit Hilfe technischer Maßnahmen sicherstellen müsse, dass die Auspuff- und Verdunstungsemissionen während der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeuges bei normalen Nutzungsbedingungen entsprechend wirkungsvoll begrenzt werden. Alles andere ergäbe keinen Sinn und würde die Verordnung ins Leere laufen lassen.
- Dem Kläger ist aus Sicht des Gerichts beim Kauf ein Schaden entstanden. Das Gericht machte deutlich, dass dem Fahrzeug durch die Abschalteinrichtungen jeder Zeit die Zulassung entzogen werden könne und daher eine Stilllegung drohe.
- Das Gericht ging von der Gesamtlaufleistung des Motors von 250.000 Kilometern aus. Der Kläger muss sich eine Nutzungsentschädigung für das Fahrzeug anrechnen lassen.
- Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Für die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer ist die Beweislast gegen den Autobauer mittlerweile erdrückend. Alleine die Vorkommnisse bis ins Jahr 2020 müssten für eine Verurteilung von FCA genügen. Über 1000 Klagen hat die Kanzlei mittlerweile gegen FCA, Iveco und Fahrzeughändler bundesweit eingereicht. Hier eine kurze Zusammenfassung der aktuellen Entwicklungen:
- Fiat Chrysler Automobiles (FCA/ jetzt: Stellantis) muss laut Urteil des Landgerichts Landshut vom 18. März 2022 für ein Wohnmobil der Marke Challenger Schadensersatz in Form einer Preisminderung in Höhe von rund 9740,63 Euro zahlen (Az. 54 O 1306/21).
- Mit Köln hat sich das erste Oberlandesgericht im Diesel-Abgasskandal von Fiat Chrysler Automobiles (FCA/ jetzt: Stellantis) verbraucherfreundlich positioniert. In einem Beschluss vom 24. Februar 2022 kündigte das OLG Köln an, dass es beabsichtige, die Berufung von FCA gegen ein Urteil des Landgerichts Aachen zurückweisen zu wollen (Az. 28 U 55/21).
- Das Landgericht Landau hat Fiat Chrysler am 6. Dezember 2021 zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 48.155,93 Euro verurteilt ( 2 O 169/21). Das Urteil ist das erste Nicht-Versäumnisurteil im Abgasskandal von Fiat.
- Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat mehrere verbraucherfreundliche Urteile in erster Instanz erstritten. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Einige Verfahren befinden sich an Oberlandesgerichten in der Berufung.
- Das Landgericht Nürnberg hat mit Entscheidung vom 9. Juli 2021 festgestellt, dass die Holding Stellantis in der Rechtsnachfolge von Fiat Chrysler Automobiles (FCA) steht ( 19 O 737/21). Stellantis war Anfang des Jahres durch die Fusion von FCA und des französischen Konzerns PSA entstanden. Damit kann auch gegen Stellantis geklagt werden.
- Das Landgericht Stade verurteilte am 17. August 2021 den Händler eines Wohnmobils zur Zahlung von Schadensersatz, weil das Fahrzeug mangelhaft war ( 2 O 175/21). Der Halter kann sein Fahrzeug bei dem sogenannten kleinen Schadensersatz behalten. Den kleinen Schadensersatz hatte Dr Stoll & Sauer am Bundesgerichtshof in einem VW-Fall erstritten.
- Das Landgericht Oldenburg ordnete am 2. September 2021 die Neulieferung eines mangelfreien Wohnmobils an ( 4 O 767/21). Befindet sich ein Neufahrzeug in der zwei Jahre andauernden Gewährleistung, so wird neben FCA/Stellantis auch in der Regel der Händler verklagt. Der Bundesgerichtshof hatte im VW-Abgasskandal die Form der Neulieferung bestätigt.
- Das Landgericht Münster will beim KBA Auskunft über den Stand der Ermittlungen einholen.
- Das Landgericht Kempten stellt die Einholung eines Gutachten in Aussicht, falls FCA/Stellantis die Vorwürfe der Abgasmanipulation bestreitet. Dem sieht Dr. Stoll & Sauer gelassen entgegen. Mehrere Gutachten außerhalb von Gerichtsverfahren weisen derzeit darauf hin, dass Wohnmobile die Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalten.
- Am Landgericht Flensburg sieht die vierte Zivilkammer starke Indizien für eine unzulässige Abschalteinrichtung im Fiat-Motor. Das Argument Motorschutz will das Gericht in einer ersten Stellungnahme wohl nicht gelten lassen (Az. 4 O 232/21).
- Das Landgericht Saarbrücken lässt ein Gutachten zum Wohnmobil Columbus 640E von Westfalia einholen. Der Stickoxidausstoß soll überprüft werden (Az. 12 O 18/21).
- Das Landgericht Ansbach hat mit Beschluss vom 14. Dezember 2021 ein Gutachten in Auftrage gegeben, das herausfinden soll, ob „in dem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen vorhanden sind“ (Az. 3 O 761/21).
- Das KBA hat im Februar 2021 einen Rückruf zum Iveco-Motor Daily erlassen – allerdings nicht verpflichtend. „Durch eine ungeeignete Software können Störungen auftreten, durch die sich die Verringerung von Stickoxiden gegebenenfalls verschlechtert“, heißt es verklausuliert im KBA-Deutsch. Die Daily ist in vielen Wohnmobilen verbaut worden. Und Iveco gehört zum weitverzweigten Fiat-Imperium.
- Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat Informationen, wonach es bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt „amtsbekannt“ ist, dass Fiat-Motoren manipuliert worden sind.
- Das KBA hat durch eigene Untersuchungen festgestellt, dass Wohnmobile die Abgasgrenzwerte im realen Straßenverkehr nicht einhalten. Daher prüft die Behörde derzeit Konsequenzen. Nach EU-Recht hat das KBA sogar die Möglichkeit, betroffene Fahrzeuge stillzulegen.
- Mittlerweile versuchen Wohnmobilhändler sich außergerichtlich mit geschädigten Kunden zu einigen.
- Fiat Chrysler hat in einem Verfahren der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer den Einbau der sogenannten Zeitschaltuhr zugestanden. Der Einsatz des Timers führt dazu, dass die Abgasreinigung nach 22 Minuten ausgeschalten wird. Grund dafür: Die meisten Fahrten, so die Fiat-Anwälte, dauerten nicht länger als 22 Minuten.