Dr. Stoll & Sauer kritisiert BGH-Urteil wegen neuer Fristsetzung
Der BGH hat seit Mai 2020 schon zahlreiche Urteile im Diesel-Abgasskandal verkündet. Bisher ging es immer um VW als Hersteller der Fahrzeuge. In den aktuellen vier Fällen stehen Händler im Fokus der Klagen (Az. VIII ZR 254/20; VIII ZR 118/20; VIII ZR 275/19; VIII ZR 357/20). In allen Verfahren geht es um das Thema Ersatzlieferung für manipulierte VW-Diesel mit dem Skandal-Motor EA189. Verbraucher haben das Recht beim Kauf auf mangelfreie Fahrzeuge. Bei Kauf eines Neuwagens besteht in der zweijährigen Gewährleistung die Möglichkeit, ein mangelfreies Ersatzfahrzeug einzufordern. Bei den Fahrzeugen in den BGH-Verfahren war die Gewährleistungsfrist der Modelle jedoch längst abgelaufen. Die Händler verzichteten jedoch auf die Einrede der Verjährung. Die Frage war: Ist die Neulieferung von teureren Fahrzeugen trotzdem angemessen? Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst das Urteil kurz zusammen:
- Grundsätzlich gilt für den BGH, dass Verbraucher bei mangelhaften Neufahrzeugen im Rahmen ihrer Gewährleistungsrechte die Ersatzlieferung eines zwischenzeitlich hergestellten Nachfolgemodells verlangen können. Dies gilt aber nur für den Fall, „dass er einen entsprechenden Anspruch innerhalb von zwei Jahren ab Vertragsschluss gegenüber seinem Verkäufer geltend macht“, heißt es in der Pressemitteilung (140/2021) des Gerichts.
- Zudem hat der Verbraucher keinen Ersatz für die Nutzung des ursprünglich gelieferten Fahrzeugs zu leisten. Aus Sicht der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer ist das der verbraucherfreundliche und positives Aspekt des Urteils.
- Allerdings hat der BGH nach Ansicht von Dr. Stoll & Sauer eine neue Frist erfunden, die weder im Gesetz noch von den am Verfahren beteiligten Parteien gefordert worden war. Gesetzlich gilt bisher, dass die Gewährleistung ab Fahrzeugübergabe beginnt zu laufen (BGB § 438). In der Pressemitteilung ist jetzt von „zwei Jahren ab Vertragsschluss“ die Rede. Muss jemand auf sein bestelltes Fahrzeug zwei Jahre warten und der Kaufvertrag somit zustande gekommen, ist die Gewährleistung vorbei. So hat sich das der Gesetzgeber bestimmt nicht vorgestellt. Hier wird der Eindruck erweckt, dass ein bestimmtes Ergebnis aus politischer Sicht erzielt werden sollten und dafür die juristische Begründung für die Industrie zurechtgebogen worden ist.
- Solche verbraucherfeindlichen Vorgehensweisen sind kein Einzelfall. Erst am 23. Juni 2021 hatte die Kanzlei Dr. Soll & Sauer mit 72 anderen Verbrauchanwälten eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Vorsitzenden Richter des VI. Sentas am BGH eingereicht. Die Anwälte werfen Richter Stephan Seiters „dienstliches Fehlverhalten“ vor. Er soll Oberlandesgerichte gedrängt haben, Dieselverfahren zu verzögern, bis höchstrichterlich entschieden worden sei. Seiters leitet den Senat, der die VW-Verfahren betreut. Durch seine Intervention bleiben Diesel-Verfahren an Gerichten liegen, und Verbraucher bezahlen das mit steigenden Nutzungsentgelten, die ihre Schadensersatz mindern. Die Nutznießer solcher Aktionen ist die Industrie.
- Auch sieht der BGH in dem aktuellen Urteil bei der Beschaffung eines neuwertigen Nachfolgemodells in zeitlicher Hinsicht Beschränkungen. In den vorliegenden Fällen hält das Gericht den Nachlieferungsanspruch für ausgeschlossen, „weil einerseits die ursprünglich erworbenen Fahrzeugmodelle nicht mehr hergestellt werden, die Käufer aber andererseits eine Nachlieferung des entsprechenden Nachfolgemodells von ihren Verkäufern erst nach rund sieben beziehungsweise acht Jahren nach dem Kauf verlangt haben“. Allerdings hatten die beklagten Händler auf die Einrede der Verjährung verzichtet.
- Der 8. Zivilsenat hatte sich Anfang 2019 mit einem sogenannten Hinweisbeschluss bereits zum Thema zu Wort gemeldet und damals bereits klar gemacht, dass Verbraucher, die einen Neuwagen kauften, in der zweijährigen Gewährleistung ein Recht auf Ersatzlieferung haben. Sie können wählen, ob der Händler den Mangel beheben oder das Auto austauschen soll. Im Falle einer Nachlieferung müssten sie für die Nutzung des zunächst gelieferten mangelhaften Fahrzeugs nicht einmal eine Nutzungsentschädigung bezahlen.
- Insofern hätte eine Verurteilung der Händler kein Problem sein sollen. Allerdings waren bei Klageerhebung die Autos bereits sieben oder acht Jahre alt – also die Gewährleistung abgelaufen. Die Händler hatten sich jedoch alle nicht auf die Verjährung berufen. Da sich die streitgegenständlichen Modelle nicht mehr auf dem Markt befinden, hätten die Kläger nur neuere und oft teurere Fahrzeuge erhalten können. In zwei Fällen aus dem Saarland und Schleswig-Holstein hatten die Oberlandesgerichte den Austausch für unverhältnismäßig gehalten und die Kläger auf das Software-Update verwiesen. Das OLG Köln sprach den beiden anderen Klägern den geforderten Neuwagen zu: Es stehe nicht fest, dass durch das Update keine Probleme entstünden.
Um als geschädigter Verbraucher im Diesel-Abgasskandal beispielsweise von VW, Mercedes, Fiat Chrysler/Stellantis und Iveco seine Ansprüche durchzusetzen, gibt es neben der Möglichkeit den Autohersteller zu verklagen auch die Chance, die Gewährleistung in Anspruch zu nehmen und so sein manipuliertes Fahrzeug zurückzugeben. Denn jeder Verkäufer ist verpflichtet, seinen Kunden die gekaufte neue Ware frei von Mängeln zu übergeben. Geschieht dies nicht, haben Verbraucher einen gesetzlichen Anspruch auf Gewährleistung gegenüber dem Verkäufer (§§ 437, 438 BGB). Hier die wichtigsten Fakten zur Gewährleistung:
- Der Bundesgerichtshof (BGH) hat bereits 2019 illegale Abschalteinrichtungen im Fall von VW als Sachmangel eingestuft. Dabei kann sogar die Neulieferung eines mangelfreien Fahrzeugs am Ende des Verfahrens stehen. Auch dazu gibt es im VW-Fall genügend Beispiele und Urteile. Diese Rechtsprechung greift natürlich auch bei anderen im Abgasskandal verwickelten Herstellern wie Mercedes, Fiat-Chrysler und Iveco.
- Die Gewährleistungsdauer bei neu gekauften Waren – also auch Fahrzeugen - beträgt 2 Jahre. Bei der Gewährleistung ist es besonders unkompliziert, sein manipuliertes Fahrzeug loszuwerden. Der BGH hat 2019 illegale Abschalteinrichtungen als Sachmangel bezeichnet. Klagt der Verbraucher gegen Fiat-Chrysler, so muss er die vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB erst noch nachweisen. Bei der Gewährleistung genügt das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung, um ans Ziel zu kommen.
- Verwechselt darf die Gewährleistung nicht mit der Garantie werden. Eine Garantieist eine freiwillige Leistung - meist des Herstellers. Der Garantiegeber verpflichtet sich grundsätzlich zu einem bestimmten Handeln in einem bestimmten Fall. Die Erklärung einer Garantie ist freiwillig und dient dazu, das Vertrauen des Kunden zu stärken. Die Garantie beinhaltet also eine freiwillige Selbstverpflichtung des Herstellers oder des Händlers, die über den Kaufvertrag hinaus geht.
- Die Gewährleistung hingegen ist gesetzlich geregelt und ist daher ein wesentlich stärkeres Instrument im Verbraucherschutz. Bei der Gewährleistungsfrist müssen beim Autokauf verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. Bei einer individuellen Prüfung muss der Beginn, die Dauer und das Ende der Gewährleistung genau bestimmt werden. Oftmals stellt sich heraus, dass die Gewährleistung länger dauert als angenommen wurde. Das muss individuell geprüft werden – am besten von einem Rechtsanwalt. In unserem kostenfreien Online-Check lässt sich das schnell herausfinden.