Deutliches Signal für mehr Verbraucherschutz durch den BGH
Für Kunden von Autobauern hat der BGH mit seinem vorliegenden Urteil ein verbraucherfreundliches Signal gesetzt. Sind Verbraucher sittenwidrig und vorsätzlich geschädigt worden, haben sie nicht nur ein Anrecht auf Rückabwicklung des Kaufvertrags, sondern auch auf die Erstattung der Finanzierungskosten für das Auto. Rund 65 Prozent der Neuwagen in Deutschland werden von Banken finanziert. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst die wichtigsten Eckdaten zum BGH-Urteil kurz zusammen:
- Die Klägerin erwarb im Februar 2013 von einem Autohaus einen gebrauchten VW Golf. Den Kaufpreis bezahlte sie zum Teil in bar, den Rest finanzierte sie mit einem Darlehen der Volkswagen Bank. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet.
- Die Vorinstanzen haben VW aufgrund vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung nach §826 BGB zu Schadensersatz verurteilt. Strittig war zum Schluss noch die Frage, ob VW auch die Finanzierungskosten des Fahrzeugs in Höhe von 3.275,55 € (Darlehenszinsen und Kreditausfallversicherung) ersetzen muss.
- Der sechste Zivilsenat urteilte, dass die Klägerin so zu stellen sei, als wäre es nicht zu dem Autokauf gekommen. „Hätte die Klägerin das Fahrzeug nicht gekauft, hätte sie den Kaufpreis nicht mit einem Darlehen der Volkswagen Bank teilweise finanziert. Die Beklagte hat daher neben dem Kaufpreis für das Fahrzeug auch die Finanzierungskosten in voller Höhe zu erstatten“, so der BGH in seiner Begründung. Durch die Finanzierung hatte die Klägerin keinen Liquiditätsvorteil. Dadurch erhöhten die Finanzierungskosten den objektiven Wert des Fahrzeugs nicht und vergrößerten damit auch nicht den Gebrauchsvorteil, den die Klägerin aus der Nutzung des Fahrzeugs gezogen hat. Deshalb lehnte der Senat es auch ab, die Finanzierung in den schadensmindernden Vorteilsausgleich miteinzubeziehen.
Nach den zahlreichen Urteilen des BGH im Diesel-Abgasskandal von VW war für viele Beobachter der Eindruck erweckt worden, dass der Autobauer mit einem blauen Auge davongekommen ist. Doch der Skandal ist noch lange nicht ausgestanden. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst die wichtigsten Fakten zur großen Diesel-Manipulation bei der VW AG zusammen:
- Im ersten Diesel-Abgasskandal ist noch nichts verjährt. Zwei Oberlandesgerichte haben VW aufgrund §852 BGB zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Endgültig verjährt der Skandal somit erst zehn Jahre nach Kauf des Fahrzeugs. Damit sind auch aktuell im Jahr 2021 Klagen noch erfolgsversprechend. Dabei spielt es keine Rolle, dass der BGH in seinem Urteil vom 17. Dezember 2020 zum Schluss gekommen ist, dass der Abgasskandal in einem Spezialfall bereits Ende 2018 verjährt ist ( VI ZR 739/20). Der BGH hat nur über die übliche dreijährige Verjährung nach § 195, 199 BGB verhandelt. Ist diese Verjährung bereits eingetreten, gibt es trotzdem Ansprüche – und zwar auf den sogenannten Restschadensersatz. Auch hier steigt mittlerweile die Zahl der Gerichte, die diesen Anspruch den Verbrauchern gewähren. Und auch der BGH hat sich in seinem Urteil zum Thema Verjährung im Fall VW nicht ablehnend zum Restschadensersatzanspruch geäußert, sondern nur darauf hingewiesen, dass der Kläger diesen Anspruch vor Gericht vortragen müsse. Voraussetzung für den Anspruch auf Restschadensersatz ist das Vorliegen einer vorsätzlichen und sittenwidrigen Schädigung des Verbrauchers. Aber diese Schädigung nach §826 BGB hat der BGH am 25. Mai 2020 höchstrichterlich festgestellt (Az. VI ZR 252/19).
- Auch das Software-Update zum Skandalmotor EA189 bleibt weiter in der Kritik. Das zeigt auch der KBA-Rückruf zum VW-Modell EOS. Bereits im September 2020 ordnete das KBA an: „Entfernung der unzulässigen Abschalteinrichtung bzw. erhöhte Emissionswerte auch nach Durchführung der Aktion 23R7.“ Übersetzt bedeutet das: Trotz Software-Updates (Aktion 23R7) wird die Abgasreinigung auf illegale Weise manipuliert. Die Kanzlei Stoll & Sauer hält das Update zum EA189 daher für unzulässig. Zwar hat der BGH in einem ersten Beschluss am 9. März 2021 das Software-Update für zulässig erklärt, aber nur, weil der Kläger keinen Nachweis vorgetragen hatte, ob VW das KBA beim Einbau eines Thermofensters in das Update getäuscht habe (Az. VI ZR 889/20). Und gerade der EOS-Fall mit dem verpflichtenden Rückruf durch das KBA zeigt, dass mit dem Update etwas nicht in Ordnung sein kann.
- Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 17. Dezember 2020 Abschalteinrichtungen generell für unzulässig erklärt (Az. C-693/18). Das von den Autobauern gerne für Abgasmanipulationen angeführte Argument des Motorschutzes haben die Luxemburger Richter damit zu den Akten befördert. Die Klausel zum Motorschutz greift erst, wenn das Fahrzeug – salopp gesagt – vor der Explosion steht oder Gefahr für die Insassen besteht. Versottung und erhöhter Verschleiß des Motors, was die Autobauer gerne als Begründung anführen, spielt keine Rolle. Damit ist das Thermofenster ebenfalls illegal.
- Der BGH hält den Einbau eines solchen Thermofensters nicht von vornherein für eine vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung der Verbraucher. In einem Beschluss vom 19. Januar 2021 zu einem Daimler-Fall macht der BGH jedoch auch klar, dass Kläger ausführen müssten, ob Autobauer zum Beispiel das KBA getäuscht haben (Az. VI ZR 433/19). Trifft das zu, steht nach Ansicht der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer, einer Verurteilung nichts mehr im Wege. Da das KBA sich mit allen juristischen Mitteln wehrt, Ermittlungsakten beispielsweise zum EA288 offenzulegen, geht Dr. Stoll & Sauer davon aus, dass die Behörde etwas zu verbergen hat. Der EA288 ist das Nachfolgemodell des Skandalmotors EA189. Der Deutschen Umwelthilfe weigert sich die Behörde bis heute, EA288-Akten zur Einsicht zu übergeben, obwohl zu dem Vorgang ein rechtskräftiger Beschluss eines Gerichts vorliegt.
- Darüber hinaus kommt Dieselgate 2.0 derzeit ins Rollen. Betroffen ist unter anderem der Nachfolgemotor des EA189. Auch im EA288 sollen Abschalteinrichtungen verbaut worden sein. Dabei geht es nicht nur um das Thermofenster. Gleiches gilt für die 3-Liter-Motoren EA897 und EA896. Die Zahl der verbraucherfreundlichen Urteile steigt seit Monaten bei allen Motoren an. Am Oberlandesgericht in Köln ist VW in einem EA288 Fall am 19. Februar 2021 zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt worden ( 19 U 151/20). Auch die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer konnte bereits erste Verurteilungen des VW-Konzerns erzielen.
- Alle reden vom Thermofenster, doch es gibt noch andere Abschalteinrichtungen, die die Abgasreinigung manipulieren. Mit der Fahrkurve und der Lenkradwinkelerkennung wird der Motorsteuerung angezeigt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet. Läuft der Motor und das Lenkrad wird nicht eingeschlagen, ist für den Motor klar, dass eine Prüfsituation stattfindet. Mehr Prüfstandserkennung gibt es nicht – und die hat der BGH für unzulässig erklärt.
- Außerdem ist VW in einem Abgasskandal verwickelt, der Benzinmotoren betrifft. Das Landgericht Offenburg hat in einem Verfahren der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer ein Gutachten einholen lassen, aus dem klar hervorgeht, dass an der Abgasreinigung eines Audi Q5 TFSI 2.0 Euro 6 manipuliert worden ist (: 4 O 159/17). Abgasgrenzwerte werden offensichtlich nur auf dem Prüfstand eingehalten. Das KBA hat die Ermittlungen aufgenommen und rückt die Akten dazu jedoch nicht heraus, obwohl Dr. Stoll & Sauer dazu einen rechtskräftigen Beschluss eines deutschen Gerichts erstritten hat.