Aus Sicht der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer sind derzeit die Chancen der Verbraucher auf Schadensersatz enorm gestiegen. Dr. Stoll & Sauer rät Betroffenen zur anwaltlichen Beratung im kostenlosen Online-Check. Mehr Infos zu den Entwicklungen am EuGH und BGH gibt es auf unseren Spezial-Websites.
Knapp 2000 Diesel-Verfahren am BGH noch anhängig
Am Bundesgerichtshof (BGH) sind noch etwa 2.000 Dieselverfahren anhängig, während es in den unteren Instanzen rund 100.000 sind. Seit der EuGH sich im Sommer 2022 dahingehend geäußert hatte, dass die Hürden für Ansprüche der Verbraucher gegen die Diesel-Hersteller gesenkt werden sollen, warten die meisten Gerichte auf die Entscheidungen der beiden obersten Gerichte und setzten die Verfahren aus. Mit dem neuen Diesel-Urteil möchte der BGH Leitlinien für die untergeordneten Instanzen festlegen. In der ersten mündlichen Verhandlung am 8. Mai 2023 tendierte der Diesel-Senat des BGH zu einer neuen, verbraucherfreundlichen Rechtsprechung. Hier kurz zusammengefasst, was am 8. Mai 2023 verhandelt wurde:
- Das Gericht will offensichtlich einen neuen Schadensersatz ins Spiel bringen. Die Richter haben dabei den Begriff "Differenzhypothesenvertrauensschadensersatz" geprägt. Aus Sicht des Gerichts haben die getäuschten Verbraucher durch die Abgasmanipulation nicht nur Vertrauen verloren, sondern es ist ihnen hypothetisch auch ein Schaden entstanden. Dieser Schaden ergibt sich aus möglichen Stilllegungen der Fahrzeuge, wenn sie nicht in einen gesetzeskonformen Zustand gebracht werden können, sowie aus einem potenziell geringeren Verkaufserlös beim Weiterverkauf. Insgesamt haben die Verbraucher im Abgasskandal für ihre Dieselautos zu viel bezahlt. Die Differenz zwischen dem tatsächlichen Kaufpreis und dem Wert des Fahrzeugs ohne Abgasmanipulation könnte als neuer Schadensersatz dienen.
- Die neue BGH-Formel im Diesel-Abgasskandal könnte lauten:
Der Nachweis von vorsätzlichem Handeln der Autohersteller – so wie es der BGH bisher gefordert hatte – würde künftig entfallen. Nach dem EuGH-Urteil genügt bereits der Nachweis fahrlässigen Handelns.
- Da illegale Abschalteinrichtungen in nahezu allen Dieselmotoren zu finden sind, könnten Ansprüche gegen beinahe alle Hersteller von Dieselfahrzeugen möglich sein. Das umstrittene Thermofenster, das die Abgasreinigung von der Außentemperatur abhängig regelt, gilt als Industriestandard bei den Herstellern. Der EuGH hält das Thermofenster jedoch für illegal.
- Nach der mündlichen Verhandlung blieben viele Fragen offen. Es ist unklar, wie der neue Schadensersatz berechnet wird und was passiert, wenn Fahrzeuge stillgelegt werden müssen. Es besteht auch die Frage der Verjährung. Der BGH wird am Montag darauf Antworten geben müssen.
Die Anwaltskanzlei Dr. Stoll & Sauer bewertet die Entwicklung im Abgasskandal am EuGH und BGH wie folgt:
- In der Vergangenheit konnten viele Verfahren aufgrund der strengen Haftungsmaßstäbe des BGH nicht erfolgreich abgeschlossen werden. Es musste nachgewiesen werden, dass die Hersteller vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt hatten. Die Lage hat sich nun geändert. Der EuGH hat die Hürden für Schadensersatzansprüche gesenkt.
- Da sich in den meisten Dieselmotoren zumindest das Thermofenster befindet, bestehen Ansprüche auf Schadensersatz gegen beinahe alle Hersteller von Dieselfahrzeugen.
- Es besteht eine reale Gefahr der Stilllegung von Fahrzeugen. Der EuGH hat festgestellt, dass Thermofenster unzulässig sind, und nationale Gerichte müssen Maßnahmen ergreifen. Das Verwaltungsgericht Schleswig hat in einem Urteil zum VW-Software-Update deutlich gemacht, dass eine Stilllegung droht, wenn das Thermofenster im Update für den Dieselmotor EA189 nicht entfernt wird. Thermofenster wurden in nahezu allen Diesel-Fahrzeugen der EURO 5 bis EURO 6b-Normen verwendet. Die Deutsche Umwelthilfe plant Klagen gegen betroffene Fahrzeuge, und Stilllegungen oder teure Nachrüstungen mit Harnstoff könnten die Folge sein. Die Fahrzeugeigentümer tragen die Konsequenzen.
- Möglich sind auch Staatshaftungsklagen. Stoll & Sauer ist fest davon überzeugt, dass der Staat haftbar gemacht und somit verklagt werden kann. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat bei der Zulassung der Fahrzeuge nicht ausreichend geprüft, ob unzulässige Abschalteinrichtungen verwendet wurden. Bisher hat der Bundesgerichtshof im Diesel-Abgasskandal diese Haftung abgelehnt. Die Richter waren der Meinung, dass die individuellen Käufer nicht durch die Gesetze geschützt werden sollen, die den Einsatz von unzulässigen Abschalteinrichtungen verbieten. Diese Gesetze sollen ausschließlich dem Umweltschutz dienen. Der Europäische Gerichtshof sieht das jedoch anders und hat in entgegengesetzter Weise entschieden, indem er den sogenannten Drittschutz für die Verbraucher betont hat.