LG Wuppertal sieht vorsätzliches und sittenwidriges Handeln
Die Daimler AG muss nach dem vorliegenden Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal dem Kläger für den streitgegenständlichen Mercedes GLK 250 Bluetec Schadensersatz in Höhe von 11.000,27 Euro nebst Zinsen bezahlen (Az. 2 0 377/20). Im Gegenzug muss das Fahrzeug zurückgegeben werden. Hier nun die wichtigsten Fakten zum Verfahren im Stuttgarter Urteil:
- Die Klägerpartei erwarb das Fahrzeug im November 2018 gebraucht zum Preis von 800,00 Euro. Das Fahrzeug der GLK-Klasse verfügt über einen Motor vom Typ OM 651 (Euro 6), der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zum Einsatz gekommen sein soll. Die Kontrolle der Stickoxidemissionen erfolgt über die Abgasrückführung (AGR). Die AGR wird über zwei Betriebsmodi gesteuert. Bei den Prüfstandbedingungen sei die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstünden. Im normalen Fahrbetrieb würden dagegen Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb gesetzt, weshalb die NOx-Emissionen dann erheblich höher seien.
- Das Fahrzeug unterliegt einem verpflichtenden Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Der Kläger hat sich daher von Daimler ein Software-Update auf den Motor einspielen lassen. Im Januar 2021 reichte der Verbraucher Klage ein.
- Das Gericht folgte in seinem Urteil dem Kläger. Der Kläger hat ein Fahrzeug erworben, das er so nicht kaufen wollte, und daher einen Schaden erlitten. Das Fahrzeug entsprach beim Inverkehrbringen nicht den gesetzlichen Vorgaben von EG-VO 715/2007. Daimler ist aufgrund vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen gegenüber dem Kläger haftbar. Für das Gericht ist klar, dass kein vernünftiger Verbraucher ein Fahrzeug kauft, das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses entscheidenden gesetzlichen Anforderungen nicht genügt und dessen Hersteller die vom KBA gleichwohl erteilte Typengenehmigung durch Täuschung erschlichen hat. Daimler habe ausgenutzt, dass die Zulassungsbehörde sich auf die Produktdokumentation des Autobauers verlassen hat.
- Daimler habe aus Sicht des Gerichts die Vorwürfe des Klägers nicht widerlegen können. Der Vortrag des Klägers zum Vorhandensein der behaupteten Abschalteinrichtungen sei nicht substantiiert bestritten worden.
- Das Fahrzeug entspricht aus Sicht des Gerichts nicht der Norm im Sinne der Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007. Auf dem Prüfstand werden die Abgasnormen eingehalten, im Straßenverkehr jedoch nicht. Das Fahrzeug ist für das Landgericht mangelhaft.
- Der Verbraucher muss sich eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen. Das Gericht setzte dazu eine zu erwartende Gesamtlaufleistung des Motors von 300.000 Kilometer an. Der Schadensersatz errechnet sich aus der Differenz zwischen Kaufpreis und Verkaufspreis abzüglich der Nutzungsentschädigung.
- Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Immer mehr Gerichte in Deutschland erkennen an, das Daimler die Fahrzeuge manipuliert und die Verbraucher sittenwidrig und vorsätzlich geschädigt hat. Die Oberlandesgerichte Naumburg, Köln, Nürnberg und Frankfurt haben sich auf die Seite der Verbraucher gestellt. Am Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist das sogenannte Thermofenster, das auch in Daimler-Motoren verbaut wird, in einem Schlussplädoyer des Generalanwalts als unzulässig bezeichnet worden. Der Gerichtshof folgt in der Regel der Argumentation des Generalanwalts. Und selbst der Bundesgerichtshof (BGH) hat zwei Verfahren an die zweite Instanz zurückverwiesen, weil die Möglichkeit besteht, dass Verbrauchern Ansprüche zustehen. Und in diesen Verfahren geht es nicht ausschließlich um das sogenannte Thermofenster, das die Abgasreinigung temperaturabhängig steuert, sondern beispielsweise um die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, die von manchen Gerichten als illegale Prüfstandserkennung gewertet wird.
Zudem hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) durch die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer eine Musterfeststellungsklage am 7. Juli 2021 beim Oberlandesgericht Stuttgart eingereicht. Im Mittelpunkt der Klage stehen zurückgerufene Mercedes GLC- und GLK-Modelle mit dem Motor OM651. Daimler-Kunden soll durch die Klage der Weg zum Schadensersatz erleichtert werden. Betroffene Verbraucher können sich der Musterfeststellungsklage anschließen oder ihre Rechte in einer Einzelklage individuell durchsetzen. Die Teilnahme an der Musterklage hemmt die Verjährung der Ansprüche gegen Daimler. So haben Kläger mehr Zeit, gegen Daimler vorzugehen.
Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer rät vom Abgasskandal betroffenen Verbrauchern, sich anwaltlich beraten zu lassen. Geschädigte müssen durch die Folgen und Auswirkungen des Abgasskandals mit enormen Geldeinbußen kämpfen: Ihnen drohen Fahrverbote, Stilllegungen und Wertverluste, sofern sie die Ansprüche nicht rechtzeitig vor Gericht geltend machen. Verbraucher sollten eine Individualklage erheben. Die Chancen stehen nach aktueller Rechtsprechung sehr gut. Im kostenfreien Online-Check lässt sich der richtige Weg aus dem Dieselskandal herausfinden. Wir prüfen Ihren konkreten Fall und geben Ihnen eine Ersteinschätzung, bevor wir uns auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den Autobauer einigen.
Wie es zur Trendwende im Abgasskandal von Daimler kam
Der Diesel-Abgasskandal der Daimler AG entwickelt sich ähnlich wie der Skandal bei der VW AG. Am Anfang sahen die wenigsten Experten eine Chance, juristisch gegen VW erfolgreich zu sein. In den ersten zwei Jahren gingen die ersten Verfahren verloren. Die Trendwende setzte durch neue Erkenntnisse, Gutachten und erste Hinweise des BGH ein. Genauso verhält es sich bei der Daimler AG. Mit einem Beschluss des BGH 2020 setzte die verbraucherfreundliche Wende in der Rechtsprechung ein. Daran kann auch die Medienkampagne der Daimler AG nichts ändern und die damit einhergehende Schmutzkampagne gegen Verbraucheranwälte. Gebetsmühlenartig trägt Daimler vor, dass die meisten Urteile gegen die Verbraucher ausgesprochen worden sind. Doch das ist definitiv Vergangenheit. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst die Entwicklungen der vergangenen Monate zusammen.
- Der Bundesgerichtshof (BGH) machte am 28. Januar 2020 klar, dass die Daimler AG in den Abgasverfahren ihrer sekundären Darlegungslast nachkommen muss ( VIII ZR 57/19). Bisher hatte Daimler das Existieren von unzulässigen Abschalteinrichtungen nur geleugnet und nicht stichhaltig widerlegt. Seit diesem Beschluss ist generell klar, dass Autobauer die gegen sie gemachten Anschuldigungen auch widerlegen müssen. Ebenso regte der BGH gutachterliche Überprüfungen an. Der BGH-Beschluss löst eine Welle von Gutachten und Beweisbeschlüssen von Landgerichten und Oberlandesgerichten aus.
- Am 19. September 2020 verurteilte mit dem Oberlandesgericht Naumburg erstmals ein Gericht der zweiten Instanz die Daimler AG aufgrund vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung nach §826 BGB zur Zahlung von Schadensersatz. Streitgegenständlich war ein Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4MATIC mit dem Motor OM 651 und der Abgasnorm Euro 5. Das Gericht ließ keine Revision zu und zog Parallelen zum ersten Diesel-Abgasskandal bei der Volkswagen AG (Az. 8 U 8/20).
- Am 5. November 2020 folgte das Oberlandesgericht Köln ( 7 U 35/20) und verurteilte Daimler. Das von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer erstrittene Urteil sieht in einem Daimler-Fahrzeug (Wohncamper Mercedes 250 d Marco Polo) verschiedene unzulässige Abschalteinrichtungen wie die temperaturabhängige Abgasreinigung (Thermofenster), die Kühlmittel-Soll-Temperaturregelung, die AdBlue-Dosierung, die Aufwärmstrategie, den Abschaltmodus nach 20 Minuten und eine Getrieberegelung. Letztlich geht es bei diesen Abschalteinrichtungen darum, die Abgasnormen nur auf dem Prüfstand einzuhalten.
- Ein Gutachten am Landgericht Stuttgart aus dem November 2020 belastet zudem die Daimler AG schwer. Das Fazit des Software-Experten ist laut einem Bericht des Bayerischen Rundfunks eindeutig: "Die Motorsteuersoftware enthält eine Abschaltvorrichtung". Das Fahrzeug erkenne "die niedrige benötigte Motorleistung" auf dem Teststand, wenn der Prüfzyklus, der sogenannte NEFZ, durchfahren werde. Die Motorsteuerung regele dann die Kühlmittelsolltemperatur auf 70 Grad Celsius herunter – statt der üblichen 100 Grad. "Die abgesenkte Kühlmitteltemperatur führt zu besseren NOx-Werten", so das Gutachten. Das bedeutet: Beim getesteten Fahrzeug, einem Mercedes-Benz E250 CDI Euro 5 mit dem bekannten Skandalmotor OM651, wird die Menge schädlicher Abgase auf dem Prüfstand verringert.
- Das Kraftfahrt-Bundesamt hat im Jahr 2020 insgesamt 20 Rückrufe in der Regel aufgrund „unzulässiger Abschalteinrichtungen“ gegen die Daimler AG erlassen. Der Abgasskandal geht daher weiter und ist noch lange nicht zu Ende.
- Am 26. Januar 2021 äußerte sich der Bundesgerichtshof erstmals zum sogenannten Thermofenster (: VI ZR 433/19). Der bloße Einsatz des Thermofensters ist nach Einschätzung des BGH noch nicht sittenwidrig und nicht mit der VW-Betrugssoftware vergleichbar, bei der die Abgassteuerung auf Prüfständen anders funktionierte als auf der Straße. Beim Thermofenster wird die PKW-Abgasreinigung automatisch aufgrund der Außentemperatur geregelt – sprich im Straßenverkehr ausgeschalten. Der BGH verwies das Verfahren wegen Verletzung rechtlichen Gehörs an das OLG Köln zurück. Dort muss geklärt werden, ob Daimler im Zulassungsverfahren unrichtige Angaben über die Arbeitsweise der Software gemacht hat. Mit Blick auf die unzähligen Rückrufe des KBA wird klar, dass Daimler gegenüber der Behörde es mit der Wahrheit nicht genau genommen hat. Durch den BGH-Beschluss steigen damit die Chancen der Verbraucher, sich vor Gericht ihre berechtigten Ansprüche zu erstreiten.
- Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) reichte am 7. Juli 2021 eine Musterfeststellungsklage gegen die Daimler AG ein. Die Dr. Stoll & Sauer Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH aus Lahr vertritt den vzbv in der Musterfeststellungsklage gegen die Daimler AG. Die Klage ist vor allem für Verbraucher ohne Rechtsschutzversicherung vorteilhaft. Versicherte Verbraucher steht die Individualklage offen, die schneller über die Bühne gehen kann und höhere Schadensersatzzahlungen verspricht.
- Der Bundesgerichtshof (BGH) weist ein Daimler-Verfahren am 13. Juli 2021 an das Oberlandesgericht Koblenz zurück. Es geht nicht nur um das Thermofenster, sondern um andere Manipulationen an der Abgasreinigung der Daimler-Motoren. Und solche Manipulationen führen derzeit reihenweise zur Verurteilung des Autobauers.
- Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH)hat 23. September 2021 Thermofenster als rechtswidrig bezeichnete. Der Generalanwalt stufte in einem Gutachten die bei Porsche und VW eingesetzten Thermofenster als gesetzeswidrig ein. Abgassysteme, bei denen die Abgasreinigung außerhalb eines vorgegebenen Temperaturbereichs und ab einer bestimmten Höhenlage gestoppt wird, verstießen gegen europäischer Recht ( C-134/20). Das zu erwartende verbraucherfreundliche Urteil hat auch Auswirkungen auf Daimler-Fälle.