Chancen vor Gericht gegen VW zu gewinnen, so gut wie nie
Als am 6. Oktober 2015 Dr. Stoll & Sauer die erste Klage gegen VW im Diesel-Abgasskandal in Deutschland einreichte, sahen die meisten Experten wenig Chancen, sich gegen den Autobauer vor Gericht durchzusetzen. Die verbraucherfreundliche Wende in der Rechtsprechung rund um den Diesel-Abgasskandal mündete viereinhalb Jahre später im ersten BGH-Urteil am 25. Mai 2020 (Az. VI ZR 252/19) und der Verurteilung von VW. Mittlerweile sprechen sich 21 von 24 Oberlandesgerichten und 99 von 115 Landgerichten für eine Haftung des VW-Konzerns aus.
Gerade vor dieser verbraucherfreundlichen Entwicklung rät die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer betroffenen VW-Kunden zur anwaltlichen Beratung, um ihre Rechte gegen den Autobauer durchzusetzen. Im kostenfreien Online-Check der Kanzlei lässt sich der richtige Weg aus dem Diesel-Abgasskandal herausfinden. Die Fälle werden individuell geprüft, ehe man sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die VW AG einigt. Tausende positive Urteile und Vergleiche konnte die Verbraucher-Kanzlei bereits für ihre Mandanten erzielen. Nach dem ersten BGH-Urteil sind vor allem Einzelklagen für Teilnehmer der Musterfeststellungsklage interessant, die den VW-Vergleich nicht angenommen und ihre Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 vor dem Beginn des Dieselskandals erworben haben.
Wie ist die Rechtslage bei „Kauf in Kenntnis“ im VW-Abgasskandal?
In der Musterfeststellungsklage hat VW im angebotenen Vergleich rund 200.000 Verbraucher ausgeschlossen. Betroffene davon waren auch Kunden, die ihren VW-Diesel erst nach Bekanntwerden des Abgasskandals gekauft hatten. Die Rechtsprechung für diesen sogenannten „Kauf in Kenntnis“ ist unübersichtlich. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer stellt die aktuelle rechtliche Situation kurz dar.
- Käufer, die nach dem Bekanntwerden des Diesel-Abgasskandals ihr Fahrzeug erworben und Kenntnis von der Manipulation hatten, gingen bei Oberlandesgerichten in der Vergangenheit meist leer aus.
- Manche Gerichte lehnen prinzipiell eine Haftung der Volkswagen AG ab, wenn der Fahrzeugerwerb nach der Ad-hoc-Mitteilung durch VW am 22. September 2015 erfolgte.
- Der Käufer muss bei einem Erwerb nach Bekanntwerden des Dieselskandals nach überwiegender Rechtsprechung darlegen und beweisen, dass er von der Manipulation des konkreten Fahrzeugs keine Kenntnis hatte und den PKW ansonsten nicht erworben hätte.
- Manche Gerichte wie das OLG Oldenburg (Az. 14 U 166/19) gehen sogar in der Haftungsfrage noch weiter. Selbst, wenn der klagende Käufer über den Diesel-Abgasskandal bei VW informiert gewesen sein sollte, schützt das die VW AG nicht vor ihrer Strafe. Das Gericht hält es für nicht angemessen, bei einer vollendeten sittenwidrigen Handlung den Täter mit Straflosigkeit zu belohnen, nur, weil er sein Handeln öffentlich macht. Am Ergebnis der Tat ändert das nämlich nichts. Ebenso darf der geschädigte Käufer nicht das Risiko tragen, dass ihn die Aufklärungsmaßnahme der VW AG nicht erreicht.
- Diese Unübersichtlichkeit führt dazu, dass es an zahlreichen OLG unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt. Am OLG Koblenz ist beispielsweise der 12. Zivilsenat der Ansicht, dass VW nach der Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 alles unternommen hat, damit kein Verbraucher in Unkenntnis der Abgasmanipulation einen VW-Diesel mit dem Motor EA 189 kauft. Dieses Verfahren wird jetzt am 28. Juli 2020 vom BGH endgültig entschieden ( VI ZR 5/20). Der 8. Zivilsenat am OLG Koblenz hat aktuell in einem von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer erstrittenen Urteil den Aufklärungs-Bemühungen von VW ein schlechtes Zeugnis ausgestellt und den Autobauer daher nach § 826 BGB verurteilt.
Im vorliegenden Fall sah das Landgericht Paderborn die vorsätzliche Schädigung des klagenden Verbrauchers durch VW als erwiesen an. Die 4. Zivilkammer verurteilte die VW AG zur Rücknahme des Fahrzeugs und Rückerstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Das von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer erstrittene Urteil hat folgende wichtige Eckpunkte:
- Der Kläger hatte am 25. April 2016 von einem Gebrauchtwagenhändler einen Audi A5 Sportpack TDI Quattro zu einem Kaufpreis von 700 Euro erworben. Das Fahrzeug enthält den Dieselmotor EA 189. Am 22. September 2015 hatte VW in einer Ad-hoc-Mitteilung bekannt gegeben, dass in diesen Motoren eine Software zur Prüfstandserkennung verbaut worden ist. Im normalen Straßenverkehr ist der Grenzwert für Stickoxid nicht eingehalten worden. Am 15. Oktober 2015 erließ das Kraftfahrt-Bundesamt einen Rückruf. Fahrzeuge mit EA 189 Motoren mussten mit einem Software-Update nachgerüstet werden. Das KBA ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus.
- Das Gericht verurteilte VW wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB. Das sittenwidrige Verhalten lag auch noch beim Kauf des Audi im April 2016 vor. Es entfiel nicht durch das Aufspielen des Software-Updates und auch nicht durch die Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015. VW habe es in seiner Mitteilung versäumt darzustellen, dass die Betriebserlaubnis der Fahrzeuge entzogen hätte werden können. Auch sei nicht klar zum Ausdruck gekommen, dass eine Manipulation vorliege. Das LG kritisierte die Bagatellisierung der Manipulation durch VW. Das Unternehmen habe wenig zur Aufklärung des Skandals beigetragen. Das gilt auch für das Verfahren selbst.
- Zudem musste der Verbraucher auch nicht ohne weiteres damit rechnen, dass ihm - nachdem die Problematik als solche bereits annähernd zwei Jahre bekannt war - noch im April 2016 kommentarlos ein Fahrzeug verkauft wurde, das vom Diesel-Abgasskandal betroffen war. Konkrete Hinweise sind durch VW nicht erfolgt. So enthält etwa die Rechnung keinen entsprechenden Zusatz, dass das Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen sein könnte.
- Durch den Rückruf des KBA war für das Gericht bewiesen, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Im normalen Verkehr unterbleibt damit die Schadstoffminderung. Ein Fahrzeug ist nicht frei von Sachmängeln, wenn es eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG enthält.
- Der Schaden des Klägers ist nicht durch das Software-Update behoben worden. Dabei spielte es für das Gericht keine Rolle, dass das vom Kraftfahrt-Bundesamt genehmigte Update die Vorgaben für den Schadstoffausstoß einhalten soll. Der Schaden war nämlich bereits mit Erwerb des Fahrzeuges eingetreten. Hätte der Käufer von den unzulässigen Abschalteinrichtungen gewusst, hätte er das Fahrzeug nicht erworben. Er ist vom Hersteller arglistig getäuscht worden.
- Die Kammer war davon überzeugt, dass der Kläger beim Kauf des Audi keine hinreichenden Kenntnisse von der Manipulation am Motor hatte.
- Für das Gericht entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass kein durchschnittlich informierter und wirtschaftlich vernünftig denkender Verbraucher ein Fahrzeug erwirbt, welches mit einer gesetzeswidrigen Software ausgestattet ist und womöglich von einer behördliche angeordneten Stilllegung betroffen sein könnte.
- Für den Kläger muss auch nicht ersichtlich gewesen sein, dass Audi im Diesel-Abgasskandal involviert ist. VW habe die Ad-hoc-Mitteilung sehr allgemein gehalten und nicht explizit auf Audi hingewiesen. Das gelte auch für die Online-Plattform zur Überprüfung der Fahrzeug-Identifizierungsnummer. Damit hätten Kunden feststellen können, ob sie in den Dieselskandal involviert sind.
- Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Fünf VW-Verfahren im Dieselabgasskandal vor dem BGH
Im Diesel-Abgasskandal von VW sind nach dem ersten verbraucherfreundlichen BGH-Urteil (VI ZR 252/19) noch weitere Fragen ungeklärt. Der Bundesgerichtshof hat deshalb bis Ende Juli 2020 vier weitere mündliche Verhandlungen in einzelnen VW-Verfahren terminiert. Dabei stehen unter anderem Fragen rund um die Themen Verjährung, Zinsen ab Kaufdatum, Rechtmäßigkeit des Software-Updates und Kauf ab 2016 auf der Tagesordnung. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst die Verfahren vor dem BGH kurz zusammen.
- Verfahren am 5. Mai 2020 - Az. VI ZR 252/19
Fragen: Hat VW im Sinne von 826 BGB den Verbraucher vorsätzlich und sittenwidrig getäuscht und geschädigt?
Erhält der Autobauer vom klagenden Verbraucher eine Entschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs?
Prozessverlauf: Das Oberlandesgericht Koblenz verurteilte am 12. Juni 2019 (Az. 5 U 1318/18) die Volkswagen AG zur Zahlung von 25.616,10 Euro nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Zur Begründung hat das Oberlandesgericht ausgeführt, dem Kläger stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu (§ 826 BGB). Nach Anrechnung der vom Kläger gezogenen Nutzungen (Vorteilsausgleich) ergebe sich der ausgeurteilte Anspruch.
Urteil: Der BGH verurteilte am 25. Mai 2020 die Volkswagen AG nach § 826 BGB wegen vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung, der Autobauer muss das Fahrzeug zurücknehmen und den Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung zurückerstatten.
[*]Verfahren am 21. Juli 2020 - Az. VI ZR 354/19
Fragen: Die Revision betrifft ein Urteil des Oberlandesgerichtes Braunschweig. Braunschweig lehnt bisher generell einen Haftungsanspruch gegenüber VW ab. Wie schon im ersten Verfahren geht es wiederum um die Fragen, ob VW im Sinne von 826 BGB den Verbraucher vorsätzlich und sittenwidrig getäuscht und geschädigt hat, und ob dem Autobauer eine Nutzungsentschädigung zusteht.
Prozessverlauf: Das Oberlandesgericht Braunschweig wies die Klage gegen VW mit Urteil vom 20. August 2019, (Az. 7 U 5/19) zurück. Das OLG sah den Betrugstatbestand nicht erfüllt. Daher bestünden keine Ansprüche des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB. Außerdem sei der Kaufpreis vollständig aufgezehrt, wenn der Verbraucher einen Vorteilsausgleich für die Nutzung des Fahrzeugs bezahlen müsste. Der Verbraucher habe schließlich das Fahrzeug zu seinem Vorteil nutzen können. Die Gesamtfahrleistung des Fahrzeugs legte das Gericht auf 250.000 km fest. Schließlich stehe auch einem Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB der Umstand entgegen, dass der Kläger durch die Fahrzeugnutzung keinen Schaden mehr habe. Dabei spielte es für das Gericht keine Rolle, ob die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch VW zulasten des Klägers überhaupt schlüssig dargelegt worden sind.
[*]Verfahren am 21. Juli 2020 - Az. VI ZR 367/19
Fragen: Die vorliegende Revision betrifft wieder ein Verfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig. Muss ein vom Diesel-Abgasskandal geschädigter Verbraucher vor Gericht schlüssig darlegen, welche Person ihn bei der Volkswagen AG sittenwidrig getäuscht hat?
Ist mit dem Software-Update der Schaden behoben?
Prozessverlauf: Das Oberlandesgericht Braunschweig wies die Berufung des Klägers mit Urteil vom 13. August 2019 (Az. 7 U 352/18) zurück. Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen dem Kläger Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte nicht zu. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB, § 826 BGB schieden aus, weil der Verbraucher für das Gericht nicht schlüssig dargelegt habe, welche konkrete Person bei der VW AG den Betrug verwirklicht bzw. den Kläger vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe. Zudem vertrat das OLG die Meinung, dass dem Kläger kein Schaden entstanden sei, da er die abgasbeeinflussende Software schon vor der erstmaligen Geltendmachung seines Anspruchs durch das Software-Update habe beseitigen lassen.
[*]Verfahren am 28. Juli 2020 - Az. VI ZR 397/19
Fragen: Dass VW im Diesel-Abgasskandal gegenüber den klagenden Verbrauchern schadensersatzpflichtig ist, davon geht mittlerweile die Mehrheit der Oberlandesgerichte und jetzt auch der Bundesgerichtshof aus. Strittig hingegen ist die Frage, ob VW im Falle einer Verurteilung dem Kläger einen sogenannten deliktischen Zins ab Kaufdatum zu bezahlen hat.
Prozessverlauf: Das Oberlandesgericht Oldenburg verurteilte am 2. Oktober 2019 (Az. 5 U 47/19) VW mit der Begründung zu Schadensersatz, die Klägerin ist vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden. Die Klägerin müsse sich im Wege des Vorteilsausgleichs die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Dabei sei von einer Gesamtfahrleistung des Fahrzeugs von 200.000 km auszugehen. Ab Zahlung könne die Klägerin von VW gemäß § 849 BGB zudem sogenannte "Deliktszinsen" verlangen.
[*]Verfahren am 28. Juli 2020 - VI ZR 5/20
Fragen: Auch in diesem Verfahren geht es um Schadensersatzansprüche eines Verbrauchers gegen VW. Der Kläger hatte das Auto nach dem Bekanntwerden des Dieselskandals erworben – und zwar im August 2016. Ist VW auch in einer solchen Konstellation haftbar?
Prozessverlauf: Für das Oberlandesgericht Koblenz (Az. 12 U 804/19) scheiterte ein Anspruch des Klägers gegenüber VW daran, weil er nicht substantiiert dargelegte, weshalb ihm trotz der ausführlichen Medienberichterstattung im Anschluss an die Ad-hoc-Mitteilung verborgen geblieben sein solle, dass das Fahrzeug mit der unzulässigen Umschaltlogik ausgestattet gewesen sei. Auch habe VW im August 2016 alles getan, um zu verhindern, dass ein Käufer ein von ihr mit dem Motor EA 189 ausgestattetes Fahrzeug in Unkenntnis der darin verbauten Umschaltlogik erwerben würde. Angesichts der von VW ergriffenen Maßnahmen könne dem Unternehmen kein verwerfliches Verhalten mehr angelastet werden, so dass auch ein Anspruch aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung ausscheide.