Kanzlei Dr. Stoll & Sauer: Noch ist im Fall VW nichts verjährt
Die verbraucherfreundliche Wende in der Rechtsprechung rund um den Diesel-Abgasskandal, die in der ersten höchstrichterlichen Verurteilung von VW mündete, hatte mit einem sogenannten Hinweisbeschluss des BGH am 8. Januar 2019 (Az. VIII ZR 225/17) begonnen. Fahrzeuge mit einer manipulierten Abgasreinigung wurden darin als mangelhaft bezeichnet. Mittlerweile sprechen sich 21 von 24 Oberlandesgerichten und 99 von 115 Landgerichten für eine Haftung des VW-Konzerns aus. Gerade vor dieser verbraucherfreundlichen Entwicklung rät die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer betroffenen VW-Kunden zur anwaltlichen Beratung, um ihre Rechte gegen den Autobauer durchzusetzen.
Im kostenfreien Online-Check der Kanzlei lässt sich der richtige Weg aus dem Diesel-Abgasskandal herausfinden. Die Fälle werden individuell geprüft, ehe man sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die VW AG einigt. Die betroffenen Fahrzeuge sind im Wert dramatisch gemindert. Richter haben Ansprüche gegen VW von bis zu 30 Prozent vom Kaufpreis ausgeurteilt. Tausende positive Urteile und Vergleiche konnte die Verbraucher-Kanzlei bereits für ihre Mandanten erzielen. Nach dem ersten BGH-Urteil sind vor allem Einzelklagen für Teilnehmer der Musterfeststellungsklage interessant, die den VW-Vergleich nicht angenommen und ihre Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 vor dem Beginn des Dieselskandals erworben haben.
Nach Ansicht von Dr. Stoll & Sauer ist im Diesel-Abgasskandal von VW noch nichts verjährt. Selbst, wenn die übliche dreijährige Verjährungsfrist tatsächlich Ende 2019 abgelaufen ist, beginnt § 852 BGB zu greifen – der sogenannte Restschadensersatzanspruch. Hier gilt eine Zehnjahresfrist. Am Amtsgericht Marburg (Az. 9 C 891/19) ist bereits aufgrund von § 852 eine Verurteilung von VW angekündigt worden. VW muss den ergaunerten finanziellen Vorteil an den geschädigten Verbraucher zurückgeben.
Das dritte VW-Verfahren im Diesel-Abgasskandal vor dem BGH
Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer stellt das dritte BGH-Verfahren im Diesel-Abgasskandal von VW kurz vor (Az. VI ZR 367/19): Wie schon beim zweiten Verfahren müssen die obersten Richter ein Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig überprüfen. Braunschweig lehnte bisher eine Haftung im Diesel-Abgasskandal von VW ab. Ein Amtsrichter in Braunschweig hatte jedoch am 2. Juni 2020 einräumen müssen, dass er künftig seine Rechtsprechung an das BGH-Urteil anpassen werde (Az. 11 O 4083/18). Damit ist die VW-freundliche Bastion Braunschweig gefallen.
- Der Kläger erwarb im April 2013 von einem Autohaus einen gebrauchten VW Tiguan 2.0 TDl zu einem Preis von 21.500 Euro. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet. Der Motor ist mit einer Steuerungssoftware versehen, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und in diesem Fall in einem Stickoxid (NOx)-optimierten Modus schaltet. Im September 2015 räumte die Volkswagen AG öffentlich die Verwendung einer entsprechenden Software ein. Am 15. Oktober 2015 erging gegen VW ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA). Das KBA ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus und gab VW auf, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte zu gewährleisten. Der Autobauer gab mit Pressemitteilung vom 25. November 2015 bekannt, Software-Updates durchzuführen. Damit sollten die vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge im Modus 1 betrieben werden. Das von VW entwickelte Software-Update ließ der Kläger im Februar 2017 aufspielen. Mit der im Dezember 2017 erhobenen Klage verlangt der Kläger die Rückzahlung des Kaufpreises. Im Gegenzug wollte er das Fahrzeug zurückgeben.
- Das Landgericht Braunschweig hat mit Urteil vom 6. Juli 2018 (Az. 11 O 2675/17) die Klage abgewiesen.
- Das Oberlandesgericht Braunschweig wies die Berufung des Klägers mit Urteil vom 13. August 2019 ebenfalls (Az. 7 U 352/18) zurück. Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen dem Kläger Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte nicht zu. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB, § 826 BGB schieden aus, weil der Verbraucher für das Gericht nicht schlüssig dargelegt habe, welche konkrete Person bei der VW AG den Betrug verwirklicht bzw. den Kläger vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe.
- Zudem vertrat das OLG die Meinung, dass dem Kläger kein Schaden entstanden sei, da er die abgasbeeinflussende Software schon vor der erstmaligen Geltendmachung seines Anspruchs durch das Software-Update habe beseitigen lassen.
- Der Kläger legte Revision ein.
- Nach dem ersten VW-Urteil des BGH ist klar, dass das Urteil aus Braunschweig der Überprüfung nicht standhalten wird. VW wird wohl verurteilt werden. Spannend könnte die Frage sein, ob der BGH das Software-Update tiefer erörtert. Ist mit dem Aufspielen der Schaden am Fahrzeug behoben? Die klare Mehrheit der Gerichte verbindet den Zeitpunkt des Schadenseintritts mit dem Kauf eines Fahrzeugs, dass der Kunde so nie haben wollte. Das Software-Update spielte nur in Braunschweig eine größere Rolle.
- Weitaus interessanter ist die Frage, ob es sich bei dem Update um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Denn ganz offensichtlich hat VW beim Update ein sogenanntes „Thermofenster“ installiert, das die Abgaskontrolle des Dieselmotors temperaturabhängig regelt. Am Europäischen Gerichtshof EuGH sind in Schlussanträgen in einem VW-Verfahren am 30. April 2020 solche thermische Abschalteinrichtungen als unzulässig bezeichnet worden. Wenn sich der BGH zur Zulässigkeit des Updates äußern sollte, könnte für VW eine richtige Bombe platzen.
Das erste BGH-Urteil: VW haftet wegen sittenwidriger Schädigung
Im fünften Jahr des Diesel-Abgasskandals hat am 25. Mai 2020 der Bundesgerichtshof erstmals im Fall VW Recht gesprochen. Die Verbraucher-Kanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Urteil zusammen:
- Das Gericht sieht in dem Einbau einer Abschalteinrichtung eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB. VW hat die Mindestanforderungen im Rechts- und Geschäftsverkehr in Millionen von Fällen vermissen lassen. Das sittenwidrige Verhalten führt der BGH auf die grundlegende strategische Entscheidung von VW zurück, aus Gewinninteresse systematisch, langjährig und in sehr hoher Stückzahl Fahrzeuge mit illegaler Abschalteinrichtung zu verkaufen und dabei das Kraftfahrzeug-Bundesamt vorsätzlich zu täuschen.
- Der Kunde kann gegen Rückgabe des Fahrzeugs die Rückzahlung des Kaufpreises verlangen.
- Der Senat beschäftigte sich auch intensiv mit der Frage, warum trotz objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dem Verbraucher ein Vermögensschaden entstanden ist. Maßgeblich für den Senat war, dass der Käufer durch den Vertragsschluss eine Leistung erhalten hat, die für seine Zwecke nicht voll brauchbar war. Denn der versteckte Sachmangel des Autos hätte zu einer Betriebsbeschränkung oder sogar -untersagung führen können. Hätte er von diesem Umstand gewusst, wäre der Vertrag nie zustande gekommen.
- Sogar Gebrauchtwagen können VW-Fahrer zurückgeben. Das Argument des Autobauers, er könne gar nicht haftbar gemacht werden, weil es zu dem Käufer keine Vertragsbeziehung gebe, überzeugte beim BGH nicht.
- VW muss sich das Handeln leitender Angestellter - auch wenn diese nicht im Vorstand sind - zurechnen lassen.
- Mit dem Software-Update am EA 189 ist der Schaden nicht behoben. Denn der Schaden ist bei Vertragsschluss über den nur angeblich umweltfreundlichen Wagen entstanden. Ein solches Fahrzeug hätte der Kunde im Nachhinein so nicht gewollt.
- Der Kläger muss sich eine Nutzungsentschädigung für die Verwendung des Fahrzeuges abziehen lassen. In der Regel geschieht das dadurch, dass die während der Nutzungszeit gefahrenen Kilometer ins Verhältnis gesetzt werden zu der zu erwartenden Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs. An dieser Regelung rüttelte der BGH nicht. VW kommt das Nutzungsentgelt zur Minimierung des Schadensersatzes zugute. Dabei besteht der Verdacht, dass der Autobauer Verfahren in die Länge zieht, um das Entgelt in die Höhe zu treiben und den Schadensersatz zu verringern. Allerdings orientierte sich der BGH bei seiner Entscheidung an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Dort könnte eine Neubewertung der Nutzungsentschädigung durchaus möglich sein. Vor dem EuGH sind etliche Verfahren im Diesel-Abgasskandal anhängig. Dabei steht auch die Nutzungsentschädigung zur Entscheidung an. Der Senat befürchtete letztlich bei einem grundsätzlichen Ausschluss des Vorteilsausgleichs, dass der Ersatzanspruch in die Nähe eines Strafschadensersatzes gerückt würde. Und dieser Ersatz findet sich im deutschen Recht nicht.
- Interessant sind auch die Ausführungen zur sekundären Darlegungslast, wie der juristische Online-Dienst rsw.beck-aktuell zusammenfasst. Dabei ging es im VW-Verfahren um die Zurechnung des Verhaltens ehemaliger leitender Mitarbeiter und Vorstände von VW. Der Kläger hatte dafür hinreichende Anhaltspunkte vorgetragen; Volkswagen hatte die vom Kläger erläuterten Anhaltspunkte mit der Begründung bestritten, es lägen keine Erkenntnisse vor. Für den BGH genügten diese Argumente nicht. Vielmehr hätte VW hier die internen Vorgänge weiter aufklären und diese Erkenntnisse vortragen müssen. Dies sei, anders als von dem Autokonzern kritisiert, auch kein unzulässiger Ausforschungsbeweis. Die sekundäre Darlegungslast gehe zwangsläufig damit einher, dass die belastete Partei Tatsachen vortragen muss, von denen der Prozessgegner andernfalls keine Kenntnis erlangt hätte oder hätte erlangen können, so der Senat. Das sei im Hinblick auf eine faire Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten hinzunehmen. Gerade im Diesel-Abgasskandal von Daimler wird dieser Zusammenhang noch Bedeutung erlangen – mehr dazu hier.