Chancen vor Gericht gegen VW zu gewinnen, so gut wie nie
Die Rechtsprechung im Diesel-Abgasskandal hat sich seit dessen Beginn im September 2015 dramatisch zugunsten der Verbraucher verändert. Und letztlich ist auch die neue Motorengeneration von VW – zum Beispiel der EA 288 – davon betroffen.
- Die verbraucherfreundliche Wende mündete im ersten BGH-Urteil am 25. Mai 2020 (Az. VI ZR 252/19) und der Verurteilung von VW aufgrund vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB. Ein Kläger konnte seinen VW-Sharan zurückgeben und erhielt den Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen zurück.
- Mittlerweile sprechen sich 21 von 24 Oberlandesgerichten und 99 von 115 Landgerichten für eine Haftung des VW-Konzerns in Fällen um den Diesel EA 189 aus.
- Ein sogenannter Hinweisbeschluss des BGH am 8. Januar 2019 ( VIII ZR 225/17) hatte die Wende in der Rechtsprechung eingeleitet. Fahrzeuge mit einer manipulierten Abgasreinigung wurden darin generell als mangelhaft bezeichnet.
- Und da schwappt der Diesel-Abgasskandal bereits in Dieselgate 2.0 über. Denn im EA 288 ist ein sogenanntes Thermofenster als Abschalteinrichtung verbaut. Solche temperaturabhängige Abgaskontrollsysteme sind am Europäischen Gerichtshof in einem Gutachten am 30. April 2020 als unzulässig bezeichnet worden. Diese Thermofenster sind sogar als Software-Update im EA 189 implementiert worden. Sie befinden sich auch in zahlreichen Diesel der Daimler AG. Dieselgate 2.0 könnte eine größere Dimension einnehmen als der erste Diesel-Abgasskandal um den Motor EA 189.
- Hinzu kommt noch, dass das Thema Verjährung Mitte Juni 2020 eine neue Dimension erhalten hat. Nach einem ersten Beschluss vor dem Amtsgericht Marburg (Az. 9 C 891/19) kommt im Diesel-Abgasskandal wohl eine 10-jährige Verjährungsfrist in Frage. Damit kann VW nicht hoffen, dass die sonst übliche dreijährige Verjährung den Mantel des Vergessens über den Dieselskandal stülpt.
Der VW-Bulli schon zweimal auffällig im Abgasskandal
Der legendäre VW-Bulli war schon zweimal in einen Rückruf des KBA involviert. Bereits im vergangenen Jahr war der VW-Bus T6 am 17. April 2019 vom KBA zurückgerufen worden. Hier handelte es sich wie in dem aktuellen Fall der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer um Euro-6-Modelle 2,0 TDI mit dem Motor EA 288. Insgesamt waren 185.383 Bullis weltweit betroffen – 86.741 in Deutschland. Der EA 288 Motor steht mittlerweile auch unter Verdacht, mit Abschalteinrichtungen das Abgaskontrollsystem bei VW-Motoren zu manipulieren – mehr dazu hier.
Zuletzt musst die Volkswagen AG am 24. Januar 2020 auf Anordnung des Kraftfahrt-Bundesamtes KBA Fahrzeuge wegen Überschreitung der Stickoxidwerte zurückrufen. Betroffen von dem Rückruf sind weltweit 29.381 Autos vom Typ T5 und T6. In Deutschland fahren 8730 sogenannte „Bullis“ auf den Straßen. Es handelt sich um Fahrzeuge mit einem 103kW-Dieselmotor und DQ500-Automatikgetriebe in den Abgasstufen „EU5mod“ und „EU5J“. Laut KBA-Rückruf muss VW das Getriebe und/oder Motorsteuergerät neuprogrammieren. Von unzulässigen Abschalteinrichtungen ist in dem Rückruf, der die Baujahre 2009 bis 2016 betrifft, nicht die Rede, nur von einer „Konformitätsabweichung“, die zur Überschreitung des Euro-5-Grenzwertes für Stickoxide führt. Der erhöhte Stickoxid-Ausstoß und der verpflichtende Rückruf kann durchaus den Verdacht erhärten, dass VW auch beim T5 und T6 eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut hat. Schließlich sind die Fahrzeuge mit dem Motor EA189 unterwegs, und der hatte im September 2015 den Diesel-Abgasskandal bei VW ausgelöst.
Was können Verbraucher im VW-Abgasskandal unternehmen?
Der Verbraucher kann drei Möglichkeiten für sich in Anspruch nehmen, um seine Rechte durchzusetzen. Die drei Wege haben sich bei Verfahren gegen VW bewährt.
- Rücktritt: Der Autoinhaber kann vom Kaufvertrag zurücktreten, weil das gelieferte Auto im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) einen Sachmangel aufwies. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Hinweisbeschluss (Az. VIII ZR 225/17) vom 8. Januar 2019 festgehalten, dass Fahrzeuge mit einer Manipulationssoftware mangelhaft sind. Zahlreiche Gerichte haben auch daraufhin entschieden, dass das Fahrzeug ohne eine Fristsetzung zur Nachbesserung zurückgegeben werden kann. Der Kaufvertrag wird dann rückabgewickelt. Der Käufer muss letztlich das Auto mit dem manipulierten Motor zurückgeben, kann aber im Gegenzug den bereits bezahlten Kaufpreis zurückverlangen. Der BGH hat in seinem ersten Urteil am 25. Mai 2020 im Fall des Motors EA 189 eine solche Rückabwicklung gebilligt und VW verurteilt.
- Schadensersatz: Der Verbraucher kann sein Fahrzeug auch behalten und die VW AG auf Schadensersatz verklagen. Dieser Anspruch folgt aus der vorsätzlichen und sittenwidrigen Schädigung des Konzerns nach 826 BGB. Der Autobauer muss dann den Minderwert ersetzen, der durch die Manipulation entstanden ist. Gerichte haben in Verfahren gegen die VW AG hier Beträge bis zu 25 Prozent des Kaufpreises ausgeurteilt.
- Neulieferung: Eine dritte Option hat die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe erstritten: Wer sich einen Neuwagen gekauft hat, kann auch die Neulieferung eines neuen Fahrzeuges ohne Manipulationssoftware verlangen - natürlich gegen die Rückgabe des manipulierten Fahrzeugs. Für die gefahrenen Kilometer des alten Fahrzeugs muss der Verbraucher keine Nutzungsentschädigung bezahlen.
Nachdem der Bundesgerichtshof in seinem Hinweisbeschluss, den Weg für die Nachlieferung geebnet hat, erstritt die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH am 24. Mai 2019 drei Urteile des Oberlandesgerichts Karlsruhe, durch die die Kläger Neuwagen erhalten und die alten Fahrzeuge über Jahre kostenlos gefahren sind. Mittlerweile ist das Urteil rechtskräftig (Az. 13 U 144-17), weil das die mögliche Revision vor dem BGH nicht wahrgenommen hat – mehr dazu hier.