„Die Kunden hatten die Chance rasch entschädigt zu werden. Und das ist der Erfolg in dem Verfahren“, sagte Ralph Sauer von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft. „Erstmals konnten sich nun Hundertausende Geschädigte gemeinsam gegen einen Großkonzern wehren. An dem Klage-Instrument sind noch viele gesetzliche Nachjustierungen nötig“, betonte Dr. Ralf Stoll. Die Inhaber der Kanzlei hatten den vzbv in der Spezialgesellschaft RUSS Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH gegen VW vertreten. Die Verbraucher-Kanzlei Dr. Stoll & Sauer gehört zu den führenden im Abgasskandal.
Musterfeststellungsklage ist viel zu kompliziert
Die Musterfeststellungsklage ist ein Meilenstein im deutschen Verbraucherrecht. Erstmals konnten sich Verbraucher gegen einen Großkonzern durchsetzen. Die Klage hat dazu beigetragen, den größten Massenvergleich in der bundesdeutschen Geschichte mit einem Unternehmen zu ermöglichen. Gleichzeitig hat die Praxis jedoch die Schwächen der Musterklage aufgedeckt. Der bürokratische Aufwand ist enorm und muss verringert werden. Dass Verbraucher in der zweiten Stufe selbst klagen müssen, falls es keinen Vergleich gibt, schreckt Verbraucher ab. Das Gericht könnte eine verbindliche Entscheidung treffen, etwa eine Schlichtung anordnen. Der Gesetzgeber müsste nach Meinung der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer unbedingt nachbessern.
Weg frei für Individualklagen und BGH-Joker
Jetzt klagen: Der VW-Vergleich ersparte den Teilnehmern eine eigene Klage – so wie es das Verfahren zur Musterfeststellungsklage im Grunde nach vorsieht, wenn es denn zu Ende geführt worden wäre. So gibt es jetzt ohne Umwege Geld. Ausgeschlossen vom Vergleich waren allerdings rund 200.000 Verbraucher der Musterfeststellungsklage, beispielsweise diejenigen, die die zum Kaufzeitpunkt Ihren Wohnsitz nicht in Deutschland hatten oder die ihr Fahrzeug nach dem 31. Dezember 2015 erworben haben. Diesen ausgeschlossenen Verbrauchern steht es frei, eine Individualklage einzureichen. Und hier stehen die Chancen nicht schlecht, von VW Schadensersatz vor Gericht zugesprochen zu bekommen.
Mittlerweile wird VW von 20 Oberlandesgerichten verurteilt. Am 30. April 2020 hat die Generalanwältin Eleanor Sharpston vor dem Europäische Gerichtshof EuGH klargemacht, dass VW mit unzulässigen Abschalteinrichtungen arbeitet und somit EU-Recht gebrochen hat. Am 5. Mai 2020 verhandelt dann der Bundesgerichtshof BGH über den VW-Fall. Und die Tendenz geht klar zu Gunsten der Verbraucher. Sie sollten daher auch weiterhin den Klageweg gegen die Autobauer überprüfen lassen. Im kostenfreien Online-Check der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer lässt sich der richtige Weg aus dem Diesel-Abgasskandal herausfinden. Die Fälle werden individuell geprüft, ehe man sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die VW AG einigt.
BGH-Joker: Vom angenommenen VW-Vergleich können die Verbraucher innerhalb von 14 Tagen zurücktreten. Die Widerrufsfrist ist vor dem Hintergrund anstehender höchstrichterlicher Entscheidungen interessant. Wer beispielsweise seinen Vergleich am 30. April 2020 abgeschlossen hat, kann bis zum 14. Mai 2020 seine Unterschrift widerrufen. Der EuGH hat sich verbraucherfreundlich zu Wort gemeldet und von der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof am 5. Mai 2020 wird von Experten Ähnliches erwartet. Diesen sogenannten BGH-Joker sollten Betroffene ziehen und in aller Ruhe prüfen, wie die Chancen in einer Individualklage auf eine höhere Entschädigung stehen, als sie der VW-Vergleich bietet. Je nach Alter und Typ des Fahrzeugs sollen Kunden mit Beträgen zwischen von jeweils 1.350 bis 6.250 Euro entschädigt werden.
Ab Mai 2020 will VW die ersten Entschädigungen ausbezahlen
Mit der Rücknahme der Musterfeststellungsklage geht ein 18 Monate andauernder Rechtsstreit zu Ende. Am 1. November 2018 hatte der vzbv die erste Musterfeststellungsklage der deutschen Rechtsgeschichte am Oberlandesgericht Braunschweig eingereicht. Am 30. Oktober 2019 fand die erste mündliche Verhandlung statt. Am Ende der zweiten mündlichen Verhandlung am 18. November 2019 hatte der Vorsitzende Richter am OLG Braunschweig, Michael Neef, Vergleichsverhandlungen angeregt, die im Januar 2020 starteten. Am 14. Februar 2020 erklärte VW einseitig die Verhandlungen für gescheitert, nahm sie dann aber wieder am 20. Februar 2020 auf Anregung des Braunschweiger OLG-Präsidenten Wolfgang Scheibel auf. Am 28 Februar 2020 einigten sich dann vzbv und Volkswagen auf einen 830 Millionen schweren Vergleich. Nach VW-Angaben sollen ab dem 5. Mai etwa 750 Millionen Euro an Zahlungen fließen.