Verjährung im Diesel-Abgasskandal von VW heftig umstritten
Trotz des ersten verbraucherfreundlichen Urteils vor dem Bundesgerichtshof im VW-Skandal gibt es noch viele offene Fragen. Auch die Verjährung im Diesel-Abgasskandal ist heftig umstritten. Gerade im Hinblick auf die neue Sichtweise durch § 852 BGB rät die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer betroffenen VW-Kunden zur anwaltlichen Beratung, um ihre Rechte gegen den Autobauer durchzusetzen. Im kostenfreien Online-Check der Kanzlei lässt sich der richtige Weg aus dem Diesel-Abgasskandal herausfinden. Verjährt ist definitiv noch nichts. VW pocht auf die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB). Normalerweise beginnt die Verjährungsfrist gegen Ende des Jahres zu laufen, in dem das Tatereignis stattfand. 2015 machte VW den Abgasskandal mit einer Ad-hoc-Mitteilung publik. Also wäre Ende 2018 der Betrug verjährt. Dieser frühe Verjährungszeitpunkt stellt in der Rechtsprechung jedoch eine Minderheitenmeinung dar. Die meisten Gerichte gehen bisher davon aus, dass frühestens 2016 die Verbraucher vom Skandal informiert gewesen sein könnten. Damit wäre die Verjährung Ende 2019 eingetreten. § 852 BGB macht VW jedoch einen Strich durch die Rechnung. Noch ist nichts verjährt. Verbraucher können weiter ihr Recht vor Gericht einklagen.
Landgericht Magdeburg folgt Amtsgericht Marburg bei Verjährung
Das Landgericht Magdeburg sieht wie bereits das Amtsgericht Marburg einen Restschadensanspruch gegenüber VW nach § 852 BGB, der erst nach 10 Jahren ab Kauf des Fahrzeugs verjährt. Im Urteil vom 25. Juni 2020 (Az.: 10 O 1856/19) formuliert es das Gericht folgendermaßen: „Schließlich prüfen die, eine Verjährung der 2019 erhobenen Klagen bejahenden Gerichte nicht, - die nach der Rechtsansicht der Kammer hier allerdings nicht erhebliche Problematik -, ob nicht möglicherweise ein Anspruch aus § 852 BGB mit 10-jähriger Verjährungsfrist gegeben ist. […] Auch von daher überzeugt die Meinung, die Ansprüche angesichts der Verjährung grundsätzlich abzulehnen nicht, da dann wohl ein Anspruch aus § 852 BGB vorliegen würde.“
Das Amtsgericht Marburg hatte am 16. Juni 2020 (Az.: 10 O 1856/19) im VW-Skandal ein neues Kapitel bei der juristischen Aufarbeitung aufgeschlagen. Bisher war VW dadurch aufgefallen, dass der Autobauer zur Aufklärung des Skandals nur wenig beigetragen hat. Mit einer Hinhaltetaktik vor Gerichten erweckt VW den Eindruck, dass man die Verfahren in die Länge ziehen wolle, bis die meisten Fälle verjährt sind.
Das Gericht in Marburg bremste VW jedoch kräftig aus. So liest sich auch der Beschluss, der der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer vorliegt. Darin bemängelt der Richter zuerst den unerheblichen Vortrag der VW-Anwälte. Zur Sache seien in dem 80-seitigem Schriftsatz nur wenig zu finden. Auch sei die Erwiderung der Klage offensichtlich nicht für den Rechtsstreit gefertigt worden, empört sich der Richter weiter: „Der eingereichte Schriftsatz von ca. 80 Seiten ist gefüllt mit allgemeinem Vortrag und der Verteidigung gegen einen Feststellungsantrag, den die Klägerseite nicht begehrt; darüber hinaus ist die Entscheidung des BGH (Az.: VI ZR 252/19) nicht berücksichtigt worden, wo der BGH die Beklagte wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB verurteilt hat.“
Und dann der sensationelle Satz zum Thema Verjährung: „Die Beklagtenseite wird vom Gericht gemäß § 139 ZPO darauf hingewiesen, dass die Einrede der Verjährung wohl ins Leere geht, da vorliegend nicht die Regelverjährung von 3 Jahren gemäß §§ 195, 199 BGB einschlägig sein dürfte, sondern die Verjährung gemäß § 852 BGB von 10 Jahren (vgl. BGH Urt. verkündet am 12.05.2016, I ZR48/15).“
Zum Schluss ärgert sich der Richter noch einmal über die Arbeit der VW-Anwälte: „Die Beklagtenseite hat zweimal ein Schriftsatznachlass beantragt und auch erhalten um einen erheblichen Schriftsatz gegen die Klageforderung fertigen zu können. Es kann nicht Aufgabe des Gerichts sein, bei einem Schriftsatz von 80 Seiten sich die möglichen Positionen heraus zu arbeiten von vielleicht 20 Seiten, die dann als erheblicher Sachvortrag angesehen werden können.“
852 öffnet Verbrauchern eine neue Tür im Diesel-Abgasskandal
Auch die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer vertritt seit langem die Meinung, dass im Diesel-Abgasskandal nicht die übliche dreijährige Verjährungsfrist zur Geltung kommen muss, sondern auch die zehnjährige. Bisher ist die herrschende Rechtsauffassung, dass der Skandal um den Diesel EA 189 Ende 2019 verjährt ist. Die Verbraucherkanzlei ist sich jetzt sicher, dass VW nicht so leicht und schnell davonkommen wird. Denn, wer sittenwidrig täuscht und trickst, darf sich keine Hoffnungen darauf machen, dass seine Tat nach der üblichen Verjährung in Vergessenheit gerät. § 852 BGB bietet Verbrauchern die Möglichkeit, selbst bei verjährten Schadensersatzansprüchen gegen VW finanziell entschädigt zu werden. Daher macht die Einreichung einer Klage auch noch 2020 und darüber hinaus Sinn.
- Denn die Ansprüche auf eine Geldzahlung können laut 852 BGB frühestens nach zehn Jahren verjähren. Hierbei handelt es sich um den sogenannten Restschadensersatzanspruch. Wer sich beispielsweise sittenwidrig einen finanziellen Vorteil verschafft hat, muss diesen Vorteil wieder zurückgeben.
- Im BGB liest sich 852 dann wörtlich folgendermaßen:
„Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Dieser Anspruch verjährt in zehn Jahren von seiner Entstehung an […].“ - Auf die Seite der Verbraucher hat sich bei diesem Thema auch die Juraprofessorin Susanne Augenhofer in einem Aufsatz der Zeitschrift Verbraucher und Recht (VuR 2019/3, 83, 86) Voraussetzung, dass § 852 BGB greift, ist das Vorliegen eines deliktischen Schadensersatzanspruchs, so Augenhofer. Der Bundesgerichtshof hat im ersten VW-Urteil am 25. Mai 2020 diesen Anspruch deutlich festgestellt.
- Für die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer ist daher klar, dass im Falle einer möglichen Verjährung von VW-Fällen § 852 BGB greift, und VW den durch die Manipulation erlangten finanziellen Vorteil dem Verbraucher zurückgeben muss. Wer beispielsweise seinen Diesel 2013 erworben hat, kann bis 2023 Ersatzansprüche gegen VW geltend machen.
BGH setzt hohe Hürden für Verjährungsbeginn
Allerdings spricht vieles dafür, dass die Verjährung noch gar nicht eingetreten ist. Der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 19. März 2008 (Az. III ZR 220/07) und das Oberlandesgericht Nürnberg (Az. 1 U 2691/05) haben die Messlatte für den Beginn der Verjährungsfrist sehr hoch gehängt. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer vertritt die Ansicht, dass noch gar nichts verjährt ist:
- Die Rechtslage gestaltete sich für die Verbraucher lange unübersichtlich. Die Chancen gegen VW in der juristischen Auseinandersetzung zu gewinnen, waren selbst für Rechtskundige nur schwer einschätzbar. Am Anfang sah selbst der Verbraucherzentrale Bundesverband keine Möglichkeit, sich gegen VW durchzusetzen. Erst 2019 fand eine verbraucherfreundliche Kehrtwende vor Gerichten statt, die bis dahin eine Haftung von VW abgelehnt hatten. Erst ab diesem Zeitpunkt war für VW-Kunden erkennbar, dass sie vor Gericht Recht bekommen könnten.
- Auch die Rechtsschutzversicherer lehnten anfangs eine Kostendeckung ab und mussten zur Übernahme in vielen Fällen erst gerichtlich gezwungen werden. Die Kläger mussten anfänglich ein enormes Kostenrisiko tragen. Das hielt und hält noch heute die Mehrzahl der Verbraucher davon ab, gegen VW juristisch vorzugehen.
- Die Kläger haben zudem bis heute kaum Kenntnisse darüber, wie es zu dem größten und komplexesten Betrug der deutschen Nachkriegsgeschichte kam und wer dafür verantwortlich ist. Der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer ist es bis heute nicht gelungen von der Staatsanwaltschaft Braunschweig, Akteneinsicht zu erhalten. Der Beginn der rechtlichen Verjährung setzt aber zwingend Kenntnisse der Umstände des Betrugs voraus.
- Bis heute hält VW einen internen Bericht über den Diesel-Skandal unter Verschluss. Die Veröffentlichung des Berichts der US-Kanzlei Jones Day hatte der Konzern groß angekündigt und dann doch abgeblasen. Volkswagen als Herr des Wissens kann auf diese Weise seinen Wissensvorsprung im Verfahren ausnutzen. Das wäre unbillig.
- Die Ad-hoc-Mitteilung des Konzerns, mit der die Öffentlichkeit über die Vorkommnisse rund um den Dieselmotor EA 189 informiert werden sollte, blieb völlig vage. Nur die Händler sollen darüber informiert worden sein, welche Modelle des Konzerns betroffen waren. Welcher Skoda-Fahrer konnte ahnen, dass auch er einen EA 189 unter der Motorhaube hatte? Erst im Sommer 2017 war überhaupt klar, dass es für alle betroffenen Fahrzeugmodelle ein Software-Update geben würde.