Trendwende beim Thema Nutzungsentschädigung für VW
Das Thema Nutzungsentschädigung hat in den vergangenen Monaten eine neue Dynamik erhalten. Immer mehr Gerichte vor allem der ersten Instanz wollen das „sittenwidrige“ Handeln von VW, nicht auch noch mit einer Nutzungsentschädigung honorieren – mehr dazu hier. Doch auch in der zweiten Instanz wird das Thema kurz vor dem BGH-Termin kritischer für VW gesehen. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg regte am 13. Januar 2020 an, dass die Dieselfahrer weniger für die Nutzung ihrer Fahrzeuge zahlen sollten (Az. 15 U 190/19). Eine Entschädigung soll nur bis zur Geltendmachung des Rückabwicklungsanspruchs bezahlt werden. Die Hamburger Richter rügten vor allem die Vorgehensweise von VW, Verfahren in die Länge zu ziehen, um so das Nutzungsentgelt in die Höhe zu treiben.
Auch am Oberlandesgericht Brandenburg gibt es massive Zweifel daran, warum VW vom Diesel-Abgasskandal durch eine Nutzungsentschädigung profitieren sollte. Bei einem Gütetermin (Az. 3 U 61/19) vom 17. Dezember 2019 sah der Senat gute Argumente, die Entschädigung nicht zu gewähren. Der Kläger habe den Kaufvertrag durch die Täuschung von VW unfreiwillig abgeschlossen. Die Nutzungsentschädigung würde VW Kapital in die Hände spielen, das sich der Autobauer durch Täuschung erschlichen hat. Der Senat stellte daher die Überlegung an, dass dem Geschädigten im Falle des Abzugs einer Nutzungsentschädigung ebenfalls eine Kompensation zusteht. Jedenfalls dürfe die Nutzungsentschädigung nicht aus dem vollen Kaufpreis berechnet werden, da das Fahrzeug aufgrund des gravierenden Mangels von Anfang an einen Minderwert in sich trug. Demzufolge müsste man den Kaufpreis „fiktiv“ ansetzen. Mit der Entschädigung reduziert sich der von VW an die Kläger zu zahlende Schadensersatz.
Insgesamt, so fasst die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer die aktuelle Rechtsprechung zusammen, hat sich die Situation für die Verbraucher verbessert, vor Gericht ihre Ansprüche durchzusetzen. Sie sollten daher auch weiterhin den Klageweg gegen die Autobauer überprüfen lassen. Im kostenfreien Online-Check (hier) der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer lässt sich der richtige Weg aus dem Diesel-Abgasskandal herausfinden. Die Fälle werden individuell geprüft, ehe man sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die VW AG einigt.
Heese und Staudinger gegen Nutzungsentgelt für VW
Auch in der juristischen Literatur votieren renommierte Rechtsexperten gegen das Nutzungsentgelt für VW. Neben dem Regensburger Jura-Professor Dr. Michael Heese hält auch sein Kollege von der Universität Bielefeld, Professor Dr. Ansgar Staudinger, die Nutzungsentschädigung für VW in einem Beitrag der Neuen Juristischen Wochenschrift (2020, 641) für unnötig.
Der Jura-Professor Ansgar Staudinger kommt in seiner Analyse (NJW 2020, 641) zu dem Fazit, dass „der vollständige Ausschluss einer Vorteilsanrechnung (…) gerechtfertigt ist. Das gilt vor allem dann, wenn die Nutzungsentschädigung demjenigen zugutekommt, der vorsätzlich und sittenwidrig nach Paragraph 826 BGB den Käufer zum Vertragsabschluss veranlasst und ihm eine Weiternutzung das Fahrzeugs geradezu aufgedrängt hat. Also: Keine Nutzungsentschädigung für die Volkswagen AG.
Staudinger sieht unter anderem keine Übereinstimmung zwischen Vor- und Nachteil bei der Nutzungsentschädigung. „Die Einbuße des Käufers ist ausdrücklich nicht darin zu sehen, ein mängelbehaftetes Fahrzeug erhalten zu haben, sondern vielmehr im täuschungsbedingten Eingriff in die Vertragsfreiheit durch den Abschluss eines für ihn nachteiligen Rechtsgeschäfts. Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig überzeugend, dem hierauf gestützten Anspruch aus § 826 BGB entgegenzuhalten, der Käufer habe ein vollwertiges Fahrzeug zur möglichen Nutzung erhalten. Der Schaden liegt im Abschluss des Kaufvertrags und kann durch die Überlassung eines Fahrzeugs nicht „aufgewogen“ werden. Ebenso wenig kann dieser Gedanke Eingang in die Bewertung eines möglichen Vorteilsausgleichs finden. Angesichts der fehlenden Kongruenz zwischen Vor- und Nachteil verbietet sich eine uneingeschränkte Anrechnung der Nutzungen.“
Der Jura-Professor erörtert darüber hinaus beim Thema Nutzungsentschädigung auch die Unzumutbarkeit für den Geschädigten. Denn der vorsätzlich und sittenwidrig handelnde Schädiger wird durch die Zahlung unangemessen entlastet. Ein wirtschaftlicher Nutzen soll ihm durch den Vorteilsausgleich verwehrt bleiben. Zudem hat VW den Kläger die Weiternutzung der Fahrzeuge förmlich aufgedrängt. Dem Schädiger soll es daher wirtschaftlich nicht zugutekommen, dass er dem Geschädigten Nutzungen „abnötigt“. Eine aufgedrängte Nutzung könnte darin zu sehen sein, dass der Hersteller infolge seiner Passivität den Gebrauch des Fahrzeugs durch den Käufer „provoziert“, der auf die Mobilität angewiesen ist. „Der Kunde kann sich diese aber typischerweise erst wieder anderweitig verschaffen, wenn er den Kaufpreis erstattet bekommt“, so Staudinger weiter.
Strittige Fragen im Diesel-Abgasskandal von VW
Während die Haftung von VW nach § 826 BGB unstrittig im Fall des Dieselmotors EA 189 ist, gibt es Fragen, über die sich die Gerichte in Deutschland noch nicht abschließend einigen konnten. Hier wird der BGH in den nächsten Monaten Beschlüsse fassen müssen, um für Rechtssicherheit zu sorgen. Folgende Themenkomplexe warten neben der Nutzungsentschädigung auf abschließende höchstrichterliche Entscheidungen.
- Ob für den Zeitraum zwischen Autokauf und Zustellung der Klage vier Prozent jährliche Zinsen auf den Kaufpreis zu zahlen sind, ist in der Rechtsprechung umstritten. Gerade Landgerichte verurteilen VW zu diesem Zins. Oberlandesgerichte haben das bislang in dieser Deutlichkeit noch nicht so gesehen. Doch auch hier ist kürzlich eine Kehrtwende eingetreten. Das OLG Köln hat diese sogenannten deliktische Zinsen 2019 einem Verbraucher zugesprochen.
- Käufer, die nach dem Bekanntwerden des Diesel-Abgasskandals ihr Fahrzeug erworben hatten, gingen bei OLG meist leer aus. Das OLG Oldenburg hat ebenfalls in dem Verfahren (Az. 14 U 166/19) mit der bisherigen Rechtsprechung gebrochen. Selbst, wenn der klagende Käufer über den Diesel-Abgasskandal bei VW informiert gewesen sein sollte, schützt das die VW AG nicht vor ihrer Strafe. Für das Gericht änderte auch die Ad-Hoc-Mitteilung des VW-Konzerns vom Herbst 2015 nichts am sittenwidrigen Handeln.
- Auch die Verjährung im Diesel-Abgasskandal von VW ist heftig umstritten. VW pocht auf die dreijährige Verjährungsfrist in zwei Varianten: Die erste beginnt Ende 2015 zu laufen und endet 2018. Die zweite beginnt Ende 2016 und endet 2019. Normalerweise beginnt die Verjährungsfrist gegen Ende des Jahres zu laufen, in dem das Tatereignis stattfand. 2015 machte VW den Abgasskandal publik. Realistischer weise ging man bisher davon aus, dass allerhöchsten 2016 die Verbraucher vom Skandal informiert gewesen sein könnten. Der Fall rund um den EA 189 wäre demnach am 1. Januar 2020 verjährt. Aber letztlich braucht es auch dazu eine höchstrichterliche Entscheidung.