Rechtsprechung im Abgasskandal ist eindeutig auf Verbraucherseite
Der Diesel-Abgasskandal bei Fiat-Chrysler (jetzt Stellantis) und Iveco verunsichert die Verbraucher gerade im Segment der Reise- und Wohnmobile. Für die kostspieligen Freizeitfahrzeuge ist jahrelang gespart worden. Manche haben auch ihre Lebensversicherung in ein Fahrzeug gesteckt, um den Lebensabend mit Reisen verbringen und genießen zu können. Seit Juli 2020 ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt wegen des Verdachts des Betrugs. Die Abgasreinigung der Motoren soll vergleichbar wie beim Diesel-Abgasskandal der Volkswagen AG manipuliert worden sein. Und jetzt weist das Landgericht Freiburg die erste Klage gegen Fiat-Chrysler ab. Die Camper fragen sich zurecht, wie stehen tatsächlich die Chancen vor Gericht. Braucht es einen Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA), um erfolgreich juristisch Schadensersatz einzuklagen?
Die Verbraucher-Kanzlei Dr. Stoll & Sauer macht klar, dass die Chancen sehr gut stehen, Autobauer vor deutschen Gerichten zur Rechenschaft zu ziehen und auch den Händler in der Gewährleistungsfrist zur Rücknahme des Fahrzeugs zu bewegen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit einem verbraucherfreundlichen Beschluss bereits am 28. Januar 2020 (Az. VIII ZR 57/19) den Weg dazu bereitet. Das OLG Celle hat ganz aktuell am 17. Februar 2021 in einem Beschluss ebenfalls die Sichtweise des obersten Gerichts unterstrichen (Az. 7 U 20/20). Hier die aktuelle Rechtsprechung von Dr. Stoll & Sauer kurz zusammengefasst:
- Eine Rückabwicklung eines Kaufvertrags in der Gewährleistung ist möglich, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung ausgestattet ist. Die unzulässige Abschaltvorrichtung ist ein Mangel am Fahrzeug. Zum Beweis ist nicht einmal ein Rückruf des KBA notwendig. Denn der BGH vertritt die Auffassung, dass „greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht erst dann gegeben (sind), wenn das Kraftfahrtbundesamt (…) eine Rückrufaktion angeordnet hat. Denn ein Sachmangel nach § 434 Abs. 1 BGB wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung liegt (…) auch schon dann (vor), wenn diese Behörde eine entsprechende Maßnahme gegenüber dem Hersteller noch nicht getroffen hat.“ Die Gewährleistung dauert bei Neufahrzeugen zwei Jahre ab Übergabe des Fahrzeugs.
- Doch wie lässt sich der Sachmangel „unzulässige Abschalteinrichtung“ nachweisen? Für die schlüssige Darlegung eines solchen Mangels ist also nach der Rechtsprechung des BGH nicht einmal das Vorliegen einer Umrüstungsanordnung durch das Kraftfahrtbundesamt erforderlich. Natürlich braucht es einen substantiierten Klägervortrag. Doch gerade bei Fiat-Chrysler gibt es genügend Hinweise und Untersuchungen, die den Verdacht auf unzulässige Abschalteinrichtungen mehr als erhärtet haben.
- Wie sieht der BGH das Thema Mangel? Die Manipulation an der Abgasreinigung kann dazu führen, „dass die Zulassungsbehörde eine Betriebsuntersagung oder -beschränkung vornimmt, weil das Fahrzeug wegen einer gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG verstoßenden Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ entspricht“. Also: Die mögliche Stilllegung des Fahrzeugs aufgrund einer unzulässigen Abgasmanipulation genügt, damit ein Mangel festgestellt werden kann.
- Hat der Autobauer durch falsche oder unvollständige Angaben die Typgenehmigung für das Fahrzeug erschlichen, liegt eine Täuschung des Verbrauchers vor. So hat der BGH im ersten VW-Verfahren am 25. Mai 2020 (Az. VI ZR 252/19) entschieden und VW wegen vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung nach §826 BGB zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt.
Das erste Verfahren im Diesel-Abgasskandal von Fiat-Chrysler
In dem ersten Verfahren gegen Fiat-Chrysler am Landgericht Freiburg stand ein Wohnmobil des Herstellers Dethleffs im Mittelpunkt (Az. 14 O 333/20). Das Modell „Esprit T7150 EB“ basiert auf einen Ducato. Die im Ducato verbauter Multijet-Diesel-Motoren sollen die Abgasreinigung so manipulieren, dass sie auf dem Prüfstand die Grenzwerte für Stickoxid einhalten und im Straßenverkehr die Umwelt verpesten sowie die Gesundheit der Menschen gefährden. Hier die Fakten zur ersten Zivilklage gegen Fiat Chrysler Automobiles, die an einem deutschen Landgericht verhandelt wurde:
- Am 13. Mai 2015 kaufte der Kläger das Fahrzeug der Marke Dethleffs Esprit T7150 für 62.200 Euro.
- Beim Motor handelt es sich um einen für den Fiat Ducato typischen Multijet 150 Light, 148 PS, Euro 5. Der Motor stand auf einer Liste, die die Staatsanwaltschaft Frankfurt im Zuge von Durchsuchungen bei FCA am 22. Juli 2020 veröffentlicht hatte.
- Mit Klage vom 21. August 2020 sollte das Landgericht Freiburg feststellen, ob dem Kläger durch den Diesel-Abgasskandal ein Schaden entstanden ist und FCA dafür haftet.
- Stoll & Sauer hat im Oktober und November 2020 beim Emissions-Kontroll-Institut (EKI) der Deutschen Umwelthilfe (DUH) das streitgegenständliche Fahrzeug testen lassen. Der Dethleffs „Esprit T7150 EB“ mit der Euroabgasnorm 5 überschritt den Grenzwert für Leichte Nutzfahrzeuge (280 mg/km) im normalen Straßenverkehr um das 9,9-fache. Das Gutachten beweist die Verwicklung des Fahrzeugs in den Diesel-Abgasskandal von Fiat Chrysler Automobiles (FCA). Das Gutachten ist der Staatsanwaltschaft Frankfurt und dem Landgericht Freiburg zur Verfügung gestellt worden.
- Gegen FCA und Iveco laufen im Zusammenhang mit Durchsuchungen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt. Im Mittelpunkt steht der Motor des Fiat Ducatos. Die Behörde bittet Fiat-Kunden, sich als Zeugen zur Verfügung zu stellen.
- Auch beim Kraftfahrt-Bundesamt wird der Ducato als im Diesel-Abgasskandal verwickelt geführt. Die Deutsche Umwelthilfe deckte den Abgasskandal bei Fiat bereits 2016 auf. Der Fiat-Motor schaltet nach 22 Minuten die Abgasreinigung vollständig ab, so das Ergebnis von zahlreichen Tests. Auch bei Untersuchungen durch den ADAC fiel der Fiat Ducato beim Ausstoß von Stickoxiden negativ auf. Bei NOx-Emissionen im normalen Straßenverkehr emittiert der Ducato rund 1.200 mg/km an NOx – erlaubt sind bei Euro 5 180 mg/km.
- Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer vertritt die Ansicht, dass bei Fiat der begründete Verdacht besteht, dass die Grenzwerte nicht eingehalten werden und die Abgasreinigung manipuliert wird. Damit wäre der Fall FCA mit dem ersten Abgasskandal der Volkswagen AG vergleichbar. Und VW ist am 25. Mai 2020 vom Bundesgerichtshof wegen vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt worden. Dabei spielt es keine Rolle, wo die entsprechenden Motoren ihre Typgenehmigung erhielten.
- Die Fahrzeuge sind aufgrund der möglichen Abgasmanipulation im Wert gemindert, und den Verbrauchern ist ein erheblicher Schaden entstanden. Zudem droht den Fahrzeugen die Stilllegung. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat sich dahingehend geäußert, dass manipulierte Motoren nicht genehmigungsfähig sind und daher die Stilllegung möglich ist.