In einem Sammeltermin vor dem Landgericht Stuttgart hat Richter Reuschle angekündigt, dem EuGH zahlreiche Fragen vorzulegen. Die Daimler AG wurde hier von der Kanzlei Gleiss Lutz in der mündlichen Verhandlung vertreten. Zunächst hat die Kanzlei für die Daimler AG verhandelt und entsprechende Anträge gestellt. Offensichtlich hat die Daimler AG nach der mündlichen Verhandlung kalte Füße bekommen und dann einen Befangenheitsantrag gestellt. Nach dem Stellen der Anträge dürfte ein solcher Befangenheitsantrag bereits unzulässig sein, wenn er Tatsachen betrifft, die bereits vor der mündlichen Verhandlung bekannt waren. Offensichtlich möchte die Daimler AG hier auf Zeit spielen und einen unliebsamen Richter loswerden. Pikant an der Sache ist, dass nach telefonischer Auskunft des Vorsitzenden Richters Patschke die Befangenheitsanträge bereits in der Kalenderwoche 48 bei Gericht eingegangen seien. Warum das Gericht, diese noch nicht weitergeleitet hat, ist nicht erklärlich. Der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer liegen diese bis heute nicht vor, es war ein reiner Zufall, dass die Kanzlei von den Befangenheitsanträgen erfahren hat. Pikant ist weiterhin, dass die Kammer am Landgericht auch mit einem Richter besetzt ist, der zuvor bei der Kanzlei Gleiss Lutz beschäftigt war. Es handelt sich dabei um Herrn Dr. Sonn, der mindestens bis 2015 noch bei Gleiss Lutz als Rechtsanwalt in Stuttgart gearbeitet hat.
Den Vertretern der Volkswagen AG ist es bereits vor dem Stuttgarter Landgericht gelungen, Reuschle für befangen erklären zu lassen. „Reuschle versucht, Licht ins Dunkle des Diesel-Skandals bei Daimler zu bringen. Das Landgericht Stuttgart darf vor Daimler nicht in die Knie gehen und den Befangenheitsantrag durchwinken", forderte Dr. Ralf Stoll. „Hier geht es um die Integrität deutscher Gerichte.“ Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer gehört zu den führenden Verbraucher-Sozietäten im Diesel-Abgasskandal, vertritt in einer Spezialgesellschaft über 450.000 Verbraucher in der Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG und ist mit einem eigenen Verfahren in den aktuellen Fall vor dem Landgericht Stuttgart betroffen.
Kanzlei Dr. Stoll & Sauer unterstützt Vorlage an EuGH
Richter Reuschle hat 21 Einzelverfahren gegen die Daimler AG gebündelt und will dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg wichtige Fragen im Abgasskandal zur Vorabentscheidung vorlegen. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer aus Lahr ist selbst mit einer Klage in den Fall involviert (Az. 22 O 105/19) und unterstützt die Sammelvorlage des Richters an den EuGH. „Der Gang an den Europäischen Gerichtshof ist richtig und längst überfällig“, betonte Dr. Ralf Stoll. Schließlich gehe es im Skandal um die Einhaltung von europäischen Normen. Zudem behindern Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) und das Bundesverkehrsministerium eher die Aufklärung im Diesel-Abgasskandal, anstatt sie zu beschleunigen, kritisierte Stoll die Behörden. Das KBA weigere sich beispielsweise, Prüfungsunterlagen zu Rückrufe an Gerichte zu übergeben. Vor diesem Hintergrund sei der Gang zum EuGH besonders sinnvoll. Der Richter, der durch Anlegerverfahren im VW-Abgasskandal in die Schlagzeilen geriet, hat am Landgericht Stuttgart jetzt 21 Verfahren gegen die Daimler AG zusammengeführt und will höchstrichterliche Entscheidungen auf europäischer Ebene herbeiführen. Bis 6. Dezember hatten Daimler und die Klägeranwälte Zeit, sich zum Sachverhalt zu äußern. Die Daimler-Anwälte haben mit einem Befangenheitsantrag reagiert, über den jetzt das Landgericht Stuttgart entscheiden muss.
Im Kern geht es Richter Reuschle um drei Fragen:
- Ist das in den Fahrzeugen der Daimler AG verbaute sogenannte „Thermofenster“ eine illegale Abschaltvorrichtung?
- Sind die Grenzwerte der Euro-Normen nur auf den Prüfständen einzuhalten und ist es damit praktisch egal, was im Realbetrieb aus dem Auspuff herauskommt? So zumindest argumentiert die Automobilindustrie.
- Sollen die Verbraucher bei der Rückgabe ihres Diesel-Fahrzeugs den vollen Kaufpreis erstattet bekommen?
Die VW-Holding, Porsche SE und Volkswagen versuchten bereits frühzeitig, in den Anlegerverfahren den Richter mit Befangenheitsanträgen zu stoppen. Kompetenzüberschreitungen und Selbstprofilierung warfen die Autobauer dem Richter vor. Mit einem ersten Befangenheitsantrag scheiterte VW auch in zweiter Instanz am Oberlandesgericht Stuttgart. Als die Ehefrau von Richter Reuschle Ende 2018 VW auf Rückabwicklung eines Fahrzeugkaufs verklagte, witterte der Konzern seine erneute Chance. Unterstützung holten sich die Autobauer dabei von der Kanzlei Schilling Zutt & Anschütz – und erwirkten in 195 Verfahren am Landgericht Stuttgart die Ablösung des Richters. Der hatte übrigens die Klage seiner Frau selbst offengelegt. In der Kanzlei Schilling, Zutt & Anschütz arbeitete übrigens der kommende Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth, der seit knapp einem Jahr dem Ersten Senat vorsitzt. Harbarth war bei SZA bis zu seinem Wechsel ans Bundesverfassungsgericht Geschäftsführer. An dieser Verbindung, die auch einen Hauch von Befangenheit in sich trägt, nahm politisch bei der Wahl Harbarths zum Verfassungsrichter niemand Anstoß. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat jedoch im Namen ihrer Mandanten am 28. November 2019 Verfassungsbeschwerde gegen die Ernennung von Stephan Harbarth zum Richter am Bundesverfassungsgericht eingelegt. Mehr dazu auf www.staatshaftung.eu.