OLG lässt Händler im Abgasskandal nicht aus der Verantwortung
Für VW ist im Diesel-Abgasskandal um die Motoren EA189 und EA288 kein Ende in Sicht. Landgerichte verurteilen derzeit den Autobauer aufgrund von Abgasmanipulationen. Der Bundesgerichtshof (BGH) sah am 15. Juni 2016 auch Ansprüche auf Schadensersatz als gegeben an, wenn Verbraucher das Fahrzeug bereits verkauft haben. Die Oberlandesgerichte Naumburg und Köln haben VW in Fällen zum EA288 verurteilt. Der EA288 ist das Nachfolgemodell des Skandal-Motors EA189. Anders als von VW behauptet, wachsen die Chancen der Verbraucher enorm, ihre Ansprüche gegen den Autobauer vor Gericht durchzusetzen.
Und selbst die Neulieferung von Fahrzeugen in der Gewährleistung funktioniert, wenn der einstige Neuwagen im Abgasskandal verwickelt ist. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat jetzt einen Händler zur Neulieferung eines VW-Tiguan verurteilt. Der Kläger erhält ein nagelneues Fahrzeug aus der aktuellen Tiguan-Produktion, da das streitgegenständliche Modell nicht mehr produziert wird. Und der Knüller: Der Kläger muss nicht einmal eine Nutzungsentschädigung bezahlen. Grund: In der Gewährleistung ist der Verkäufer verpflichtet nachzubessern oder neuzuliefern. Hier das Wichtigste zum durch die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer erstrittene Urteil:
- Der Kläger erwarb im Mai 2014 einen VW-Tiguan für 37.250 Euro. Unstrittig ist in dem Motor EA189 eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Damit stand dem Verbraucher aufgrund der vorsätzlichen und sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB durch VW Schadensersatz zu. Dies hat der BGH am 25. Mai 2020 im ersten Grundsatzurteil zu VW entschieden.
- Im August 2017 verlangte der Verbraucher dann per Klage die Rücknahme des Fahrzeugs sowie die Neulieferung eines Tiguan aus der aktuellen Produktion. Da der Händler die Einrede der Verjährung bis Ende 2017 ausgesetzt hatte, griffen trotzdem die Regelungen der Gewährleistung, deren Frist zwei Jahre ab Datum der Übergabe endet.
- Der Schaden war auch nicht durch das Aufspielen des Software-Updates im Mai 2019 behoben. Das OLG wertete das Update als neue unzulässige Abschalteinrichtung. Wörtlich heißt es: „Dass durch das Aufspielen des Updates ein vertragsgemäßer Zustand erreicht worden ist, kann aber deshalb nicht festgestellt werden, weil nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen des Klägers eine neue Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters installiert worden ist.“ Die Verwendung einer Abschalteinrichtung ist nach europäischem Recht nur in ganz wenigen Ausnahmefällen gerechtfertigt. Und weiter: „Auch wenn die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof vom 17. Dezember 2020 (Az. C-693/18) eine andere Art der Abschalteinrichtung zum Gegenstand hatte, ist ihr allgemein zu entnehmen, dass der den Motorschutz und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs betreffende Ausnahmetatbestand, auf den sich auch die Beklagte hier beruft, dahin auszulegen ist, dass zur Rechtfertigung nur plötzliche und außergewöhnliche Beschädigungen sowie unvorhersehbare Unfallereignisse herangezogen werden können, Verschmutzung und Verschleiß des Motors dagegen nicht ausreichend sind.“
- Das OLG bestätigte das erstinstanzliche Urteil in wesentlichen Teilen. Der Kläger hat gegen VW einen Anspruch auf Nachlieferung eines mangelfreien Fahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion (§§ 439 Abs. 1 2. Alt., 437 Nr. 1, 434 BGB). Einen Nutzungsersatz muss der Käufer gemäß § 474 BGB nicht bezahlen. Der Kläger nutzt sein Fahrzeug seit dem Kauf im Jahr 2014.
Das Urteil des OLG Düsseldorf ist auch für den Abgasskandal von Fiat Chrysler Automobiles (FCA; jetzt: Stellantis) anwendbar. Um als geschädigter Verbraucher seine Ansprüche durchzusetzen, gibt es neben der Möglichkeit FCA zu verklagen auch die Chance, die Gewährleistung in Anspruch zu nehmen und so sein manipuliertes Fahrzeug zurückzugeben. Denn jeder Verkäufer ist verpflichtet, seinen Kunden die gekaufte Ware frei von Mängeln zu übergeben. Geschieht dies nicht, haben Verbraucher einen gesetzlichen Anspruch auf Gewährleistung gegenüber dem Verkäufer (§§ 437, 438 BGB). Hier die wichtigsten Fakten zur Gewährleistung:
- Der Bundesgerichtshof (BGH) hat bereits 2019 illegale Abschalteinrichtungen im Fall von VW als Sachmangel eingestuft. Dabei kann sogar die Neulieferung eines mangelfreien Fahrzeugs am Ende des Verfahrens stehen. Auch dazu gibt es im VW-Fall genügend Beispiele und Urteile – wie jetzt aktuell am OLG Düsseldorf. Diese Rechtsprechung greift natürlich auch bei anderen im Abgasskandal verwickelten Herstellern wie Fiat-Chrysler und Iveco.
- Die Gewährleistungsdauer bei neu gekauften Waren – also auch Fahrzeugen - beträgt 2 Jahre. Bei der Gewährleistung ist es besonders unkompliziert, sein manipuliertes Fahrzeug loszuwerden. Der BGH hat 2019 illegale Abschalteinrichtungen als Sachmangel bezeichnet. Klagt der Verbraucher gegen Fiat-Chrysler, so muss er die vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB erst noch nachweisen. Bei der Gewährleistung genügt das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung, um ans Ziel zu kommen.
- Verwechselt darf die Gewährleistung nicht mit der Garantie werden. Eine Garantieist eine freiwillige Leistung - meist des Herstellers. Der Garantiegeber verpflichtet sich grundsätzlich zu einem bestimmten Handeln in einem bestimmten Fall. Die Erklärung einer Garantie ist freiwillig und dient dazu, das Vertrauen des Kunden zu stärken. Die Garantie beinhaltet also eine freiwillige Selbstverpflichtung des Herstellers oder des Händlers, die über den Kaufvertrag hinaus geht.
- Die Gewährleistung hingegen ist gesetzlich geregelt und ist daher ein wesentlich stärkeres Instrument im Verbraucherschutz. Die Frist von zwei Jahren beginnt mit dem Tag der Warenübergabe zu laufen – also nicht mit der Bezahlung oder der Kfz-Zulassung. Bei der Gewährleistungsfrist müssen beim Autokauf verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. Bei einer individuellen Prüfung muss der Beginn, die Dauer und das Ende der Gewährleistung genau bestimmt werden. Oftmals stellt sich heraus, dass die Gewährleistung länger dauert als angenommen wurde. Das muss individuell geprüft werden – am besten von einem Rechtsanwalt. In unserem kostenfreien Online-Check lässt sich das schnell herausfinden.