Wie stehen im Mercedes-Abgasskandal die Chancen vor Gericht?
Der Diesel-Abgasskandal der Daimler AG entwickelt sich ähnlich wie der Skandal bei der VW AG. Am Anfang sahen die wenigsten Experten eine Chance, juristisch gegen VW erfolgreich zu sein. In den ersten zwei Jahren gingen die ersten Verfahren verloren. Die Trendwende setzte durch neue Erkenntnisse, Gutachten und erste Hinweise des Bundesgerichtshofs (BGH) ein. Genauso verhält es sich bei der Daimler AG. Mit einem Beschluss des BGH 2020 setzte die verbraucherfreundliche Wende in der Rechtsprechung ein. Daran kann auch die Medienkampagne der Daimler AG nichts ändern und die damit einhergehende Schmutzkampagne gegen Verbraucheranwälte. Gebetsmühlenartig trägt Daimler vor, dass die meisten Urteile gegen die Verbraucher ausgesprochen worden sind. Doch das ist definitiv Vergangenheit. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst die Entwicklungen der vergangenen Monate zusammen.
- Der Bundesgerichtshof (BGH) machte am 28. Januar 2020 klar, dass die Daimler AG in den Abgasverfahren ihrer sekundären Darlegungslast nachkommen muss ( VIII ZR 57/19). Bisher hatte Daimler das Existieren von unzulässigen Abschalteinrichtungen nur geleugnet und nicht stichhaltig widerlegt. Seit diesem Beschluss ist generell klar, dass Autobauer die gegen sie gemachten Anschuldigungen auch widerlegen müssen. Ebenso regte der BGH gutachterliche Überprüfungen an. Der BGH-Beschluss löst eine Welle von Gutachten und Beweisbeschlüssen von Landgerichten und Oberlandesgerichten aus.
- Am 19. September 2020 verurteilte mit dem Oberlandesgericht Naumburg erstmals ein Gericht der zweiten Instanz die Daimler AG aufgrund vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung nach §826 BGB zur Zahlung von Schadensersatz. Streitgegenständlich war ein Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4MATIC mit dem Motor OM 651 und der Abgasnorm Euro 5. Das Modell ist Gegenstand der MFK gegen Daimler. Das Gericht ließ keine Revision zu und zog Parallelen zum ersten Diesel-Abgasskandal bei der Volkswagen AG (Az. 8 U 8/20).
- Am 5. November 2020 folgte das Oberlandesgericht Köln ( 7 U 35/20) und verurteilte Daimler. Das von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer erstrittene Urteil sieht in einem Daimler-Fahrzeug (Wohncamper Mercedes 250 d Marco Polo) verschiedene unzulässige Abschalteinrichtungen wie die temperaturabhängige Abgasreinigung (Thermofenster), die Kühlmittel-Soll-Temperaturregelung, die AdBlue-Dosierung, die Aufwärmstrategie, den Abschaltmodus nach 20 Minuten und eine Getrieberegelung. Letztlich geht es bei diesen Abschalteinrichtungen darum, die Abgasnormen nur auf dem Prüfstand einzuhalten.
- Ein Gutachten am Landgericht Stuttgart aus dem November 2020 belastet zudem die Daimler AG schwer. Das Fazit des Software-Experten ist laut einem Bericht des Bayerischen Rundfunks eindeutig: "Die Motorsteuersoftware enthält eine Abschaltvorrichtung". Das Fahrzeug erkenne "die niedrige benötigte Motorleistung" auf dem Teststand, wenn der Prüfzyklus, der sogenannte NEFZ, durchfahren werde. Die Motorsteuerung regele dann die Kühlmittelsolltemperatur auf 70 Grad Celsius herunter – statt der üblichen 100 Grad. "Die abgesenkte Kühlmitteltemperatur führt zu besseren NOx-Werten", so das Gutachten. Das bedeutet: Beim getesteten Fahrzeug, einem Mercedes-Benz E250 CDI Euro 5 mit dem bekannten Skandalmotor OM651, wird die Menge schädlicher Abgase auf dem Prüfstand verringert.
[*]Am 26. Januar 2021 äußerte sich der BGH erstmals zum sogenannten Thermofenster (: VI ZR 433/19). Der bloße Einsatz des Thermofensters ist nach Einschätzung des BGH noch nicht sittenwidrig und nicht mit der VW-Betrugssoftware vergleichbar, bei der die Abgassteuerung auf Prüfständen anders funktionierte als auf der Straße. Beim Thermofenster wird die PKW-Abgasreinigung automatisch aufgrund der Außentemperatur geregelt – sprich im Straßenverkehr ausgeschalten. Der BGH verwies das Verfahren wegen Verletzung rechtlichen Gehörs an das OLG Köln zurück. Dort muss geklärt werden, ob Daimler im Zulassungsverfahren unrichtige Angaben über die Arbeitsweise der Software gemacht hat. Mit Blick auf die unzähligen Rückrufe des KBA wird klar, dass Daimler gegenüber der Behörde es mit der Wahrheit nicht genau genommen hat. Durch den BGH-Beschluss steigen damit die Chancen der Verbraucher, sich vor Gericht ihre berechtigten Ansprüche zu erstreiten.
Gerade diese Entwicklungen zeigen deutlich, dass die Chancen der Verbraucher vor Gericht enorm gestiegen sind. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer rät daher betroffenen Daimler-Kunden mit Rechtsschutzversicherung dazu, sich anwaltlich beraten zu lassen. Im kostenfreien Online-Check der Kanzlei lässt sich der richtige Weg aus dem Diesel-Abgasskandal herausfinden. Die Fälle werden individuell geprüft, ehe man sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den Autobauer einigt. Für Verbraucher ohne Rechtsschutz steht derzeit die Musterfeststellungsklage gegen Daimler offen. Was gilt es dabei zu beachten, welche Modelle sind betroffen und wie ist der Ablauf des Verfahrens?
Was ist eine Musterfeststellungsklage?
Die Musterfeststellungsklage ist keine Sammelklage nach US-Vorbild. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) zieht stellvertretend für die Autobesitzer vor Gericht. Das ist weniger Aufwand und Risiko für den Einzelnen. Am Ende des Verfahrens steht ein Urteil – falls sich die Kontrahenten wie im Fall VW nicht vorher auf einen Vergleich einigen. Fällt das Urteil für die Verbraucher positiv aus, müssen sie in Einzelverfahren ihren Schadensersatz einklagen. Wobei dabei nur ein geringes Kostenrisiko steht, weil das Gericht den Schaden bereits generell festgestellt hat. Die bequemste Lösung für die Verbraucher wäre ein Vergleich. Da gibt es wahrscheinlich sofort Geld, und er könnte als Blaupause für individuelle Verfahren herangezogen werden, die nichts mit der MFK zu tun haben.
Wie können Daimler-Kunden an der Musterklage teilnehmen?
Mercedes-Kunden können sich der MFK anschließen, indem sie sich beim Bundesamt für Justiz kostenlos in ein Klageregister eintragen. Dadurch wird auch verhindert, dass die Fälle zu Jahresende verjähren. Denn das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat bereit 2018 erste Rückrufe gegen Daimler erlassen. Wenn die Verhandlung einmal begonnen hat, kann man nicht mehr einsteigen. Das Klage-Register wird erst in einigen Wochen eröffnet. Vorher prüft das Oberlandesgericht Stuttgart die Rechtmäßigkeit der Klage. Weitere Infos zur Teilnahme an der MFK gibt es auf der Website des vzbv: www.musterfeststellungsklagen.de
Wer kann bei der großen Diesel-Klage mitmachen?
Die Klage umfasst nur bestimmte Mercedes-Modelle der GLC- und GLK-Reihe. In ihnen verbaute Daimler den Motortyp OM 651. Außerdem liegen amtliche Rückrufe des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) für die Fahrzeuge vor. Übrigens kann sich an der Klage auch beteiligen, wer sein Auto bereits verkauft oder verschrottet hat. Konkret geht es um folgende Modelle:
GLC 220 d 4Matic
GLC 250 d 4Matic
GLK 200 CDI
GLK 220 CDI
GLK 220 CDI 4Matic
GLK 220 BlueTec
GLK 250 BlueTec.
Was wird vor Gericht genau verhandelt?
Das verhandelnde Oberlandesgericht Stuttgart soll erstens klären, ob Daimler überhaupt sittenwidrig und vorsätzlich gehandelt hat und zweitens, in welchen Autos welche Abschalteinrichtungen verbaut worden sind. Dabei geht es nicht um das in den Medien stark thematisiert Thermofenster, das die Abgasreinigung über die Außentemperatur regelt. Daimler soll zahlreiche andere Manipulationen am Motor vorgenommen haben. Da geht es um die Einspritzung von AdBlue-Harnstofflösung, um die Abgasrückführung und die Temperaturregelung für das Kühlwasser. Letztlich sollen die Motoren auf dem Prüfstand die Abgasgrenzwerte einhalten. Im normalen Straßenverkehr soll die Umwelt verpestet und die Gesundheit der Bürger gefährdet werden.
Wie lief die erste Musterfeststellungsklage gegen VW ab?
2018 reichte der vzbv gegen Volkswagen die erste MFK im Abgasskandal ein. Die Inhaber von Dr. Stoll & Sauer handelten im Frühjahr 2020 in einer Spezialgesellschaft einen Vergleich für 260.000 Verbraucher mit aus. Das Volumen betrug 830 Millionen Euro. VW zahlte den teilnehmenden Verbrauchern je nach Alter und Typ des Fahrzeugs zwischen 1350 und 6250 Euro. Im Mai 2020 entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass VW seine Kunden sittenwidrig und vorsätzlich geschädigt hat. Der Schaden, so das Gericht, sei mit dem Kauf des Diesels entstanden. Hätten die VW-Kunden gewusst, dass die Fahrzeuge die Abgasreinigung manipulieren, hätten sie den Diesel nie gekauft.
Wie ist der Stand der Aufarbeitung des Diesel-Skandals bei Daimler?
Auch wenn der Konzern sich schuldlos gibt, hat das Unternehmen im Skandal bereits tief in die Kassen greifen müssen.
- Vor knapp zwei Jahren bekam Daimler von der Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Bußgeld in Höhe von rund 870 Millionen Euro aufgebrummt – wegen fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht. Dadurch hätten Dieselfahrzeuge Genehmigungen der Zulassungsbehörde erhalten, obwohl die Abgasgrenzwerte nicht eingehalten worden sind.
- Nach wie vor ermittelt die Staatsanwaltschaft strafrechtlich gegen Mitarbeiter des Konzerns.
- Hunderte von Investoren klagen gegen Daimler. Der Vorwurf: Daimler habe die Märkte zu spät über die finanziellen Folgen der Dieselaffäre informiert. Anleger hätten deshalb Daimler-Aktien viel zu teuer erworben. Es geht um Schadenersatzforderungen in Höhe von über eine Milliarde Euro. Die Investoren streben gegen Daimler ein Musterverfahren an.
- In den USA hat Daimler umgerechnet mehr als 1,9 Milliarden Euro bezahlt, um den Abgasskandal dort zu beenden. Daimler und seiner Tochter Mercedes-Benz USA wurden überhöhte Abgaswerte bei rund 250.000 Dieselwagen vorgeworfen. Trotzdem laufen in den USA seit 2016 weiter strafrechtliche Ermittlungen im Zusammenhang mit der Dieselaffäre.
Rund 254.000 Daimler-Fahrzeuge sind bisher in Deutschland behördlich im Abgasskandal zurückgerufen worden. Die Halter können auch ohne Musterfeststellungsklage ihre Ansprüche geltend machen. Folgende Modelle sind betroffen:
- A-Klasse
- B-Klasse
- C-Klasse
- CLA-Klasse
- CLS-Klasse
- E-Klasse
- G-Klasse
- GL
- GLC
- GLE
- GLK
- GLS
- M-Klasse
- ML-Klasse
- S-Klasse
- SLC-Klasse
- SLK-Klasse
- Sprinter
- V-Klasse
- Viano
- Vito