Experiment mit E-Auto wirft Fragen zur Batteriekapazität auf
Die Automobilindustrie setzt in Deutschland auf E-Mobilität. Das baldige Ende des Verbrennermotors zeichnet sich ab. Für den Verbraucher spielen die Kriterien Reichweite und Batterie bei der Kaufentscheidung für ein E-Auto die wichtigste Rolle. In einem Bericht vom 6. Oktober 2023 deckte die WirtschaftsWoche mögliche Täuschungen bei der Angabe von Reichweite und Batteriekapazität auf. Am 25. Dezember 2023 legte das Magazin mit einem Bericht nach. Die Verbraucherkanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst die wichtigsten Erkenntnisse zu Elektrogate zusammen:
- Die WirtschaftsWoche berichtete über das Experiment eines Verbrauchers, der Mitglied des nationalen Führungsstabs des Technischen Hilfswerks ist. Er wollte herausfinden, was passiert, wenn die Batterie seines VW eUp! komplett entladen wird. Trotz Warnungen im Handbuch fuhr er das Fahrzeug, bis die Batterieanzeige auf null sank. Unterhalb von sieben Prozent – eine Art Stromreserve - Ladezustand traten signifikante Einschränkungen auf, darunter eine reduzierte Geschwindigkeit und das Abschalten von Heizung und Klimaanlage. Schließlich null Prozent. Der Wagen rollte noch. Aber nur noch mit Fahrradgeschwindigkeit.
- Was der Verbraucher jedoch nicht gemacht hat, ist, trotz Null-Anzeige weiterzufahren. Denn tatsächlich wäre das Fahrzeug weitergerollt. Die E-Motoren verfügen nach dem WiWo-Bericht über eine „Notreserve“. Diese "Notreserve" der Batterie, obwohl vom Fahrer bezahlt, ist im Normalbetrieb nicht nutzbar. Volkswagen und andere Autohersteller halten die genaue Größe dieser Reserven geheim, was zu Fragen bezüglich Transparenz und Kundenvertrauen führt.
- Reservebereich und Notreserve – die bei manchen Fahrzeugen in der Summe offensichtlich 60 Kilometer ausmachen – werden den Kunden als normale Batteriekapazität verkauft. Der VW eUp! im Experiment verfügte über 32 Kilowattstunden. Tatsächlich konnte der Verbraucher viel weniger nutzen. Wie viel? Das bleibt im Verborgenen und das Geheimnis von VW.
- Die Untersuchungen der WirtschaftsWoche zeigen, dass diese Praxis in der Autoindustrie weit verbreitet ist. Die fehlende Transparenz bei Elektrobatterien öffnet dem Betrug Tor und Tür.
Einige Autohersteller nutzen die fehlende Transparenz im Bereich der Elektrobatterien aus, wie das Batterieanalyseunternehmen Aviloo, das mit Organisationen wie dem ADAC und TÜV Süd zusammenarbeitet, gegenüber der WirtschaftsWoche offenlegte. Laut Aviloo sollen heimlich Batterien mit geringerer Kapazität eingebaut werden, als offiziell angegeben wird. Zudem sollen die Hersteller zu Software-Manipulationen greifen, um den Eindruck einer Reparatur zu erwecken, wenn die Batterie zu schnell an Leistung verliert. In einigen Fällen reduzieren sie sogar die Kapazität der Akkus durch Software-Updates, um einer vorzeitigen Alterung der Batterie vorzubeugen.
Schadensersatzansprüche bei Elektrogate möglich
Die meisten Autohersteller garantieren eine Restkapazität der Batterie von 70 Prozent nach acht Jahren. Aber ohne genaue Angaben zur ursprünglichen Kapazität ist es für Käufer unmöglich zu berechnen, ob diese Schwelle erreicht wird. Liegen keine konkreten Zahlen vor, wird es für Verbraucher schwierig, Ansprüche geltend zu machen. Doch was ist juristisch konkret möglich?
- Sollten es die Hersteller von E-Autos bei der angegebenen Akkukapazität mit der Wahrheit nicht so genau genommen haben, könnten Kunden aus Sicht der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer womöglich Gewährleistungs- oder Garantieansprüche geltend machen.
- Auch „Schadensersatzansprüche aufgrund einer unerlaubten Handlung“ seien denkbar, betonte Geschäftsführer und Gesellschafter Christian Grotz bereits im Oktober 2023 gegenüber der WiWo.
- Versteckte Reserven könnten wahrscheinlich rechtlich nicht in Ordnung sein, da die Kunden eine angegebene Batteriekapazität gekauft haben, und der Hersteller keinen Teil davon einfach einbehalten dürfe. Falsche Angaben zur Leistung könnten zu erheblichen Schadensersatzansprüchen führen.
- Darüber hinaus könnte eine strafbare Handlung verfolgt werden, wenn sich ein systematisches Vorgehen der Hersteller auf Kosten der Käufer nachweisen lässt.
Die mangelnde Transparenz im Bereich der Elektroautobatterien hat weltweit zu enormen finanziellen Einbußen für die Konsumenten geführt. Die WiWo hat es nachgerechnet: In Deutschland beispielsweise wurden von Januar bis November 2023 insgesamt 470.000 Elektroautos verkauft. Unter der Annahme, dass der durchschnittliche Preis für eine Batterie, wie etwa die des VW ID.3, bei 15.000 Euro liegt, haben deutsche Käufer im betrachteten Jahr insgesamt über sieben Milliarden Euro für Elektroautobatterien ausgegeben. Wenn man bedenkt, dass den Kunden schätzungsweise fünf Prozent der Batteriekapazität vorenthalten werden, entsteht ein Gesamtschaden von mehr als 350 Millionen Euro. Diese Zahl spiegelt den Unterschied zwischen der beworbenen „Netto“-Kapazität und der tatsächlich nutzbaren Kapazität allein in Deutschland für das laufende Jahr wider. Auf globaler Ebene erreichte die Differenz im Jahr 2023 rund sieben Milliarden Euro.
Diese Praxis, unrealistische Reichweiten anzugeben, wird durch das europäische Prüfverfahren WLTP noch verstärkt. Diese im Labor ermittelten Werte berücksichtigen keine Klimatisierung und sind praxisfremd, was zu irreführenden Reichweitenangaben führt. Batterieanalyseunternehmen Aviloo fordert daher im WiWo-Bericht klare, nachvollziehbare Vorgaben des Gesetzgebers: Die Hersteller müssten verpflichtet werden, bei Neuwagen die tatsächlich nutzbare Kapazität zu nennen.
Elektrogate: Staatliche Behörden lassen Autoindustrie gewähren
Die Erkenntnisse des WiWo-Experiments und der Aviloos-Analyse zeigen, dass das teuerste Teil von E-Autos, die Batterie, eine Blackbox bleibt. Die wichtigste Zahl beim Autokauf, die Reichweite, ist oft nicht vertrauenswürdig. Dies untergräbt das Vertrauen in die Elektromobilität und zeigt die Notwendigkeit für mehr Transparenz und Verbraucherschutz in dieser schnell wachsenden Branche. Schon jetzt ist es aus Sicht der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer berechtigt, von Elektrogate zu sprechen. Die Autoindustrie macht es sich wie schon beim Diesel-Abgasskandal zunutze, dass die staatlichen Behörden nicht genau hinschauen und die Industrie schalten und walten lässt, wie sie es will. Die Kanzlei rät Haltern von E-Autos, die Ungereimtheiten bei der Reichweite feststellen, zur anwaltlichen Beratung im kostenlosen Online-Check.