Illegale Abschalteinrichtung im Wohnmobil Trend T von Dethleffs
Seit Sommer 2020 ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt im Fiat-Abgasskandal – bisher ohne veröffentlichte Ergebnisse. Vor allem Wohnmobile sind vom Skandal betroffen, da die meisten Hersteller von Wohnmobilen auf den Fiat Ducato als Basisfahrzeug vertrauen. 2020 sprach die Staatsanwaltschaft von 200.000 Freizeitfahrzeugen. Der Fiat-Diesel Multijet soll mit verschiedenen unzulässigen Abschalteinrichtungen die gesetzlich vorgeschriebenen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalten und nicht im normalen Straßenverkehr. Bei den Abschalteinrichtungen handelt es sich unter anderem um einen sogenannten Timer, der nach 21 Minuten die Abgasreinigung ausschaltet, und das Thermofenster, das die Abgasregulierung von der Außentemperatur abhängig steuert. Das Landgericht Halle hat den Fiat Chrysler-Mutterkonzern Stellantis Europa S.p.A. zu Schadensersatz verurteilt. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer, die das Verfahren führte, fasst das aktuelle Urteil und die Rechtslage zusammen:
- Der Kläger erwarb das Wohnmobil Trend T7057 von Dethleffs 16. Oktober 2017 zum Netto-Kaufpreis von 47.242 Euro. In dem finanzierten Fahrzeug ist der Multijet-Motor F1AGL11C, Euronorm: 6, 2,3 ccm und 150 PS Leistung verbaut.
- In dem Wohnmobil Trend T7057 von Dethleffs soll nach Ausführungen des Klägers die Abgasreinigung mithilfe eines sogenannten Thermofensters von der Außentemperatur abhängig geregelt– sprich manipuliert werden. Zwischen 20°C und 30°C wird die Abgasrückführung (AGR) nicht reduziert, außerhalb dieses Fensters erfolgt eine Reduzierung der AGR.
- Darüber hinaus ging der Kläger davon aus, dass die AGR deaktiviert werde, wenn das Gaspedal komplett durchgedrückt wird. Auch werde die AGR ab einer Leistung von 34kW herabgeregelt. Das Fahrzeug reduziere außerdem dann die AGR, wenn sogenannte Nebenverbraucher, also Klimaanlage, Sitzheizung, Radio oder Assistenzsysteme eingeschaltet werden. Die Emissionswerte des streitgegenständlichen Fahrzeugs seien zudem besser, wenn das Lenkrad nicht bewegt werde.
- Der Kläger fordert die Rückabwicklung des Kaufvertrags sowie die Rückerstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Hilfsweise beantragte der Kläger die Erstattung des sogenannten Differenzschadensersatzes von 5 bis 15 Prozent. Der Bundesgerichtshof hatte diesen neuen Schadensersatz am 26. Juni 2023 erstmalig in die Diesel-Rechtsprechung eingeführt.
- Das Landgericht Halle folgte teilweise den Anträgen des Klägers und verurteilte den Fiat-Mutterkonzern Stellantis Europe aufgrund fahrlässigen Handelns gemäß §823 BGB. Dabei kam die neue Rechtsprechung des BGH im Diesel-Abgasskandal zur Anwendung. Der daraus resultierende Differenzschaden beläuft sich im vorliegenden Verfahren aus Sicht des Gerichts 15 Prozent vom Netto-Kaufpreis des Wohnmobils – also 7086 Euro.
- Die Kammer sah zwar kein vorsätzliches und sittenwidriges Handeln von Stellantis, hielt allerdings die Timerfunktion für unzulässig.
- Die Stellantis-Anwälte haben die Vorwürfe des Klägers nicht bestritten. Die nicht ausreichend bestrittene Motor-Funktion eines Timers stellt aus Sicht des Gerichts eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) 715/2007 dar. Daraus ergab sich der ausgeurteilte Differenzschaden.
- Der Anspruch auf Schadensersatz ist nicht verjährt.
- Das Gericht lehnte eine Nutzungsentschädigung für die bisher gefahrenen Kilometer ab. Der Restwert des Wohnmobils übersteige unter Abzug der Wertminderung von 15 Prozent zusammen mit den Nutzungsvorteilen und dem Restwert des Fahrzeugs nicht den Wert bei Vertragsschluss, so das Gericht in seiner Urteilsbegründung.
- Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
BGH-Entscheid zum Wohnmobil-Abgasskandal von Fiat setzt Maßstab
Für Fiat wird es jetzt im Diesel-Abgasskandal nicht nur aufgrund des Urteils am Landgericht Halle immer enger. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich am 27. November 2023 erstmals zum Abgasskandal der Wohnmobile geäußert. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst das Urteil und die weiteren Entwicklungen kurz zusammen:
- Der BGH sieht auch bei Wohnmobilen aufgrund fahrlässigen Handelns nach §823 Abs. 2 BGB einen möglichen Differenzschaden. Der BGH hatte über die Frage verhandelt, ob FCA als italienischer Hersteller des Basisfahrzeugs eines Wohnmobils nach § 823 Abs. 2 BGB haftet.
- Das deutsche Sachrecht ist auch für Fiat anwendbar, da das Wohnmobil in Deutschland in den Verkehr gebracht wurde.
- Eine Reaktion der italienischen Typengenehmigungsbehörde ist irrelevant, da es beim BGH nur auf die Frage ankommt, ob eine Abschalteinrichtung verbaut ist oder nicht.
- Der Umstand, dass es bislang zu keinen Einschränkungen wie Rückrufen gekommen ist, spielt auch keine Rolle.
- Der BGH stellt klar, dass die Regeln zum Schadensersatz bei PKW im Diesel-Abgasskandal auch auf Wohnmobile anwendbar sind.
- Zum Thema Vorsatz und Sittenwidrigkeit (§826 BGB) hat sich der BGH jedoch nicht geäußert, weil der Sachverhalt nicht vorgetragen wurde. Ob Fiat vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt hat, muss in anderen Verfahren geklärt werden. Dr. Stoll & Sauer hat mehrere Verfahren am BGH dazu anhängig.
- Bejaht der BGH Vorsatz und Sittenwidrigkeit bei Fiat, dann können Verbraucher ihren Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages leichter durchsetzen (großer Schadensersatz). Auch Preisminderung in der Größenordnung von bis zu 25 Prozent könnten dann durchsetzbar sein (kleiner Schadensersatz).