Unzulässige Abschalteinrichtungen im Jeep Renegade
Seit Sommer 2020 ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt im Fiat-Abgasskandal – bisher ohne veröffentlichte Ergebnisse. Vor allem Wohnmobile sind vom Skandal betroffen, da die meisten Hersteller auf den Fiat Ducato als Basisfahrzeug vertrauen. 2020 sprach die Staatsanwaltschaft von 200.000 Freizeitfahrzeugen. Der Fiat-Diesel Multijet soll mit verschiedenen unzulässigen Abschalteinrichtungen die gesetzlich vorgeschriebenen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalten und nicht im normalen Straßenverkehr. Bei den Abschalteinrichtungen handelt es sich unter anderem um einen sogenannten Timer, der nach 21 Minuten die Abgasreinigung ausschaltet, und das Thermofenster, das die Abgasregulierung von der Außentemperatur abhängig steuert. Doch nicht nur der Ducato ist im Diesel-Abgasskandal verwickelt, auch andere Fiat-Fahrzeuge wie jetzt das Modell Renegade des Tochterunternehmens Jeep. Das Landgericht Cottbus hat Fiat in einem Jeep-Fall zu Schadensersatz verurteilt. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst das aktuelle Urteil und die Rechtslage zusammen:
- Der Kläger erwarb das Fahrzeug vom Typ Jeep Renegade am 26. September 2015 als Neuwagen zum Kaufpreis von 27.670 Euro. In dem Fahrzeug ist ein Multijet-Motor, Euronorm: 6, 1956 ccm und 103 kW Leistung verbaut. Die Typgenehmigung für das Fahrzeug erfolgte durch die zuständige italienische Behörde. Herstellerin des Fahrzeugs ist laut Fahrzeugschein die FCA US LLC. Herstellerin des Motors ist die Beklagte.
- In dem Jeep Renegade soll nach Ausführungen des Klägers die Abgasreinigung mithilfe eines sogenannten Thermofensters von Außentemperatur abhängig geregelt– sprich manipuliert werden. Zwischen 20°C und 30°C wird die Abgasrückführung (AGR) nicht reduziert, außerhalb dieses Fensters erfolgt eine Reduzierung der AGR. Die italienische Genehmigungsbehörde MIT verneinte nach eigenen Untersuchungen ein rechtswidriges Verhalten der Beklagten und traf keine eigene behördliche Anordnung
- Darüber hinaus ging der Kläger davon aus, dass die AGR deaktiviert werde, wenn das Gaspedal komplett durchgedrückt wird. Auch werde die AGR ab einer Leistung von 34kW herabgeregelt. Das Fahrzeug reduziere außerdem dann die AGR, wenn sogenannte Nebenverbraucher, also Klimaanlage, Sitzheizung, Radio oder Assistenzsysteme eingeschaltet werden. Die Emissionswerte seien bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug weiter besser, wenn das Lenkrad nicht bewegt werde.
- Der Kläger fordert die Rückabwicklung des Kaufvertrags sowie die Rückerstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Hilfsweise beantragte der Kläger die Erstattung des sogenannten Differenzschadensersatzes von 5 bis 15 Prozent. Der Bundesgerichtshof hatte diesen neuen Schadensersatz am 26. Juni 2023 erstmalig in die Diesel-Rechtsprechung eingeführt.
- Das Landgericht Cottbus folgte teilweise den Anträgen des Klägers und verurteilte Fiat aufgrund vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung im Sinne von §826 BGB.
- Die Fiat-Anwälte haben die Vorwürfe des Klägers nicht bestritten. Die nicht ausreichend bestrittenen Motor-Funktionen stellen unzulässige Abschalteinrichtungen dar im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) 715/2007 dar. „Abschalteinrichtung“ ist ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
- Der Anspruch auf Schadensersatz ist nicht verjährt.
- Das Gericht ging von einer Laufleistung des Jeeps von 300.000 Kilometer aus.
- Über den Differenzschaden entschied das Gericht nicht. Schließlich führte das Verfahren zu einer Verurteilung nach §826 BGB.
- Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
BGH-Entscheid zum Wohnmobil-Abgasskandal von Fiat setzt Maßstab
Für Fiat wird es jetzt im Diesel-Abgasskandal nicht nur aufgrund des Urteils am Landgericht Cottbus immer enger. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich am 27. November 2023 erstmals zum Abgasskandal der Wohnmobile geäußert. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst das Urteil und die weiteren Entwicklungen kurz zusammen:
- Der BGH sieht auch bei Wohnmobilen aufgrund fahrlässigen Handelns nach §823 Abs. 2 BGB einen möglichen Differenzschaden. Der BGH hatte über die Frage verhandelt, ob FCA als italienischer Hersteller des Basisfahrzeugs eines Wohnmobils nach § 823 Abs. 2 BGB haftet.
- Das deutsche Sachrecht ist auch für Fiat anwendbar, da das Wohnmobil in Deutschland in den Verkehr gebracht wurde.
- Eine Reaktion der italienischen Typengenehmigungsbehörde ist irrelevant, da es beim BGH nur auf die Frage ankommt, ob eine Abschalteinrichtung verbaut ist oder nicht.
- Der Umstand, dass es bislang zu keinen Einschränkungen wie Rückrufen gekommen ist, spielt auch keine Rolle.
- Der BGH stellt klar, dass die Regeln zum Schadensersatz bei PKW im Diesel-Abgasskandal auch auf Wohnmobile anwendbar sind.
- Zum Thema Vorsatz und Sittenwidrigkeit (§826 BGB) hat sich der BGH jedoch nicht geäußert, weil der Sachverhalt nicht vorgetragen wurde. Ob Fiat vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt hat, muss in anderen Verfahren geklärt werden. Dr. Stoll & Sauer hat mehrere Verfahren am BGH dazu anhängig.
- Bejaht der BGH Vorsatz und Sittenwidrigkeit bei Fiat, dann können Verbraucher ihren Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages leichter durchsetzen (großer Schadensersatz). Auch Preisminderung in der Größenordnung von bis zu 25 Prozent könnten dann möglich sein (kleiner Schadensersatz).