Zehnjährige Verjährung ist im Diesel-Abgasskandal möglich
„Die Ansprüche auf eine Geldzahlung können nach § 852 BGB frühestens nach zehn Jahren verjähren“, argumentierte Stoll gegen den Hinweisbeschluss aus München. Den Paragraphen habe das Oberlandesgericht offensichtlich übersehen. Im BGB liest sich § 852 dann wörtlich folgendermaßen:
„Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Dieser Anspruch verjährt in zehn Jahren von seiner Entstehung an, ohne Rücksicht auf die Entstehung in 30 Jahren von der Begehung der Verletzungshandlung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.“
Heißt auf Deutsch: Wer sittenwidrig täuscht und trickst, darf sich keine Hoffnungen darauf machen, dass seine Tat durch eine schnelle und übliche Verjährung der gerechten Bestrafung entgeht. Verbraucher-Anwalt Stoll verweist weiter auf Urteile der Landgerichte in Freiburg, Aachen, Ulm, Essen und Trier. Das Landgericht Trier verwies in seiner Urteilsbegründung darauf (Az.: 5 O 417/18), es sei gerichtsbekannt gewesen, dass die Schreiben von VW an die betroffenen Autobesitzer zumindest teilweise erst in den Jahren 2016 und teilweise sogar 2017 versandt wurden. Für den Beginn der Verjährung brauche es für das Gericht in Trier eine "auslösende Kenntnis": Die VW-Mitteilung vom September 2015 über Unregelmäßigkeiten der verwendeten Software bei Dieselmotoren des Typs EA 189 reiche dafür nicht aus, begründete das Gericht seine Auslegung in Sachen Verjährung. Bei solchen komplizierten Sachverhalten seien "höhere Anforderungen zu stellen".
OLG München hält Medienberichterstattung für ausreichend
Im vorliegenden Fall hatte der Kläger ein vom Abgasskandal betroffenes Fahrzeug im Juli 2013 erworben. Im März 2019 reichte er Klage am Landgericht Landshut ein. Mit Urteil vom 6. September 2019 (Az. 54 O 691/19) wies das Gericht die Klage wegen Eintritt der Verjährung zurück. Dieser Ansicht will sich das OLG München anschließen. Im Hinweisbeschluss ließ es durchblicken, dass es die Berufung zurückweisen und das Urteil der ersten Instanz bestätigen möchte. Es begründet dies mit der Verjährung der Ansprüche gegen Volkswagen. Zwar müsse die Partei, die sich auf die Verjährung bezieht, den Beginn beweisen, aber es sei nicht vorstellbar, dass ein VW-Kunde, der in Deutschland lebt, trotz der seit September 2015 in sämtlichen Medien erfolgenden Berichterstattung keine Kenntnis oder zumindest keine fahrlässige Unkenntnis gehabt haben soll.
Nach Auffassung der Münchner Richter begann die Verjährungsfrist also mit Ende des Jahres 2015 zu laufen. Ende 2018 wären damit alle Ansprüche verjährt. Die in diesem Jahr eingereichten Klagen – laut Medienberichten sollen es 45.000 Klagen sein – hätten dann keine Aussicht auf Erfolg mehr. Die Teilnehmer an der Musterfeststellungsklage gegen VW sind vor der Verjährung in keinem Fall betroffen. „Die MFK stoppt die Verjährung“, stellte Ralf Stoll klar. Das müsse sich keiner Sorgen machen.
BGH hat bei Verjährung im Diesel-Abgasskandal das letzte Wort
Letztlich wird das Thema Verjährung vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe entschieden werden. Die meisten Verbraucheranwälte gehen davon aus, dass die übliche dreijährige Verjährungsfrist im Jahr 2016 begonnen hat, als VW sich umfassend an seine Kunden gewandt und auf die Problematik hingewiesen hat - danach wären Einzelklagen noch bis zum Jahresende möglich. Allerdings ist die Rechtsprechung der Landgerichte und Oberlandesgerichte in dieser Frage nicht einheitlich. Und so ist der Bundesgerichtshof gefragt und er wird die endgültige Antwort geben müssen. Nach einem Bericht des Magazins „Der Spiegel“ wird eine Entscheidung für das Jahr 2020 erwartet.