Tadellose Ruf des Verfassungsgerichts bereits jetzt beschädigt
Die Verbraucher-Kanzlei hatte am 28. November 2019 Beschwerde gegen die Ernennung des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Stephan Harbarth eingelegt, weil Mandanten die Befürchtung haben, Harbarth könne aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Anwalt für die Kanzlei Schilling, Zutt & Anschütz aus Mannheim nicht objektiv Recht sprechen. Zu den Mandanten von SZA gehören unter anderem die Automobil- und Pharmaindustrie. Überraschend war für die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer der ablehnende Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht gekommen. „Im Gegensatz zu einer öffentlichen Verhandlung erledigt sich die Sache auf diese Weise lautlos. Die ganze Sache ist dem Bundesverfassungsgericht ohnehin unangenehm“, meinte Ralph Sauer, Mitinhaber und Geschäftsführer der Kanzlei. Der nationale Weg war mit der Nichtannahme der Beschwerde zu Ende. Auf europäischer Ebene gibt es jedoch die Möglichkeit einer Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Bereits jetzt hält Sauer das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts durch den Fall Harbarth für beschädigt. Mit den insgesamt vier Beschwerden gegen die Ernennung Harbarths zum Verfassungsrichter habe sich das Gericht nie wirklich beschäftigt, obwohl einige der Beschwerden Substanz hatten. Da werde lieber auf Biegen und Brechen an einer Personalie festgehalte, ohne tatsächlich den Sachverhalt zu prüfen.
Seltsam findet Sauer auch die Rolle des scheidenden Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. Dessen Amtszeit endete Anfang Mai 2020. Harbarth soll am 15. Mai 2020 turnusgemäß sein Nachfolger werden. Voßkuhle und seine 1. Kammer des Zweiten Senats hatte eine ähnliche Beschwerde wie die von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer ebenfalls nicht angenommen (Az. 2 BvR 2082/19). Dabei entschied Voßkuhle sogar über einen Befangenheitsantrag gegen sich selbst. „Für den Bürger wirkt das befremdlich und ist nicht mehr nachvollziehbar. Letztlich mündet die respektlose Vorgehensweise in einem Ansehensverlust einer bisher tadellosen Institution der Bundesrepublik“, bedauerte Sauer die Entwicklung und Vorgehensweise des Ersten Senats.
Online-Petition soll Harbarth als Gerichtspräsidenten verhindern
Die Wahl zum neuen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts wird im Vorfeld von vielen Misstönen begleitet. Die Amtszeit von Andreas Voßkuhle ist am 6. Mai 2020 abgelaufen. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Stephan Harbarth und Vizepräsident des Gerichts gilt als designierter Nachfolger und soll am Freitag, 15. Mai 2020, vom Bundesrat gewählt werden. Dazu benötigt er eine Zweidrittelmehrheit. Sein Image ist von vier abgelehnten Verfassungsbeschwerden und jetzt auch noch von einer Online-Petition sowie einer Unterschriftensammlung, die sich gegen seine Wahl richten, angekratzt. Mit seiner früheren Tätigkeit für die Kanzlei SZA und seinen ungeklärten Einkommensverhältnissen als Bundestagsabgeordneter beschäftigen sich vor allem die sozialen Medien. Die Bürgerrechtlerin Marianne Grimmenstein hat auf der Plattform www.change.org eine Online-Petition gegen die Wahl Harbarths zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts auf den Weg gebracht. Bisher haben rund 11.313 User unterschrieben.
Neben der Online-Petition initiierte sie noch eine Unterschriften-Sammlung gegen die Wahl Harbarths zum Präsidenten. Am 12. Mai 2020 konnte sie insgesamt 14.451 Unterschriften dem Präsidenten des Bundesrates Dietmar Woidke und den Mitgliedern des Bundesrates zuschicken. An der Online-Petition können sich besorgte Bürger weiter beteiligen. Sie forderte dabei von Woidke, sich von einer möglichen Wahl Harbarths zu distanzieren. Über die Online-Petition rief die Aktivistin die Unterzeichner dazu auf, sich mit der Forderung, Harbarth nicht zu wählen, auch per Mail an den Bundesrat zu wenden.
Grimmenstein ist durch ihren Kampf gegen das höchst umstrittene Freihandelsabkommen CETA deutschlandweit bekannt geworden. Sie hat nach eigenen Angaben die größte Bürgerklage der Bundesrepublik vor das Bundesverfassungsgericht gebracht. 68.058 Bürger beteiligten sich an dem Verfahren. Im Oktober 2016 lehnte das Gericht den Eilantrag ab, setzte aber bis zur endgültigen Prüfung der Klage der Bundesregierung enge Grenzen. Bei der Unterzeichnung durch die Bundesregierung muss gewährleistet sein, dass Deutschland das Abkommen trotz des vorläufigen Inkrafttretens durch ein einseitiges Kündigungsrecht wieder aufkündigen kann. Bis heute steht eine endgültige Entscheidung des Gerichts noch aus. Bei der entsprechenden Online-Petition gegen CETA haben bis heute fast 319.000 User unterschrieben.