Landgericht Dortmund: Typgenehmigung hätte nicht erteilt werden dürfen
Erneut bahnt sich ein verbraucherfreundliches Urteil am Landgericht Dortmund an. Bereits am 3. Mai 2022 hatte die 3. Zivilkammer des Gerichts in seinem Urteil klar gemacht, dass einem Verbraucher durch Fiat Chrysler ein Schaden entstanden ist und ihm für ein Carado-Wohnmobil T477 Schadensersatz zusteht (Az. 3 O 542/20). Bei dem von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer erstrittenen Urteil handelt es sich nicht um ein Versäumnisurteil. Aktuell hat sich die Kammer zu einem Verfahren geäußert, in dessen Mittelpunkt erneut ein Carado-Wohnmobil steht – dieses Mal ein T345 (Az. 3 O 172/20). Hier die wichtigsten Fakten zur Verfügung des Landgerichts Dortmund:
- Der Kläger kaufte im Mai 2016 das Wohnmobil „T345“ des Herstellers Carado für 48.830 Euro. Das Fahrzeug ist mit einem für das Basisfahrzeug Fiat Ducato typischen 2,3-Liter-Motor mit 130 PS ausgestattet und verfügt über die Abgasnorm Euro 5b. Motorkennung: F1AE3481D.
- Das Gericht äußerte sich zum möglichen Ausgang des Verfahrens in einer Verfügung vom 25. Mai 2022.
- „Die Klage dürfte grundsätzlich Aussicht auf Erfolge haben“, führte die Kammer aus. Der im Wohnmobil verbaute Motor enthält aus Sicht des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von EG 715/2007. Die Behörde hatte das am 8. Mai 2020 schriftlich mitgeteilt. Die AGR-Rate und die NSK-Regeneration würden mit Hilfe eines Timers nach einer gewissen Motorlaufzeit verringert.
- Das Gericht will der KBA-Aussage Glauben schenken. Die von der italienischen Zulassungsbehörde ausgesprochene Typgenehmigung stehe einer Verurteilung nicht entgegen. Die Genehmigung habe, so das Gericht, keine Tatbestandswirkung, falls sie arglistig oder jedenfalls mit falschen und unrichtigen Angaben erschlichen worden sei. Die Typgenehmigung hätte nie erteilt werden sollen, betonte das Gericht.
- Eine unzulässige Abschalteinrichtung führt dazu, dass die Abgaswerte auf dem Prüfstand auf das gesetzlich vorgeschriebene Maß optimiert werden. Im realen Straßenbetrieb wird dann die Umwelt verpestet und die Gesundheit der Menschen gefährdet. Die Abgasreinigung wird durch eine sogenannte Zeitschaltuhr nach rund 22 Minuten ausgeschalten. Verschiedene Gerichte haben diese Zeitschaltuhr als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung (EG) 2007/15 gewertet. Nach EU-Recht dürfen unter normalen Betriebsbedingungen die gesetzlichen Abgas-Grenzwerte nicht überschritten werden.
Die juristische Aufarbeitung des Abgasskandals bei FCA/Stellantis ist mit dieser Verfügung erneut ein Stück weitergekommen. Die Chancen auf Schadensersatz sind dadurch enorm gestiegen. Auch ein Verfahren gegen die Daimler AG am Europäischen Gerichtshof (EuGH) entwickelt sich verbraucherfreundlich. In seinen Schlussanträgen verdeutlichte der EuGH-Generalanwalt Athanasios Rantos am 2. Juni 2022, dass Verbraucher Anspruch auf Schadensersatz haben, wenn in ihren Fahrzeugen ein sogenanntes Thermofenster verbaut ist (Az. C 100/21). Ein Thermofenster stellt aus EuGH-Sicht eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, die die Abgasreinigung aufgrund der Außentemperatur regelt – sprich abschaltet. Auch in Fiat-Motoren sollen Thermofenster eingebaut worden sein. In der Regel folgt das Gericht den Anträgen des Generalanwalts. Damit wäre der Abgasskandal aktueller denn je.
Denn der Bundesgerichtshof (BGH) wehrt sich seit gut eineinhalb Jahren, Autobauer aufgrund eines Thermofensters zur Zahlung von Schadensersatz zu verurteilen. Das oberste deutsche Gericht sieht in dem Vorhandensein dieser Abschalteinrichtung keinen Vorsatz. Kläger, so der BGH, müssten schon nachweisen, ob die Hersteller bei der Typgenehmigung dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) den Einbau des Thermofensters verschwiegen haben. Der EuGH-Generalanwalt erteilte am 2. Juni 2022 dieser Sichtweise eine klare Absage. Die Unionsregelung über die EG-Typgenehmigung schütze die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Fahrzeugs, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu erwerben, so Rantos in seiner Begründung. Der Generalanwalt nimmt weiter an, dass der Hersteller des Fahrzeugs dem Verbraucher durch die EG-Übereinstimmungsbescheinigung versichere, dass das erworbene Fahrzeug die Anforderungen des Unionsrechts erfüllt. Das Unionsrecht soll in diesem Fall nicht nur die Umwelt schützen, sondern auch die individuellen Rechte des Verbrauchers. Auch das sah der BGH in seiner Rechtsprechung bisher anders. Mit dem Urteil des EuGH wird zwei bis drei Monaten gerechnet. Fällt es so aus, wie vom Generalanwalt angedacht, dann muss der BGH und viele Oberlandesgerichte ihre Rechtsprechung ändern. Mittlerweile beginnen Gerichte der ersten und zweiten Instanz damit, Verfahren bis zum Urteil des EuGH auszusezten.
Daher rät die Kanzlei vom Abgasskandal betroffenen Verbrauchern, sich anwaltlich beraten zu lassen. Geschädigte müssen durch die Folgen und Auswirkungen des Abgasskandals mit enormen Geldeinbußen kämpfen: Ihnen drohen Fahrverbote, Stilllegungen und Wertverluste, sofern sie die Ansprüche nicht rechtzeitig vor Gericht geltend machen. Verbraucher sollten eine Individualklage erheben. Die Chancen stehen nach aktueller Rechtsprechung sehr gut. Im kostenfreien Online-Check lässt sich der richtige Weg aus dem Dieselskandal herausfinden. Wir prüfen Ihren konkreten Fall und geben Ihnen eine Ersteinschätzung, bevor wir uns auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den Autobauer einigen.