Was bedeutet das verbraucherfreundliche EuGH-Urteil?
Im aktuellen Fall ging es vor dem EuGH um einen Mercedes 220 CDI, bei dem ein Thermofenster bei der Abgasreinigung zum Einsatz kam. Durch das Thermofenster wird die Abgasreinigung bei kühleren Temperaturen reduziert, was einen Anstieg der Stickoxid-Emissionen zur Folge hat. Der Käufer machte daher Schadenersatzansprüche geltend. Das Landgericht Ravensburg legte das Verfahren dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH-Generalanwalt Athanasios Rantos machte in seinen Schlussanträgen – eine Art Plädoyer - deutlich, dass er die Schadenersatzansprüche für gerechtfertigt hält, weil Mercedes fahrlässig gehandelt hat. Der EuGH folgte mit seinem Urteil den Schlussanträgen des Generalanwalts. Aus Sicht der Dieselskandal-Anwälte wird es nach diesem verbraucherfreundlichen Urteil des EuGH wesentlich leichter sein, erfolgreich gegen Automobilhersteller Schadensersatz einzuklagen. Nicht nur die Erfolgsaussichten sind gestiegen, auch viel mehr Dieselfahrer sind klageberechtigt. Warum ist das so?
- Das Thermofenster wird gleich gesetzt mit anderen illegalen Abschalteinrichtungen. Abschalteinrichtungen sorgen dafür, dass die Abgasreinigung auf dem Prüfstand gesetzeskonform funktioniert. Im normalen Straßenverkehr verpesten die Diesel die Umwelt und gefährden die Gesundheit der Menschen.
- Fahrlässiges Handeln der Autohersteller beim Einbau der Abschalteinrichtungen genügt bereits, um erfolgreich eine Klage auf Schadensersatz durchzusetzen.
- Lässt sich ein sittenwidriges und vorsätzliches Handeln im Diesel-Abgasskandal nachweisen, steht einer Verurteilung zu Schadensersatz bisher auch nichts im Wege. Der BGH beharrt jedoch bisher auf den Nachweis des vorsätzlichen Handelns. Das stellt sich für Kläger jedoch schwierig dar, weil niemand Einblick in die Entscheidungsstrukturen der Autohersteller hat.
- Der Bundesgerichtshof hat in einem VW-Urteil den sogenannten Restschadensersatz (BGB §852) bestätigt. Neuwagenkäufer haben hier die Möglichkeit bis zu zehn Jahren ab Kauf, Ansprüche auf Schadensersatz geltend zu machen.
- Da das Thermofenster in beinahe allen Dieselmotoren verbaut worden ist, können Verbraucher problemlos gegen jeden Hersteller von Dieselfahrzeugen Ansprüche auf Schadensersatz geltend machen. Das sind neben VW und Mercedes die Marken, Audi, Toyota, Renault, Opel, Fiat, Jepp, BMW, Lancia, Skoda, Seat, Peugeot.
- Achtung Wohnmobil-Fahrer: Der durch Fiat Chrysler Automobiles (FCA/jetzt: Stellantis) in die Wohnmobilbranche hineingetragene Abgasskandal wird aufgrund des EuGH-Urteils neue Dynamik erhalten. Die meisten Verfahren sind in Erwartung des EuGH von deutschen Gerichten auf Eis gelegt worden. Alles andere als Verurteilungen von FCA zur Zahlung von Schadensersatz wären jetzt nach dem vorliegenden EuGH-Urteil eine Überraschung.
Der Diesel-Abgasskandal erlebt mit dem EuGH-Urteil siebeneinhalb Jahre nach der Aufdeckung sein juristisches Comeback. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem jüngsten Urteil dafür sorgen wollen, dass der Abgasskandal für die Verursacher kostengünstig beerdigt wird. Durch das EuGH-Urteil muss der Skandal neu aufgerollt werden. Hier kurz die wichtigsten Entwicklungen im Diesel-Abgasskandal.
- Volkswagen hatte den Skandal 2015 mit dem Dieselmotor EA189 ursprünglich losgetreten. Hier sind die Manipulationen bereits in großem Umfang aufgearbeitet worden. Das liegt auch daran, dass VW besonders dreist schummelte und die Abschalteinrichtungen auf das Prüfumfeld der Zulassungsbehörden zugeschnitten waren. Der Bundesgerichtshof (BGH) verurteilte VW im Mai 2020.
- Kurz zuvor war es den Inhabern der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer in der ersten Musterfeststellungsklage der Bundesrepublik gelungen, VW einen Vergleich für 260.000 geschädigte VW-Kunden abzuringen. 830 Millionen Euro Entschädigung bedeutet das für die an der Klage teilenehmenden Verbraucher.
- Die Automobilindustrie glaubte nun, der Abgasskandal sei zu Ende. Ein gewaltiger Irrtum. Die Manipulatoren hatten nicht mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg gerechnet. Bereits 2020 machte der EuGH generell klar, dass sogenannte Abschalteinrichtungen nicht verbaut werden dürfen, um nur auf dem Prüfstand die gesetzlichen Abgasgrenzwerte einzuhalten.
- Nach und nach rückte der Hersteller Daimler in den Mittelpunkt der Ermittlungen. Daimler hat die Täuschung etwas geschickter aufgebaut als VW und konnte damit leider sogar den BGH überzeugen. Da die Abschalteinrichtungen bei Mercedes nur auf Temperaturen reagieren, nahm dieser an, es lasse sich nicht nachweisen, dass das in Täuschungsabsicht gemacht wurde. Doch der EuGH stellte am 6. November 2022 fest, dass auch das sogenannte Thermofenster illegal ist (Az.: C-873/19).
- Spätestens als das Verwaltungsgericht Schleswig am 20. Februar 2023 das Software-Update zum VW-Skandalmotor EA189 einkassierte und für illegal erklärte, war klar, dass der Diesel-Abgasskandal neuaufgerollt werden muss. (: 3 A 113/18). Denn beim Update handelt es sich um ein Thermofenster, das die Abgasreinigung abhängig von der Außentemperatur regelt – sprich ausschaltet.
- Und das Verwaltungsgericht Schleswig machte auch klar, dass die Zulassungsbehörde dafür Sorge zu tragen hat, dass die Fahrzeuge wieder in einen gesetzeskonformen Zustand versetzt werden müssen. Heißt übersetzt: Stilllegungen oder Entzug der Typgenehmigung sind denkbar. Verbraucher sollten daher schnell handeln und Klage gegen den Fahrzeughersteller ihres Diesels einreichen. Thermofenster in beinahe allen Modellen verbaut.
- Zu diesen verbraucherfreundlichen Entwicklungen vor Gericht kommen noch die von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) veröffentlichten Bosch-Papers. Aus den Dokumenten geht klar hervor, dass alle Hersteller beim Automobilzulieferer Abschalteinrichtungen bestellt haben, um die gesetzlichen Abgasnormen zu umgehen. Bosch hat die Hersteller darauf hingewiesen, dass die Abschalteinrichtungen nicht regelkonform sind. Unterm Strich lässt sich sagen: Die Automobilindustrie verkauft seit 16 Jahren nicht genehmigungsfähige Fahrzeuge. Die Fahrzeuge sind ihr Geld nicht wert. Den Verbrauchern steht Schadensersatz zu. Mehr zu den Bosch-Papers gibt es auf unserer Spezial-Website.