Doch was bedeutet das juristisch? Sollten es die Hersteller von E-Autos bei der angegebenen Akkukapazität mit der Wahrheit nicht so genau genommen haben, könnten Kunden aus Sicht der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer womöglich Gewährleistungs- oder Garantieansprüche geltend machen. Auch „Schadensersatzansprüche aufgrund einer unerlaubten Handlung“ seien denkbar, zitiert die WiWo unseren Geschäftsführer und Gesellschafter Christian Grotz. Die Kanzlei rät Haltern von E-Autos, die Ungereimtheiten bei der Reichweite feststellen, zur anwaltlichen Beratung im kostenlosen Online-Check. Dr. Stoll & Sauer gehört im Diesel-Abgasskandal zu den führenden Kanzleien, deren Inhaber den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in der Musterfeststellungsklage gegen VW und aktuell gegen den Mercedes-Benz-Group AG vertreten.
ADAC testet den VW ID.3 auf seine Batteriekapazität
Der ADAC hege laut dem Bericht der WiWo den Verdacht, dass einige Hersteller bei ihren Angaben zur Reichweite ihrer Elektrofahrzeuge unehrlich sein könnten und die tatsächliche Batteriekapazität geringer sei als beworben. Besonderes Augenmerk soll auf Volkswagen (VW) liegen, da Tests gezeigt haben sollen, dass die Batterien einiger Modelle des VW-Konzerns möglicherweise weniger Kapazität haben als ursprünglich angegeben.
Im ADAC-Technik-Zentrum befinde sich der VW ID.3 im Langzeittest. Bei Messungen der Batteriekapazität bei 20.000, 80.000 und 100.000 Kilometern sollen die Tests jeweils eine Kapazität von rund 69 Kilowattstunden ermittelt haben. Dies stehe im Kontrast zur Herstellerangabe, die dem Fahrer 77 Kilowattstunden zur Verfügung stellen sollte. E-Auto-Experten haben begonnen, dieser Angelegenheit nachzugehen und vermuten, dass Volkswagen eine "Notlaufreserve" von rund zwei Kilowattstunden vorgesehen haben könnte, die dem Fahrzeug ermögliche, noch weiterzufahren, obwohl die Batterie als leer angezeigt werde.
Volkswagen habe diese Speicherrücklage laut WiWo erstmals bestätigt und erklärt, dass sie dem Nutzer zusätzlich zur Verfügung stehe. E-Auto-Experten seien jedoch skeptisch, da die Reserve genutzt werden könne, wenn das Auto eine völlig leere Batterie anzeige, was die meisten Kunden jedoch vermeiden, da sie ihr Auto zuvor aufluden. Selbst wenn man eine Notlaufreserve von zwei Kilowattstunden annimmt, bliebe immer noch eine Lücke von sechs Kilowattstunden.
Eine Kilowattstunde soll VW nach WiWo-Bericht im Einkauf etwa 100 Euro kosten, während Kunden das Doppelte dafür bezahlen. Der ADAC soll es für unwahrscheinlich halten, dass VW Batteriekapazität im Wert von 1200 Euro einfach nicht eingebaut habe, da dies nach dem Dieselskandal kaum vorstellbar sei. Stattdessen vermutet man, dass VW einen Teil der Akkukapazität verberge und diese per Softwarebefehl freigeben könne, etwa wenn die Batterie im Laufe der Zeit an Speicherfähigkeit verliere. Damit spare VW sich den teuren Austausch der Batterie. Die Kosten dafür liegen zwischen 10.000 und 30.000 Euro je nach Fahrzeug.
Christian Grotz von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer merkt an, dass solche versteckten Reserven wahrscheinlich rechtlich nicht in Ordnung wären, da die Kunden eine angegebene Batteriekapazität gekauft haben, und der Hersteller keinen Teil davon einfach einbehalten darf. Falsche Angaben zur Leistung könnten zu erheblichen Schadensersatzansprüchen führen. Christian Grotz stellt fest, dass Kunden möglicherweise Gewährleistungs- oder Garantieansprüche geltend machen könnten, falls sich herausstellt, dass die Akkukapazität tatsächlich geringer ist als vom Hersteller beworben. Darüber hinaus könnte eine strafbare Handlung verfolgt werden, wenn sich ein systematisches Vorgehen der Hersteller auf Kosten der Käufer nachweisen lässt.
Elektrogate lässt Erinnerungen an Diesel-Abgasskandal aufkommen
Das mögliche Elektrogate erinnert an den Diesel-Abgasskandal, der die Automobilindustrie seit 2015 belastet. Sollten sich die Vermutungen des ADAC bestätigen, könnte dies zu behördlichen Ermittlungen, Straftaten und Schadensersatzprozessen führen. Untersuchungen in den USA brachten 2015 den VW-Abgasskandal ins Rollen. VW reagierte in der Wirtschaftswoche auf die Vorwürfe und gibt an, die Messungen an E-Autos durch den ADAC nicht zu kennen und sich daher nicht dazu äußern zu können. Das Unternehmen betont, dass die entnommene Energiemenge von der Fahrweise und der Batterietemperatur abhängig sei.
Die Wirtschaftswoche berichtete weiter über einen Elektroautofahrer, der regelmäßig dieselbe Strecke mit seinem VW ID.3 fährt und festgestellt haben will, dass die vom Bordcomputer vorhergesagte Reichweite fast immer um 15 bis 20 Prozent niedriger sei als die tatsächliche Reichweite. Er vermute, dass die Batterie möglicherweise nicht die Kapazität hat, die VW angibt. Seine Vermutung deckt sich mit den Ergebnissen des ADAC.
Nicht nur die Batterie bereitet Sorgen, auch der Stromverbrauch
Es soll auch Vermutungen geben, dass nicht nur die Batteriekapazität, sondern auch der Stromverbrauch bei einigen Modellen des VW-Konzerns problematisch sei. Dies könne zu den unrealistischen Reichweitenangaben führen. Die Untersuchungen des ADAC haben nach dem WiWo-Bericht gezeigt, dass die Diskrepanz zwischen den Laborergebnissen und den realen Verbrauchszahlen beim Volkswagen-Konzern auffällig hoch ist. Durchschnittlich verbrauchten die Modelle des Konzerns 23,1 Prozent mehr Strom als in den Verkaufsunterlagen angegeben. Bei einigen Modellen liege die Abweichung sogar über 25 Prozent.
Die Diskrepanz zwischen den Laborergebnissen und den realen Verbrauchszahlen sei laut WiWo-Bericht bei E-Autos im Allgemeinen nicht ungewöhnlich, da der Stromverbrauch unter unrealistischen Bedingungen im Labor gemessen werde. Allerdings sei die Diskrepanz beim Volkswagen-Konzern besonders hoch. Die VW-Tochter Porsche wird in dem Bericht hervorgehoben, da sie als einzige mit konservativen Angaben wirbt. Für den Rest des Konzerns, zu dem Marken wie VW, Audi, Škoda und Cupra gehören, gelten diese Angaben jedoch nicht.