Die Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH unterstütz Reuschle bei der Wahrheitssuche und macht sich große Sorgen um die Nähe zwischen Justiz und Automobilbranche. Die Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz haben gerade durch den Fall Reuschle erneut Nahrung erhalten. Die beiden Inhaber haben den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in der VW-Musterfeststellungsklage vertreten, einen 830-Millionen-Euro-Vergleich ausverhandelt und mit dem Abschluss des Verfahrens 2020 deutsche Rechtsgeschichte geschrieben.
Dieselfall betrifft nicht VW oder Daimler, sondern BMW
In dem vorliegenden Fall will ein Verbraucher BMW verklagen. Er fordert von einem Versicherer Deckungsschutz aus einer bestehenden Rechtsschutzversicherung. Der Kläger vertritt die Ansicht, dass sein BMW X3 (Zulassung 2012) über eine unzulässige Abgassteuerung verfügt. Ob der Versicherer eine Deckungszusage geben muss, hänge nach Ansicht des Gerichts von der Klärung der Zulässigkeit des Thermofensters und von den möglichen Sanktionen ab. Dabei genüge es für die Verurteilung des Versicherers, wenn eine zumindest gleich große Wahrscheinlichkeit des positiven Ausgangs des Rechtsstreits wie für einen negativen Ausgang besteht. Aber die Abwägung über die Erfolgsaussichten könne aus Sicht der Kammer erst nach Anrufung des Europäischen Gerichtshofs beantwortet werden, heißt es in dem Beschluss der 3. Zivilkammer vom 18. September 2020 (Az. 3 O 236/20). Der EuGH müsse klären, ob ein Thermofenster zulässig oder unzulässig sei.
Was will Diesel-Richter Reuschle vom EuGH abgeklärt wissen?
Das Thermofenster ist eine heiß umstrittene Abgassteuerung in Dieselmotoren. Mehrere Gerichte haben die temperaturabhängige Abgasreinigung für eine unzulässige Abschalteinrichtung erklärt. Auch in einem Schlussantrag vor dem EuGH am 30. April 2020 sind Thermofenster indirekt als illegal bezeichnet worden. Diesel-Richter Reuschle hat bereits in einem Verfahren gegen die Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG ähnliche Fragen zum Thermofenster zur Vorabentscheidung dem EuGH vorgelegt (Az. 3 O 31/20). Das Verfahren läuft noch.
Reuschle will seit Jahren Genaueres im Diesel-Abgasskandal wissen: Was ist unter dem Begriff Abschalteinrichtung zu verstehen? Ist das sogenannte Thermofenster als Emissionsminderungsstrategie zulässig? Müssen die von der EU festgesetzten Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten werden oder auch im Realbetrieb auf der Straße? Muss der Verbraucher bei der Rückabwicklung des Kaufvertrages eine Nutzungsentschädigung an den Autobauer bezahlen? Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH aus Lahr hält den Gang zum EuGH für dringend notwendig. Schließlich wird im Diesel-Abgasskandal europäisches Recht gebrochen. Die Autobauer scheuen Entscheidungen vom EuGH wie der Teufel das Weihwasser. Derzeit versuchen sie anhängige Verfahren vor dem EuGH mit Vergleichen aus dem Weg zu räumen. Hier die zusammengefassten Fragen an den EuGH:
- Auslegung des Begriffs »Abschalteinrichtung«
Das EuGH soll zu der Frage Stellung beziehen, was überhaupt eine unzulässige Abschalteinrichtung im Abgaskontrollsystem eines Dieselmotors ist. Grundlage ist dabei Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Dürfen in einem Emissionskontrollsystem nur die im Motorstrang nachgelagerte Abgasreinigungsanlage wie Diesel-Oxidations-Katalysatoren, Dieselpartikelfilter und NOx-Reduktionskatalysatoren) verbaut sein? - Auslegung des Begriffs »normale Betriebsbedingungen«
Das ist eine der spannendsten Punkte im Diesel-Abgasskandal. Die Autobauer behaupten vor Gericht, dass die Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten werden müssen. Deshalb lautet eine der Fragen an den EuGH: „Ist Art. 4 Abs. 1 Unterabsatz. 2 in Verbindung mit. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass die Hersteller gewährleisten müssen, dass die in Anhang l der Verordnung festgelegten Grenzwerte auch im Alltagsgebrauch eingehalten werden?“ Hier stellte sich natürlich die Frage, wozu man Grenzwerte braucht, die nur auf dem Prüfstand eingehalten werden.
Hier geht es um das berühmte Thermofenster, das in unterschiedlichen Varianten von den Autobauern in den Dieselmotoren eingebaut worden ist. Dabei funktioniert die Abgasreinigung nur in einem genau definierten Temperaturfenster. Das führt jedoch dazu, dass teilweise die Emissionsreinigung nur in zwei, drei Monaten des Jahres funktioniert. Deshalb will das Landgericht Stuttgart wissen, ob Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden ist, dass eine Ausrüstung eines Fahrzeugs unzulässig ist, dass die Abgasreinigung nur zwischen 20° und 30°C gewährleistet und außerhalb dieses Temperaturfensters sukzessive verringert. Die Autohersteller argumentieren, dass dies dem Schutz des Motors diene. Deshalb will Richter Reuschle auch noch wissen, ob eine solche „Abschalteinrichtung gleichwohl unzulässig ist, wenn sie fortlaufend außerhalb des Temperaturfensters zwischen 20° und 30°C zum Schutz des Motors arbeitet und dadurch die Abgasrückführung erheblich verringert wird“.
[*]Auslegung des Begriffs »notwendig« im Sinne des Ausnahmetatbestandes
Hier geht es um die Frage, welche Rolle die verfügbare Spitzentechnologie spielte. War zum Zeitpunkt der Erlangung der Typengenehmigung, keine andere Technologie vorhanden, um den Motor zu schützen? Ist, wenn das der Fall ist, eine Abschalteinrichtung zulässig?
[*]Auslegung des Begriffs »Beschädigung« im Sinne des Ausnahmetatbestands
Doch was bedeutet Beschädigung des Motors? Was soll geschützt werden mit Hilfe der Abschalteinrichtung? In dem Vorlagebeschluss will der Richter wissen, ob Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden ist, dass nur der Motor vor Beschädigung geschützt werden soll. Oder sind davon auch Verschleißteile (wie Z.B. das AGR-Ventil) betroffen.
[*]Rechts- und Sanktionswirkungen der Verstöße gegen EU-Recht
Hier wird es besonders interessant auch im Hinblick auf zahlreiche Verfahren gegen VW oder Daimler im Diesel-Abgasskandal. Sind Art. 4 Abs. 1 Unterabs 2, Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2, Art 5 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass sie zumindest auch das Vermögen des Erwerbers eines Fahrzeugs schützen, das nicht den Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 71572007 entspricht? Wenn dem so ist, liegt nahe, dass der Verstoß gegen die Grenzwerte bzw. gegen das Zulassungsrecht eine Anrechnung von Nutzungsvorteilen bei der Rückabwicklung des Fahrzeugs gegenüber dem Hersteller unionsrechtlich verbietet. Kurz gesagt: Der Verbraucher muss bei der Rückabwicklung des Fahrzeugkaufs dem Hersteller keinen Entgelt für die Nutzung bezahlen.