Bundesgerichtshof öffnet neue Tür für Dieselklagen gegen VW
Wer zu spät im Abgasskandal gegen VW klagte, ist in der Regel leer ausgegangen und hat keinen Schadensersatz erhalten. Der BGH hat mit seinen Urteilen klar gemacht, dass Ende 2019 der VW-Skandal verjährt ist (Az.: VII ZR 365/21 u.a.). Mit dem aktuellen Urteil vom 21. Februar 2022 hat der BGH jedoch eine neue Tür für Dieselklagen gegen VW geöffnet. Hier die Eckdaten zur verbraucherfreundlichen BGH-Entscheidung:
- Ansprüche auf Schadensersatz aufgrund vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung (§826 BGB) verjähren üblicherweise in einer Frist von drei Jahren (§195, 199 BGB). In Deliktsfällen greift anschließen der sogenannte Restschadensersatz nach §852 BGB. Der BGH hat diesen Anspruch für Neuwagen im Abgasskandal von VW bestätigt.
- Der Anspruch besteht ohne Rücksicht darauf, dass VW auch vor Ablauf der üblichen Verjährung ohne Schwierigkeiten hätte verklagt werden können. Auch die Nichtbeteiligung an einem Musterfeststellungsverfahren stehe nicht entgegen.
- Die Kläger müssen sich für die von ihnen mit den Fahrzeugen gefahrenen Kilometer jedoch eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen.
- Beim Restschadensersatz geht es um den finanziellen Vorteil, den sich der Schädiger – also VW – durch die Täuschung erschlichen hat. VW kann aus Sicht des BGH jedoch keine Herstellungs- und Bereitstellungskosten vom Kaufpreis abziehen lassen. Grund dafür ist die bösgläubige Bereicherung durch VW.
- Die beiden vorliegenden Verfahren gingen an die Oberlandesgerichte Koblenz und Oldenburg zurück, die nun klären müssen, wie hoch die Nutzungsentschädigung im Einzelfall ist.
Der VW-Abgasskandal ist noch lange nicht zu Ende
Nach den zahlreichen Urteilen des BGH im Diesel-Abgasskandal von VW war für viele Beobachter der Eindruck erweckt worden, dass der Autobauer mit einem blauen Auge davongekommen ist. Doch der Skandal ist noch lange nicht ausgestanden. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst die wichtigsten Fakten zur großen Diesel-Manipulation bei der VW AG zusammen:
- Verjährung: Im ersten Diesel-Abgasskandal ist noch nichts verjährt:
- Der Bundesgerichtshof hat sich bisher mehrfach zur üblichen dreijährigen Verjährung geäußert. In einem Spezialfall ging der BGH in seinem Urteil vom 17. Dezember 2020 davon aus, dass der Abgasskandal bereits Ende 2018 verjährt ist ( VI ZR 739/20). In dem Verfahren wusste der Kläger allerdings bereits 2015, dass sein Fahrzeug vom Skandal betroffen ist. Der BGH hat das Thema mit Urteil vom 29. Juli 2021 jedoch konkretisiert und festgestellt, dass die Kenntnis des Verbrauchers über den Skandal vom Gericht festgestellt werden muss (Az. VI ZR 1118/20). Daher sind auch Klagen ab dem Jahr 2019 noch erfolgsversprechend. Am 10. Februar 2022 hat das oberste Gerichte jedoch für Ende 2019 die Verjährung im VW-Skandal terminiert.
- Wenn jedoch nach drei Jahren die Verjährung eintritt, gibt es trotzdem Ansprüche – und zwar auf den sogenannten Restschadensersatz. Die Mehrzahl der Oberlandesgerichte hat VW aufgrund §852 BGB zur Zahlung von Restschadensersatz verurteilt. Der BGH hat die Ansprüche mit Urteil vom 21. Februar 2022 für Neuwagen bestätigt. Für Gebrauchtwagen hat er sie jedoch am 10. Februar 2022 abgelehnt. Endgültig verjährt der Skandal somit erst zehn Jahre nach Kauf des Fahrzeugs. Damit sind auch aktuell noch erfolgsversprechend. Mittlerweile steigt die Zahl der Gerichte, die diesen Anspruch den Verbrauchern gewähren. Voraussetzung für den Anspruch auf Restschadensersatz ist das Vorliegen einer vorsätzlichen und sittenwidrigen Schädigung des Verbrauchers. Aber diese Schädigung nach §826 BGB hat der BGH am 25. Mai 2020 höchstrichterlich festgestellt (Az. VI ZR 252/19).
[*]EuGH: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 17. Dezember 2020 Abschalteinrichtungen generell für unzulässig erklärt (Az. C-693/18). Das von den Autobauern gerne für Abgasmanipulationen angeführte Argument des Motorschutzes haben die Luxemburger Richter damit zu den Akten befördert. Die Klausel zum Motorschutz greift erst, wenn das Fahrzeug – salopp gesagt – vor der Explosion steht oder Gefahr für die Insassen besteht. Versottung und erhöhter Verschleiß des Motors, was die Autobauer gerne als Begründung anführen, spielt keine Rolle. Damit ist das Thermofenster ebenfalls illegal.
[*]Thermofenster: Der BGH hält den Einbau eines solchen Thermofensters nicht von vornherein für eine vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung der Verbraucher. In einem Beschluss vom 19. Januar 2021 zu einem Daimler-Fall macht der BGH jedoch auch klar, dass Kläger ausführen müssten, ob Autobauer zum Beispiel das KBA getäuscht haben (Az. VI ZR 433/19). Trifft das zu, steht nach Ansicht der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer, einer Verurteilung nichts mehr im Wege. Da das KBA sich mit allen juristischen Mitteln wehrt, Ermittlungsakten beispielsweise zum EA288 offenzulegen, geht Dr. Stoll & Sauer davon aus, dass die Behörde etwas zu verbergen hat. Der EA288 ist das Nachfolgemodell des Skandalmotors EA189. Der Deutschen Umwelthilfe weigert sich die Behörde bis heute, EA288-Akten zur Einsicht zu übergeben, obwohl zu dem Vorgang ein rechtskräftiger Beschluss eines Gerichts vorliegt.
[*]Dieselgate 2.0: Darüber hinaus kommt Dieselgate 2.0 derzeit ins Rollen. Betroffen ist unter anderem der Nachfolgemotor des EA189. Auch im EA288 sollen Abschalteinrichtungen verbaut worden sein. Dabei geht es nicht nur um das Thermofenster. Gleiches gilt für die 3-Liter-Motoren EA897 und EA896. Die Zahl der verbraucherfreundlichen Urteile steigt seit Monaten bei allen Motoren an. Am Oberlandesgericht in Köln ist VW in einem EA288 Fall am 19. Februar 2021 zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt worden ( 19 U 151/20). Auch die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer konnte bereits erste Verurteilungen des VW-Konzerns erzielen.
[*]Abschalteinrichtungen: Alle reden vom Thermofenster, doch es gibt noch andere Abschalteinrichtungen, die die Abgasreinigung manipulieren. Mit der Fahrkurve und der Lenkradwinkelerkennung wird der Motorsteuerung angezeigt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet. Läuft der Motor und das Lenkrad wird nicht eingeschlagen, ist für den Motor klar, dass eine Prüfsituation stattfindet. Mehr Prüfstandserkennung gibt es nicht – und die hat der BGH für unzulässig erklärt.
[*]Benziner-Skandal: Außerdem ist VW in einem Abgasskandal verwickelt, der Benzinmotoren betrifft. Das Landgericht Offenburg hat in einem Verfahren der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer ein Gutachten einholen lassen, aus dem klar hervorgeht, dass an der Abgasreinigung eines Audi Q5 TFSI 2.0 Euro 6 manipuliert worden ist (: 4 O 159/17). Abgasgrenzwerte werden offensichtlich nur auf dem Prüfstand eingehalten. Das KBA hat die Ermittlungen aufgenommen und rückt die Akten dazu jedoch nicht heraus, obwohl Dr. Stoll & Sauer dazu einen rechtskräftigen Beschluss eines Gerichts erstritten hat.