Was hat die untere Führungsebene mit dem Abgasskandal zu tun?
Dr. Ralf Stoll machte klar, dass die verurteilten Daimler-Mitarbeiter wichtige Zeugen auch in der zivilrechtlichen Auseinandersetzung mit dem Autobauer sind. „Wir werden Akteneinsicht beantragen und die Verurteilten vorladen“, skizzierte Dr. Ralf Stoll die weitere Vorgehensweise der Verbraucherkanzlei. „Es besteht schon die Möglichkeit, dass die Mitarbeiter nur den Kopf hinhalten für etwas, das sie nicht zu verantworten haben – reine Bauernopfer.“ Denn letztlich hätten die vier nichts zu entscheiden gehabt. Das geht auch aus dem Bericht der Stuttgarter Zeitung hervor. Die Verurteilten sind laut Staatsanwaltschaft ein Mitarbeiter „aus einer der unteren Führungsebenen des Unternehmens“, nämlich ein Teamleiter, und zwei Sachbearbeiter ohne Personalverantwortung. „Wie können diese Mitarbeiter für die massenhafte Abgas-Manipulation verantwortlich sein?“, fragte Stoll rhetorisch. „Entscheidungen von solcher Tragweite fallen weiter oben“, ist sich Stoll ganz sicher. Das sei auch bei VW so gewesen.
Daimler akzeptiert 870 Millionen Euro Geldbuße
Bereits im Juli 2021 habe das Amtsgericht Böblingen die von den Ermittlern beantragten Strafbefehle gegen die Daimler-Mitarbeiter erlassen. Darin werde ihnen zur Last gelegt, für unzulässige Abschalteinrichtungen in bestimmten Dieselmodellen verantwortlich gewesen zu sein, schrieb die Stuttgarter Zeitung. Dabei gehe es um Fahrzeuge der Emissionsklasse Euro 6, die Daimler zwischen August 2011 und Dezember 2016 auf den europäischen Markt gebracht habe. Um welche Typen es sich dabei gehandelt habe, ist nicht öffentlich geworden. Wegen der Software für die Motorsteuerung seien die Fahrzeuge von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) betroffen gewesen, so die Zeitung weiter. Gegen einen weiteren Sachbearbeiter sei eine Geldauflage verhängt worden. Weder deren Höhe noch das genaue Maß der Freiheitsstrafen auf Bewährung wurde mitgeteilt. Gegen vier andere Mitarbeiter ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart derzeit weiter. Wie Daimler gegenüber der Stuttgarter Zeitung betonte, müssen die Verurteilten nicht mit einer Entlassung rechnen.
Schon vor zwei Jahren hatte Daimler im Zuge der Dieselermittlungen ein Bußgeld von 870 Millionen Euro aufgebrummt bekommen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart verhängte es aufgrund fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht in einer mit der Fahrzeugzertifizierung befassten Abteilung. Dadurch hätten Fahrzeuge eine Typgenehmigung erhalten, obwohl der Ausstoß von Stickoxiden nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprach. Rechtsmittel legte Daimler gegen den Bußgeldbescheid nicht ein, so dass er rechtskräftig wurde und Geld in die Steuerkasse floss. Der Autobauer versucht auf diese Weise, den Abgasskandal relativ geräuschlos ohne öffentliche Verfahren los zu werden.
Das gelingt ihm aber nicht. Immer mehr Gerichte der ersten und zweiten Instanz verurteilen Daimler im Abgasskandal zu Schadensersatz. Zudem haben die Inhaber von Dr. Stoll & Sauer am 7. Juli 2021 für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) eine Musterfeststellungsklage am Oberlandesgericht Stuttgart gegen die Daimler AG eingereicht. Die Verbraucherschützer wollen klären lassen, ob der Autobauer die Abgasreinigung seiner Motoren gesetzeswidrig manipuliert. Stellt das Gericht fest, dass Daimler sittenwidrig und vorsätzlich die Kunden geschädigt hat, wäre der Weg frei für Schadensersatz der teilnehmenden Verbraucher an der Musterfeststellungsklage.
Schlussplädoyer am EuGH: Thermofenster ist illegal
Für Daimler wird es im Diesel-Abgasskandal daher immer enger. Den geschädigten Verbrauchern kommt der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu Hilfe. Daimler verwendet wie viele Hersteller in den Dieselmotoren ein sogenanntes Thermofenster. Die Abgasreinigung wird dadurch temperaturabhängig reguliert – sprich ausgeschalten.
In einem VW-Verfahren bezeichnete der Generalanwalt am EuGH Athanasios Rantos in seinem Schlussplädoyer Thermofenster als rechtswidrig. Volkswagen droht damit im Rechtsstreit um Abschalteinrichtungen am EuGH stellvertretend für alle anderen Hersteller eine Schlappe. Der Generalanwalt stufte in seinem Schlussplädoyer die bei Porsche und VW eingesetzten Thermofenster als gesetzeswidrig ein. Abgassysteme, bei denen die Abgasreinigung außerhalb eines vorgegebenen Temperaturbereichs und ab einer bestimmten Höhenlage gestoppt wird, verstießen gegen europäischer Recht (Az. C-134/20). In der Regel folgt das Gericht den Anträgen des Generalanwalts. Mit einem Urteil ist in einigen Monaten zu rechnen. Bereits im Dezember 2020 hat der EuGH Abschalteinrichtungen generell für illegal erklärt (Az. C-693/18).
Chancen der Verbraucher auf Schadensersatz steigen Dank EuGH
Der EuGH erweist seinem verbraucherfreundlichen Ruf mal wieder alle Ehre. Wenn das Thermofenster in Dieselmotoren vom Gericht für illegal erklärt wird, steigen für Verbraucher die Chancen, ihre berechtigten Ansprüche im Abgasskandal gegen Autobauer wie VW, Daimler, Fiat, BMW und Opel vor Gericht durchzusetzen. In der Regel folgt der Gerichtshof dem Plädoyer des Generalanwalts. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer geht von einem verbraucherfreundlichen Urteil aus und rät daher vom Abgasskandal betroffenen Verbrauchern, sich anwaltlich beraten zu lassen. Geschädigte müssen durch die Folgen und Auswirkungen des Abgasskandals mit enormen Geldeinbußen kämpfen: Ihnen drohen Fahrverbote, Stilllegungen und Wertverluste, sofern sie die Ansprüche nicht rechtzeitig vor Gericht geltend machen. Verbraucher sollten eine Individualklage erheben. Die Chancen stehen nach aktueller Rechtsprechung sehr gut. Im kostenfreien Online-Check lässt sich der richtige Weg aus dem Dieselskandal herausfinden. Die Kanzlei prüft den konkreten Fall und geben den Verbrauchern eine Ersteinschätzung, bevor man sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den Autobauer einigt.
Bundesgerichtshof ignoriert bisher Rechtsprechung des EuGH
Sind für den EuGH Abschalteinrichtungen generell illegal, so sieht der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe die Sache etwas anders – besonders beim Thermofenster. In verschiedenen Urteilen zu Daimler-Verfahren hat sich der sechste Senat dahingehend geäußert, dass der Einbau eines Thermofensters alleine keine sittenwidrige und vorsätzliche Schädigung der Verbraucher darstelle. Da müsse mehr dazukommen – zum Beispiel der Genehmigungsbehörde den Einbau der Abschalteinrichtung verschwiegen zu haben (Az.: VI ZR 433/19 vom 19. Januar 2021). Der siebte Senat geht noch einen Schritt weiter und urteilte am 16. September 2021, dass am Thermofenster generell nichts verwerflich sei und es bei Daimler keine Betrugsabsicht gegeben habe (Az. VII ZR 190/20 u.a.).
Für die Verbraucherkanzlei Dr. Stoll & Sauer ist die gegensätzliche Rechtsprechung des BGH ein echter Skandal. Am EuGH sind bereits mehrere Vorabentscheidungsverfahren aus Deutschland anhängig, die die bisherige Rechtsprechung des BGH im Abgasskandal auf den Prüfstand stellen sollen. Da geht es vor allem um das Thema Nutzungsentschädigung. Wenn Gerichte Verbrauchern im Abgasskandal Schadensersatz zusprechen, so müssen sie sich eine von Laufleistung und Kilometerstand abhängige Entschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs vom Schadensersatz abziehen lassen. Viele Juristen und auch Gerichte sehen darin eine Übervorteilung des Schädigers.
Verbraucherkanzleien prüfen darüber hinaus derzeit im Hinblick auf die Thermofenster-Entscheidungen des BGH verfassungsrechtliche Schritte. Insgesamt erweckt die BGH-Rechtsprechung in Teilen den Eindruck, als wolle die Justiz die Autoindustrie kostengünstig aus dem Abgasskandal entlassen oder sich Arbeit vom Hals schaffen. Mit dem Thermofenster will übrigens VW den Abgasskandal um dem Motor EA189 aus der Welt schaffen. In dem dazu gehörenden Software-Update soll nach Meinung von Experten ein Thermofenster stecken. Und das wird jetzt wohl vom EuGH für rechtswidrig erklärt. Ein alter Skandal könnte so zu neuem Leben erweckt werden.