VW spielt im Abgasskandal bei Sammelklagen auf Zeit
Als im September 2015 der Diesel-Abgasskandal von VW aus den USA nach Deutschland und Europa herüberschwappte, konnte es kaum jemand glauben, in welchem Ausmaß VW Verbraucher, Behörden und Öffentlichkeit hinters Licht geführt hatte. Mittlerweile sind Hundertausende Verbraucher in Deutschland entschädigt worden. VW ist am Bundesgerichtshof in unzähligen Verfahren verurteilt worden. Alleine durch die Musterfeststellungsklage kamen 260.000 Kläger in den Genuss von Entschädigungen. Die Inhaber der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer haben einen 830-Millionen-Euro-Vergleich mit VW ausverhandelt.
Nur die 28.000 Sammelkläger des Rechtsdienstleisters Myright sind bisher leer ausgegangen. Das Start-up ließ sich online die Forderungen abtreten. Bei Erfolg soll es eine Provision von 35 Prozent geben. Scheitert die Klage, müssten die Kunden nichts bezahlen. Myright wiederum hätte das Geld für die Verfahren von einem Prozessfinanzierer erhalten, ebenfalls gegen Provision. Allerdings gibt es in Deutschland keine echten Sammelklagen wie in den USA. Die Zivilprozessordnung lässt es jedoch zu, dass mehrere Ansprüche gegen denselben Beklagten in einer einzigen Klage verbunden werden können. Im November 2017 reichte Myright die erste Sammelklage an, sieben weitere folgten. Zu einer gerichtlichen Einigung ist es bisher nicht gekommen. VW zweifelt an, ob Myright die Forderungen überhaupt wirksam abtreten lassen durfte. Über die erste Klage am Landgericht Braunschweig ist bis heute noch nicht verhandelt worden.
Und dann am 13. Juni 2022 ein erster großer Durchbruch. Der Dieselsenat des BGH entschied, dass eine Myright-Klage für ungefähr 2000 Schweizer VW-Kunden zulässig ist. Für den BGH ist klar, dass das Geschäftsmodell von Myright „unzweifelhaft“ erlaubt ist. Es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, dass „unberechtigte Klageverfahren eingeleitet werden“ zitiert die dpa aus dem Urteil. Für die Betroffenen des Abgasskandals sehen die BGH-Richter sogar „erhebliche Vorteile“: Die Einschaltung von Myright habe „zu einer erheblichen Verbesserung der Verhandlungsposition der einzelnen Auftraggeber“ gegenüber VW geführt, „da erst durch die Bündelung der Ansprüche von mehreren tausend Anspruchstellern ein wirtschaftliches Gleichgewicht (...) erzielt wurde“.
Und trotzdem regt sich in den deutschen Klagen nichts. VW zeigt sich unbeeindruckt und spielt auf Zeit. Denn VW weiß: Je länger sich ein Verfahren hinzieht, desto weniger Schadensersatz müssen sie zahlen. Denn nach deutscher Rechtsprechung muss vom Schadensersatz eine sogenannte Nutzungsentschädigung abgezogen werden. Schließlich hat der Verbraucher das Fahrzeug benutzt. Und die Nutzungsentschädigung frisst oftmals den Schadensersatz auf. Mittlerweile ist Myright dazu übergegangen, Einzelklagen einzureichen, um die Verfahren zu beschleunigen.
Abgasskandal bei VW ist noch lange nicht zu Ende
Wenn jedoch VW glaubt, den Abgasskandal auf diese Weise endlich los zu werden, so täuscht sich die Konzernspitze. Am Europäischen Gerichtshof (EuGH) droht VW ein verbraucherfreundliches Urteil, das die bisherige Rechtsprechung am Bundesgerichtshof auf den Kopf stellen könnte. Der EuGH-Generalanwalt hat in Schlussanträgen am 2. Juni 2022 zu einem Diesel-Verfahren vorgeschlagen hat, dass Verbraucher generell Schadensersatz zustehen soll, sobald eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden ist (Az. C-134/20). Einen Vorsatz, wie ihn der Bundesgerichtshof verlangt, sei nicht erforderlich. Auch bei der Nutzungsentschädigung, die oftmals den Schadensersatz kompensiert, vertritt der EuGH-Generalanwalt eine andere Meinung als der BGH. Die Festlegung der Art und Weise der Schadensberechnung sei zwar Sache der Mitgliedstaaten; die Haftung müsse aber abschrecken und dem Effektivitätsgebot angemessen Rechnung tragen. Eine den (Kaufpreis-)Schaden ausschließende Anrechnung der Nutzung sei mit dem Unionsrecht deshalb unvereinbar. Hier bahnt sich eine neue Rechtsprechung an, an die sich auch der BGH halten muss. Die meisten Landgerichte und Oberlandesgerichte warten daher mit ihren Diesel-Urteilen ab, bis der EuGH entschieden hat. Der EuGH gilt generell als verbraucherfreundlich. Mit einer Entscheidung wird gegen Ende des Jahres gerechnet. Kommt es zu diesem in den Schlussanträgen skizzierten Urteil, so rollt auf VW und die anderen Autobauern eine neue Klagewelle zu.
Daher rät die Kanzlei betroffenen Verbrauchern zur anwaltlichen Beratung. Geschädigte müssen durch die Folgen und Auswirkungen des Abgasskandals mit enormen Geldeinbußen kämpfen: Ihnen drohen Fahrverbote, Stilllegungen und Wertverluste, sofern sie die Ansprüche nicht rechtzeitig vor Gericht geltend machen. Verbraucher sollten eine Individualklage erheben. Die Chancen stehen nach aktueller Rechtsprechung sehr gut. Im kostenfreien Online-Check lässt sich der richtige Weg aus dem Dieselskandal herausfinden. Wir prüfen Ihren konkreten Fall und geben Ihnen eine Ersteinschätzung, bevor wir uns auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den Autobauer einigen.