Wer kennt sie nicht, Richard Strauss' einleitende Takte seiner Tondichtung "Also sprach Zarathustra"? Über dunkel vibrierender Grundierung erheben sich mehrmals feierlich Trompetenfanfaren, die sich im Tutti zu einem majestätischen, kriegerischen Hymnus steigern. Friedrich Nietzsches poetisch-philosophisches Werk, auf das sich Strauss in seiner Komposition bezieht, erzählt keine Handlung im üblichen Sinn, sondern stellt in pathetisch hymnischer Prosa die innere Entwicklung seines Protagonisten, des fiktiven persischen Religionsstifters und Propheten Zarathustra, dar. Zarathustra denkt sich: Gott ist tot. Unter dem Gesichtspunkt, dass lediglich vor Gott alle Menschen gleich waren, sind sie es nun, da Gott tot ist, nicht mehr. Die Folge: Anything goes, denn ohne Gott gibt es keine Moral. Die Persönlichkeiten, die dies begreifen und folglich frei leben, sind die Übermenschen. Sie kennen nicht den Druck der Moral, für sie ist die Ästhetik Lebenszweck. Das bedeutet die Umwertung aller Werte. Kühn gestalten sie mit ihrem Willen zur Macht ihr Leben und eventuell auch das anderer Schwächerer. Als bekennender Atheist besaß Strauss eine besondere Affinität zu Nietzsches Philosophie. Und weil es ihm nicht um die tonmalerische Erzählung einer Handlung oder eines Programms ging, sondern um die instrumentale Darstellung allgemein-menschlicher Affekte und Seelenregungen, war er mit Nietzsches "Zarathustra" gut bedient, geht es doch auch dort um die Wiedergabe innerer Vorgänge und nicht um einen romanhaften Plot.
Wie die Tondichtung und die Oper, so war auch das Kunst- bzw. das Orchesterlied für Richard Strauss eine zentrale Gattung, die ihn lebenslang beschäftigt hat. Seine "Vier letzten Lieder" komponierte der 83-Jährige ein Jahr vor seinem Tod, und sie sind seine letzten Werke. Darin manifestiert sich die resignative Flucht vor der furchtbaren Realität der letzten Kriegsjahre. Sie beschwören mit ihren weiten lyrischen Melodiebögen, ihrer süffigen, spätromantischen Harmonik und der klanglich und farblich fein ausgearbeiteten Instrumentation ein Sterben in makelloser Schönheit - ein Zeichen für Strauss' völlige Weltabgewandtheit.
Gegenüber dem resignativen Tonfall zeigt sich im Spätwerk aber noch eine andere Seite des alten Strauss: Die Flucht in ablenkende Unterhaltung, wie sie in seinem letzten Bühnenstück "Capriccio" zutage tritt. Darin wird im Handlungsverlauf eines Tages lebhaft die Frage diskutiert, ob der Text oder die Musik wichtiger für das Gelingen einer Oper sei. In der großen Schlussszene der Oper erinnert die Gräfin sich noch einmal emotional sehr aufgewühlt an die Ereignisse des Tages. Es erscheint ihr unmöglich, eine gerechte Entscheidung zu fällen - weder in Sachen Musik und Wort noch bezüglich der beiden geliebten Männer, dem Dichter und dem Musiker. In der Beherrschung des Orchesterapparates und seiner vielfältigen Farbpalette zeigt sich der alte Meister auf der Höhe seines Könnens - hörbar etwa im durchsichtigen Tonsatz der hochromantisch schwelgenden, wunderschönen "Mondscheinmusik" der Schlussszene.
Programm:
Richard Strauss
Also sprach Zarathustra - Tondichtung op. 30
Vier letzte Lieder für Sopran und Orchester
Aus "Capriccio" op. 85: Letzte Szene
Rafael Frühbeck de Burgos | Dirigent
Michaela Kaune | Sopran
Ilhun Jung | Bariton
3. Zyklus-Konzert der Dresdner Philharmonie
Sa 05./ So 06.12.2009, 19.30 Uhr
Festsaal des Kulturpalastes am Altmarkt