Im vergangenen Jahr haben 869 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet. Dies sind 64 weniger als im Vorjahreszeitraum und entspricht 10,3 Spendern pro eine Million Einwohner (2021: 11,2). Auch die Summe der entnommenen Organe, die für eine Transplantation an die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant gemeldet werden konnten, sank auf 2.662 (Vorjahreszeitraum: 2.905). Damit ging die Zahl der postmortal entnommenen Organe um 8,4 Prozent im Vergleich zu 2021 zurück.
„Wir stehen bei der Organspende immer noch vor großen Herausforderungen“, so der Medizinische Vorstand der DSO, Dr. med. Axel Rahmel. „Auch, wenn der starke Rückgang der Organspendezahlen vor allem pandemiebedingt auf die ersten Monate 2022 zurückzuführen ist und sich die Zahlen danach stabilisierten, stellt sich die Frage, warum es nicht gelingt, die Organspendezahlen zu steigern“, führt Rahmel aus. „Das ernüchternde Fazit ist, dass wir im vergangenen Jahr weniger Menschen mit einer lebensrettenden Transplantation helfen konnten. Das ist für jede einzelne Patientin und jeden einzelnen Patienten auf den Wartelisten dramatisch.“
Im vergangenen Jahr wurden in den 46 Transplantationszentren 2.795 Organe nach postmortaler Spende übertragen (2021: 2.979). Damit wurde insgesamt 2.695 schwer kranken Patientinnen und Patienten durch ein oder mehrere Organe eine bessere Lebensqualität oder sogar ein Weiterleben geschenkt (2021: 2.853). Gleichzeitig stehen in Deutschland derzeit rund 8.500 Menschen auf den Wartelisten für ein Organ.
Aus Sicht der DSO spielen mehrere Gründe für die Entwicklung der Organspendezahlen im vergangenen Jahr eine Rolle. Die Coronavirus-Pandemie und die daraus resultierenden Krankenstände beim Personal in den Kliniken belasteten Anfang 2022 das gesamte Gesundheitssystem – dies trug wesentlich zu dem starken Einbruch der Organspendezahlen um 30 Prozent im ersten Quartal 2022 bei. Die darauffolgenden Quartale brachten eine Stabilisierung auf dem Niveau der Vorjahre. Die organspendebezogenen Kontaktaufnahmen der Kliniken zur DSO haben sich im Vergleich zum Vorjahr sogar erhöht (von 3.132 auf 3.256). Dies führte allerdings nicht zu mehr Organspenden, die realisiert werden konnten.
Kernfrage bleibt für die DSO deshalb, warum keine Steigerung der Organspende erzielt werden konnte, trotz der guten Voraussetzungen, die durch das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende geschaffen wurden. Die Statistiken zeigen, so Rahmel, dass von allen Spendermeldungen im letzten Jahr im Vergleich zu den Vorjahren weniger Spenden realisiert werden konnten: „Der häufigste Grund, warum eine Organspende nicht erfolgt, ist die fehlende Einwilligung. Mit dem zunehmenden Alter der Spender spielen aber auch Kontraindikationen, also medizinische Ausschlussgründe, eine immer größere Rolle“, erklärt der Mediziner.
Im Jahr 2022 war bei der Hälfte der möglichen Organspenden, die nicht realisiert werden konnten, eine fehlende Einwilligung hierfür der Grund. Gleichzeitig ist auffällig, dass diese Ablehnung der Organspende in weniger als einem Viertel der Fälle auf einem bekannten schriftlichen (7,3 Prozent) oder mündlichen (16,3 Prozent) Willen der Verstorbenen basierte. In 42 Prozent erfolgte die Ablehnung aufgrund des vermuteten Willens der Verstorbenen, 35 Prozent der Ablehnungen beruhten auf der Einschätzung der Angehörigen nach ihren eigenen Wertvorstellungen, da ihnen nicht bekannt war, was die oder der Verstorbene zum Thema Organspende gewünscht hätte.
Die Entwicklung zeige, so Rahmel, wie sensibel und volatil das System der Organspende auf Störungen reagiere und damit aus dem Takt gerate: „Wir brauchen das volle Engagement der Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte in den Kliniken, die Unterstützung der Politik und vor allem auch die Zustimmung der Bevölkerung.“ Rahmel fordert, es sei an der Zeit, die Organspende endlich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen. Die Umfragen in der Bevölkerung zeigten immer wieder, dass 8 von 10 Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern die Organspende befürworten. „Angehörige entscheiden sich aus Unsicherheit aber häufig dagegen, da der Wille des Verstobenen nicht bekannt ist. Hier kann nur Aufklärung etwas verändern und möglicherweise auch der Anstoß über eine Widerspruchsregelung, wie von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach im letzten Jahr vorgeschlagen. Organspende ist gelebte Solidarität, der erste Schritt dazu ist, zu Lebzeiten seine Entscheidung zu treffen“, appelliert Rahmel.