Im Jahr 2005 wurde das Traditionsunternehmen von der chinesischen Shang-Gong-Gruppe (SGSB) übernommen, die an der Börse in Shanghai notiert ist. Vor zwei Jahren war das Engagement der Chinesen beim Bielefelder Hersteller von Nähmaschinen und Fördertechnik noch eine schlagzeilenträchtige Sensation. Längst hat der Alltag gezeigt, dass die Zusammenarbeit über Tausende von Kilometern und höchst unterschiedliche Kulturen hinweg nicht nur möglich, sondern auch sehr erfolgreich ist.
Die nahezu 150 Jahre alte Firmengeschichte der 1990 fusionierten Unternehmen Dürkopp und Adler erzählt vom permanenten Wandel. 1860 wurde die erste Bielefelder Nähmaschinenfabrik gegründet. Dreißig Jahre später sorgte die Entwicklung der ersten Rundschiffnähmaschine dafür, dass der Name Adler weltweit bekannt wurde. Bei Dürkopp startete 1894 die Automobilproduktion, die 1929 wieder eingestellt wurde. 1899 hatten die ersten Motorräder und Fahrräder das Bielefelder Werk verlassen. 1932 gab es mit der Entwicklung der ersten Förderanlagen für die Bekleidungsindustrie Berührungspunkte mit den Märkten von Adler, die zu der Zeit für Dürkopp Haushaltsnähmaschinen herstellten.
Im Gleichschritt mit der Bekleidungsindustrie
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich beide Bielefelder Unternehmen rasant, eroberten Auslandsmärkte, fertigten Schreibmaschinen, Verpackungsmaschinen, Industrienähmaschinen. Seit Ende der 70er Jahre verlagerte die nähende Industrie ihre Herstellung ins Ausland, zunächst nach Portugal, dann nach Polen, schließlich nach Asien und, nach dem Zusammenbruch der ehemaligen GUS-Staaten, in weitere osteuropäische Länder.
"Wir waren und sind immer im Gleichschritt mit der Bekleidungsindustrie", erläutert Reinhard Kottmann die Gesetze der Branche. "Uns brachen damals quasi über Nacht die Märkte vor der Haustür weg." Die Schwellen- und Entwicklungsländer brauchten schnell viele Arbeitsplätze bei geringen Investitionen. Eine einfache Industrienähmaschine ist schon ab 500 US-Dollar auf dem Markt, eine Produktionshalle ist schnell errichtet – und schon haben Hunderte von Menschen, in der Mehrzahl Frauen, einen Arbeitsplatz, der ihren Familien den Lebensunterhalt sichert. Und der Textilindustrie Produktionen zu niedrigen Preisen.
In der Konsequenz macht die Dürkopp Adler AG schon seit Jahren mehr als 90 Prozent ihres Umsatzes im Ausland. Und der rasante Wandel hat sich noch beschleunigt. Der Speckgürtel um Shanghai beispielsweise ist als Standort zu teuer geworden. Die Produktionen in China ziehen weiter in Richtung Norden, immer an der Küste entlang, wegen der Logistik und der Energieversorgung. Stark im Kommen sind Standorte wie zum Beispiel Vietnam. Indien ist auf dem Sprung und könnte mittelfristig China den ersten Rang in Asien streitig machen.
China – ein Markt mit 1,32 Milliarden Menschen
In China ist die Dürkopp Adler AG seit mehr als 20 Jahren vor Ort. Es lockt ein Markt mit mehr als 1,32 Milliarden Menschen – 16mal so viele wie in Deutschland. Neben den Japanern sind die Chinesen die größten Wettbewerber. Und so war es aus Sicht der Bielefelder nur konsequent, dass sich seit Anfang des Jahrtausends der chinesische Nähmaschinenhersteller SGSB für die Dürkopp Adler AG interessierte, deren Aktienmehrheit zu der Zeit von der Schweinfurter FAG Kugelfischer gehalten wurde. Der Finanzspezialist Reinhard Kottmann kann in der Entwicklung nichts Besonderes sehen: "Die Hauptaktionäre haben immer den berechtigten Anspruch, Profit zu erwirtschaften. Ob sie nun in Schweinfurt sitzen, in den USA oder in China. Wenn das lokale Management ordentliche Ergebnisse bringt, sind die Spielräume groß." Dürkopp Adler hat diese Spielräume genutzt und meldet seit 2004 hohe Auftragseingänge, steigende Umsätze, attraktive Gewinne sowie einen Aufwärtstrend beim Aktienkurs.
"Für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Produktion hat sich eigentlich nichts geändert", beschreibt der Leiter Zentrales Marketing, Henrik Mölleken, die Situation im Unternehmen zwei Jahre nach dem Einstieg der SGSB-Gruppe. "Spekulative Ängste, dass die Chinesen das deutsche Know-how exportieren und Arbeitsplätze in Deutschland vernichten, waren schnell vom Tisch. Unsere Mitarbeiter mussten sich allenfalls daran gewöhnen, dass wir mindestens alle vier Wochen chinesische Delegationen hier im Bielefelder Werk haben. Die erfolgreiche Zusammenarbeit hat Modellcharakter."
1.800 Menschen beschäftigt Dürkopp Adler weltweit, 600 davon am Standort Bielefeld. Dazu kommen hoch spezialisierte Fertigungen in Hösbach, in Rumänien, Tschechien und China. Unternehmenssprache ist Englisch, das komplette Reporting wurde auf internationale Standards umgestellt. Reinhard Kottmann berichtet an die Chinesin Ying Zheng, die als Vorstand die Bereiche Finanzen, Controlling, Personal und IT leitet. Und einer der chinesischen Aufsichtsräte, Prof. Zhile Wang, Direktor des Research Center on Transnational Cooperation in Peking, hat unter anderem an der Universität Bielefeld studiert – so funktioniert die globale Wirtschaft.
Innovationen sichern Technologieführerschaft Vorstandssprecher Alfred Wadle betont im Halbjahresbericht 2007 die Marktposition Dürkopp Adlers als einer der Technologieführer der Branche. Auf den weltweiten Leitmessen wurden Innovationen im Kernsegment Automotive und Wohnpolster präsentiert. In Bielefeld kann man Spezialnähmaschinen, Nähautomaten und Nähanlagen betrachten, die – alle elektronisch gesteuert – in Sekundenschnelle und höchst präzise Arbeiten erledigen, zu denen Menschen nicht fähig wären. So vollbringen etwa die Maschinen aus dem Augenknopfloch- und Taschenpaspel-Programm für den Laien ungeahnte Leistungen.
Zielgruppen des Geschäftsbereiches Nähtechnik sind die Bekleidungs-, Schuh-, Automobilpolster- und Wohnpolsterhersteller sowie die Verarbeiter technischer Textilien. Dürkopp Adler ist nicht nur für die ausgereifte Qualität und Langlebigkeit seiner Produkte bekannt. Schulung, Service und Ersatzteilversorgung gehören zum Basisgeschäft. Immer bedeutender wird die Beratung von Kunden in aller Welt bei der Anwendungs- und Prozessoptimierung.
Joint-Ventures mit den chinesischen Partnern
Die stärkere Präsenz auf dem chinesischen Markt beginnt sich für den Bielefelder Nähtechnik-Hersteller an vielen Stellen auszuzahlen. In 2006 erhielt Dürkopp Adler vom chinesischen Unternehmen Guoli für die Ausstattung eines Werkes in Shanghai den größten jemals vergebenen Einzelauftrag, der bislang für Industrienähmaschinen für die Autositzfertigung in China erteilt wurde. 800 Einheiten im Wert von rund 3,5 Millionen Euro wurden in sechs Monaten ausgeliefert. Von dem Vertriebs-Joint-Venture mit der SGSB-Gruppe und dem Hauptvertriebspartner in China erhoffen sich die Bielefelder weitere lukrative Aufträge in Asien.
Das neue Produktions-Joint-Venture mit SGSB in Shanghai ist ebenfalls bestens gestartet. In Bielefeld wurde mit dem Know-how der deutschen Ingenieure eine einfache Nähmaschine für den Massenmarkt technologisch perfektioniert. Produziert wird in China – zu Preisen, die in Europa nicht mehr darstellbar sind. Die gemeinsame Neuentwicklung konnte im September 2007 auf der CISMA in Shanghai präsentiert werden und verspricht steigende Umsätze.
Nur der Wandel bleibt beständig
"Wir sind weiter auf Erfolgskurs", kommentiert Reinhard Kottmann die Entwicklung der letzten Monate. Er selbst hat noch die Zeiten erlebt, als 7.000 Menschen für Dürkopp und für Adler gearbeitet haben. Wenn sein Unternehmen im Jahr 2010 das 150-jährige Jubiläum feiern wird, werden die Produktionsprozesse wahrscheinlich noch stärker automatisiert sein. Und es wird noch mehr Flüge von Europa nach Asien geben. "Was in unserer Branche bleiben wird, ist die Anforderung, sich quasi tagtäglich anzupassen und damit zu verändern."
Damit trotz hoher Veränderungsgeschwindigkeit und trotz des enormen Anpassungsdrucks Qualität und Innovationsführerschaft der Marke Dürkopp Adler erhalten bleiben, investiert das Unternehmen in die Ausbildung und in die Weiterbildung. "Bei uns arbeiten Spezialisten, deren Väter und Großväter bereits im Unternehmen waren. Die Bindung ist stark, 25- und 40-jährige Jubiläen sind keine Seltenheit." Eine Win-win-Situation für alle. (8.536 Zeichen mit Leerzeichen)