Der erste Autor mit einem B am Anfang seines Nachnamens ist Hans Bentzien. Von ihm erschien erstmals 1989 im Kinderbuchverlag das Buch „Im Zeichen des Regenbogens. Aus dem Leben von Thomas Müntzer“: Am 13.Juli 1524 sitzen der sächsische Herzog Johann und sein Sohn in der Kapelle des Allstedter Schlosses. Sie wollen Thomas Müntzer predigen hören, um herauszufinden, wie gefährlich er ist für sie. Thomas weiß, dass von dieser Predigt sein weiteres Schicksal abhängt. Um den Fürsten seine Gedanken klarzumachen, hat er für die Predigt einen Abschnitt aus der Bibel, aus dem Buch Daniel gewählt. Er erzählt von König Nebukadnezar, den einmal ein schwerer Traum gequält hatte. Die besten Denker seines Landes sollten den Traum deuten. Doch der König konnte ihnen nicht sagen, was ihm im Schlaf erschienen war. Nur Daniel besaß soviel Weisheit, den Wunsch des Königs zu erfüllen. Er sprach zu Nebukadnezar: „Du König, hattest einen Traum, und siehe, ein großes und hohes und hell glänzendes Bild stand vor dir, das war schrecklich anzusehen. Das Haupt dieses Bildes war von feinem Gold, seine Brust und seine Arme waren von Silber, sein Bauch und seine Lenden waren von Kupfer, seine Schenkel waren von Eisen, seine Füße waren teils von Eisen und teils von Ton.“ Plötzlich wäre ein Stein vom Himmel gefallen, erzählte Daniel weiter, und er hätte die tönernen Füße des Standbildes zerschlagen. Dieser Stein von großer Kraft wuchs und wuchs und bedeckte bald die ganze Erde. „Da wurden miteinander zermalmt Eisen, Ton, Kupfer, Silber und Gold und wurden wie Spreu auf der Sommertenne, und der Wind verwehte sie, dass man sie nirgends mehr finden konnte.“ Werden die Fürsten verstehen, dass mit dem Koloss auf tönernen Füßen ihr eigenes Reich gemeint war? Das Gold bezeichnet den Adel, das Silber die reichen Patrizier und Bankiers, das Kupfer die Handwerker, das Eisen die Lohnarbeiter und der Ton die Bauern. Werden sie erkennen, wie alles kommen wird in der Zukunft? Thomas sagt es ihnen, sollen sie ihr Handeln darauf einrichten: Ergreift den Hammer und zerschlagt den Koloss, diese ungerechte Welt, in der alles auf den Schultern der Bauern ruht! Wenn ihr jedoch die euch gegebene Macht missbraucht, dann wird auch euer Reich zerschlagen. Dann wird euch das Schwert genommen und dem Volk gegeben. Als Thomas seine Predigt beendet hat, verlassen die Herren ohne ein Wort die Kapelle. Ihr Urteil steht fest.
Ein knappes Jahr später, nach der Schlacht bei Frankenhausen, wird Thomas Müntzer, der Feldprediger des geschlagenen Bauernheeres, enthauptet. Sein Kopf wird aufgespießt und als Mahnung zur Schau gestellt. Hans Bentzien erzählt in seinem Buch vom Leben und Sterben Thomas Müntzers, der in den armen Leuten aus Stadt und Land die Hoffnung auf ein besseres Leben erweckte und ihr Führer wurde im Großen Deutschen Bauernkrieg.
Und wir erfahren viele Details aus dem Leben dieses mutigen Mannes: „In Quedlinburg besuchte Thomas eine Lateinschule. Diese Sprache musste man damals unbedingt lernen, wenn man etwas werden wollte. Latein war die Grundlage für alle Fachrichtungen an den Universitäten. In Latein las man die Schriften der Kirchenväter und die frommen Geschichten über das Leben der Heiligen. Vielleicht gab es hin und wieder auch etwas Rechnen und Gesang, aber davon nur die Grundbegriffe.
Die Methode, wie man etwas erlernte, bestand damals im Nachsagen vorgesagter Texte. Die Lehrsätze wurden immer und immer wiederholt. Man musste sie sich einprägen, sie auswendig lernen, wenn man nicht mit dem Rohrstock verprügelt werden wollte, und Prügeln als Erziehungsmittel war überall verbreitet, in der Familie, in der Schule, im Leben der Bauern. In der Schule hatte es Thomas nicht besser und nicht schlechter als die anderen Kinder. Über diese Jahre wissen wir nicht viel, dürfen wegen seiner späteren Leistungen aber annehmen, dass er leicht lernte und den Stoff ohne besondere Schwierigkeiten bewältigte. Da es damals üblich war, die Kinder auf bessere Schulen nach außerhalb zu geben, wenn sie dort bei Verwandten billig wohnen konnten - auch manche Lehrer nahmen Kinder in ihr Haus auf und verdienten sich damit ein paar Groschen nebenbei -, ist es wohl möglich, dass Thomas auch in anderen Orten gewesen ist. Doch als er sich an die Universität nach Leipzig aufmachte, kam er aus Quedlinburg. In der Eintragungsliste der Universität aus dem Jahre 1506 erfahren wir, dass er sechs Groschen bezahlt hat, um aufgenommen zu werden. Der Rektor, Herr Martin Meyendorn von Hirschberg, trägt ihn danach unter die sächsischen Studenten ein.“
Ein gutes Jahrzehnt später setzte sich Hans Bentzien in seinem erstmals im Westkreuz-Verlag GmbH Berlin/Bonn erschienenen Buch „Überhaupt zeige man Charakter!“ mit dem Leben und Werk des preußischen Staatskanzlers und Reformers Karl August Fürst von Hardenberg auseinander. Hardenberg? Wer war eigentlich Hardenberg? Karl August Fürst von Hardenberg (1750-1822), von 1804 bis 1806 preußischer Außenminister und von 1810 bis 1822 Staatskanzler, kämpfte zeit seines Lebens in Preußen um grundlegende Reformen und um eine Stellung, die ihm das in direkter Absprache mit dem König Friedrich Wilhelm III. ermöglichte. Sein Hauptziel, die Einführung einer Verfassung und die Mitsprache des Bürgertums hat er nicht erreicht. Trotz vieler Niederlagen, z. B. musste er auf Drängen Napoleons 1806 als Außenminister zurücktreten, gab er nicht auf und erhielt erst im höheren Alter die verdiente Anerkennung. Mit hohem diplomatischem Geschick führte er Friedensverhandlungen mit England, Frankreich, Österreich und Russland und erreichte auf dem Wiener Kongress 1815 erheblichen Gebietszuwachs für Preußen. Er war maßgeblich an der Gewerbefreiheit, der Bauernbefreiung und der Emanzipation der Juden in Preußen beteiligt. Hans Bentzien schildert in seinem Buch sehr fundiert und interessant Leben und Arbeit Hardenbergs und gibt gleichzeitig einen guten Einblick in die Geschichte Preußens im 18./19.Jahrhundert.
Seine Annäherung an seinen Helden beginnt Bentzien mit einer Annäherung an ein Schloss und an dessen Schlossherrn: „Das Anwesen muss jeden Betrachter entzücken, der an den Rand des Oderbruchs kommt. Eine solche architektonische Kostbarkeit in dieser abgelegenen Gegend? Ungewöhnlich ist es nicht, um nur einige Beispiele zu nennen: Schloss Steinhöfel bei Fürstenwalde, ein bedeutendes Werk David Gillys, mit einem der ersten englischen Parks von Eyserbeck und in der Nähe Alt Madlitz mit seinem Gutshaus in stattlichem Spätbarock, unweit von Tempelberg, dem ersten Wohnsitz Karl August von Hardenbergs in Preußen oder die dreiflügelige Schlossanlage aus dem Ende des 17. Jahrhunderts in Heinersdorf sowie nördlich davon, in Prötzel, das imposante Schloss des Grafen Kameke, nach einer Idee von Andreas Schlüter. Man muss nur den Landstreifen zwischen Berlin und Küstrin unter die Wanderschuhe nehmen, und man hat ein überzeugendes Beispiel für die preußische Art, Staatsdiener fürstlich zu belohnen. Das alte Wort von Friedrich Wilhelm I. „Hat Geld, soll bauen!“ findet hier seine Ausprägung. Die fürstliche Dotation umfasste eines der größten Besitztümer in Deutschland „zum Andenken unseres Staatskanzlers Herrn Fürsten von Hardenberg“, und es sollte den Namen Neuhardenberg führen, wie es in der Verleihungsurkunde König Friedrich Wilhelms III. vom 11. November 1814 heißt. Zwischen der Verleihung und der tatsächlichen Inbesitznahme liegen fast acht Jahre. Das Schloss musste umgebaut werden und war jetzt der als Alterssitz eines Fürsten gedachte zentrale Ort einer Ansammlung von Gütern, Wäldern, Teichen, Mühlen, Schäfereien, Brauereien und Schnapsbrennereien.
Über die Einwohner war Karl August Fürst von Hardenberg jetzt der Patronats- und Gerichtsherr und konnte hier seine Reformen durchführen, soweit sie auf die Landbevölkerung anzuwenden waren. Die Bauabnahme erfolgte wahrscheinlich kurz vor seinem 72. Geburtstag, zu Pfingsten 1822. Er notiert, dass Schinkel angekommen sei und Neubart, der Maurermeister, von Schinkel Zeichnungen bekommen habe. Beide seien wieder abgefahren und Pückler, der an der Gestaltung des englischen Parks beteiligt war, sei eingetroffen. Aber der Besuch des Schwiegersohns galt wohl eher dem Jubilar. Weitere Gäste waren zur Feier aus Berlin gekommen.
Im Juli und August fährt er noch einige Mal von Berlin nach Neuhardenberg, trifft sich auch noch einmal am 13. und 14. Juli mit Schinkel und Pückler und vier Wochen später verlässt er Neuhardenberg für immer. Sollte es ein Symbol für sein Wirken sein, so wäre es bestimmt nicht dieses Schloss, sondern eine Kutsche. Er hat Europa unermüdlich bereist, es gibt Berechnungen darüber. Einen großen Teil seines Lebens verbrachte er arbeitend in einer Kutsche auf staubigen Straßen, allein oder in großer Kolonne.“
Bereits 1984 legte Jürgen Borchert beim Mitteldeutschen Verlag Halle - Leipzig mit seinem Buch „Die Papiere meiner Tante“ eine sehr persönliche Geschichtsbetrachtung vor: „Um Jahrhundert rum“ hat August Angerburg das ostpreußische Pferdeknechtleben satt und zieht mit seiner jungen Frau Amalie „ins Reich“. Sie wird schon bald die ostpreußische Witwentracht anziehen müssen, denn der Kaiser hat bei seinem Feldzug auf den breitschultrigen August nicht verzichten wollen.
Nun steht sie da mit ihren Fünfen. Die werden sich ihre Wege suchen, jeder nach seiner Art. Anna heiratet einen Tausendsassa und hält nicht viel vom Denken. Minna wählt die Diakonissentracht. Fritz geht zur Reichswehr und schießt sich eine Kugel in den Kopf. Karl versucht es mit den Braunen, avanciert schließlich zum Kriegsgefangenen und muss umdenken. Und Martha, versierte Gehilfin eines jüdischen Rechtsanwalts, sammelt die Zeugnisse von der Existenz der Familie in ihrem Schuhkarton. Fotos und Schulzeugnisse, Abschiedsbriefe und Zeitungsanzeigen, das Hiobstelegramm von 1915 und Großmutters abgewertetes Sparbuch. Aus diesen Lebensspuren rekonstruiert der Autor die Geschichte (s)einer Familie. Der Feuilletonist verleugnet sich nicht, er löst sein Jahrhundert ins Episodische auf und bietet auf diese Weise Geschichte aus dem Schuhkarton.
Aber fangen wir mit dem Anfang an, oder fast mit dem Anfang: „Die Auflösung des Haushaltes unserer Tante war eine wenig aufwendige Angelegenheit. Ein paar Stücke alten Porzellans, einige nostalgische Objekte, ein blaubemalter Schmalztopf, den Großmutter vor achtzig Jahren aus Ostpreußen mitgebracht hatte, ein bisschen Silber, drei Stapel Bücher, die ängstlich gehütete Bettwäsche, die uralten selbstgewebten Handtücher konnten mit einer Taxifuhre weggeschafft werden. Eine Nachbarin holte ein paar Möbel ab, eine Gartenleiter, vier Dutzend Weckgläser. Kleider und Wäsche wurden in die Lumpen gegeben, wer wohl sollte die Sachen der Neunundsiebzigjährigen noch tragen wollen, die sich in den letzten Jahren ohnehin kein neues Stück mehr gekauft hatte. Der Rest war Gerümpel: ein Waschgeschirr aus Steingut, ein Volksempfänger, der nicht mehr spielte, eine Lampenkrone mit Stoffschirmchen, ein Kleiderhaken, abgelebter Küchenkram.
Ein Wecker, der seit dreißig Jahren stillstand. Mein Bruder wog ihn in der Hand. „Den schenken wir Frau Schoepke!“, sagte er und warf ihn über den Zaun auf den Schutthaufen, wo er, durch den Aufprall aus seinem Jahrzehnteschlaf gerissen, ein letztes Mal grell zu klingeln begann und, leiser werdend, kläglich pingelnd verendete. Da erschraken wir doch. Zuletzt blieb ein Schuhkarton voller vergilbter Fotos und Papiere: Briefe, Urkunden, Ausweise, Zeitungsausschnitte. „Das nehme ich mit“, sagte ich. „Von mir aus“, sagte mein Bruder.“ Und der schreibende Bruder machte daraus eine großartige Geschichte, eine Geschichte wie gesagt aus dem Schuhkarton.
2013 brachte Uwe Berger in der EDITION digital seinen Roman „Suche nach mehr“ als E-Book heraus: Die Handlung entwickelt sich vor und nach 1945. Schauplätze sind Berlin, Dresden und Paris. Der Ingenieur John steht zwischen zwei Frauen, der mit ihm verheirateten lasziven Helene, die nazifreundlich ist, und der attraktiven Carola, die in seinem AEG-Betrieb als Sekretärin arbeitet und einer linken Gruppe angehört. John verbirgt sie vor der Gestapo. Carola kann nach Frankreich fliehen. John bleibt und hat Kontakt zu einem Mitglied der verschwörerischen Teegesellschaft.
Von Helene geschieden, versucht John nach dem Krieg in Ostberlin mit der aus der Résistance selbstsicher zurückgekehrten Carola zu leben. Er, den die lauernde Gewalttätigkeit Helenes abgestoßen hat, erträgt auch die intolerante Starrheit Carolas nicht. Er sucht nach mehr. Am Grabmal von Walther Rathenau erkennt er, wie sehr er mit den Verhältnissen in Ostberlin kollidiert, wie einsam er ist, und erliegt bald darauf einem Herzversagen. Doch auch Carola hat ihre Schwierigkeiten und versöhnt sich nach dem Tod von John mit Helene. Das Leben lehrt sie, über sich selbst zu entscheiden.
Und so lernen wir zu Beginn des Romans John kennen - kurz bevor das Telefon klingelt: „Er fürchtete nicht so sehr den Alltag des Krieges, der ihn jeden Tag an die Front holen konnte, der sich jetzt auch im Osten maßlos ausbreitete und mit nächtlichen Fliegerangriffen nach Berlin langte - ein wenig freilich fürchtete er das alles schon. Doch mehr beherrschte ihn eine namenlose Angst vor dem Ungewissen, vor dem Morgen, vor dem Menschen nebenan. Dabei war er kein Feigling; einer unausweichlichen Gefahr vermochte er gelassen ins Auge zu sehen. Vielleicht lag es an Helene. Vor Kurzem hatte es eine jener Auseinandersetzungen gegeben, die ihn mit Schauder erfüllten. Sie schlug ihm die Brille vom Gesicht. Als er die vor Wut Schäumende an den Armen packte und sie sich mit festem Griff vom Leibe hielt, biss sie ihn in die Hand. Sie stieß Worte des hemmungslosen Hasses hervor. Umbringen sollte man dich! Konnte er sie noch lieben? John stieg die kahle, steinerne, von einem Eisengeländer begleitete Treppe hinauf. Er öffnete eine grau gestrichene Stahltür mit dem Schildchen ING. BREHMER. Der Raum, den er betrat, war fast so nüchtern und hässlich wie die Treppe. Spärliches Licht fiel auf einen zerkratzten Schreibtisch, einen hölzernen Stuhl, einen Schrank mit Schubfächern und einem verschließbaren Rollladen. Eine zweite Tür, die mit einer Glasscheibe versehen war, führte in die Montagehalle. Dort waren Elektromotoren aufgereiht, über die sich Männer in blauer Arbeitskleidung beugten. John nahm Pläne und Zeichnungen aus dem Schrank, warf einen Blick darauf und schickte sich dann zu einem Rundgang an.
Das Telefon klingelte. Der wissenschaftliche Direktor ließ bitten. John ging hinüber in das benachbarte Gebäude. Im Vorzimmer des Chefs saß Fräulein Rathmann, die Sekretärin, eine schlanke Person mit dunklen Augen. „Worum geht's?“, erkundigte er sich, „Fragen Sie ihn selbst.“ „Ich frag aber Sie, Carola.“ „Es geht um Sie und was man Ihnen zutrauen kann.“ „Ein neuer Auftrag?“ „Ich muss Sie jetzt anmelden.“ Carola stand auf. „Warten Sie noch einen Augenblick ...“ Sie kam hinter ihrem Tisch hervor, wandte den Kopf zu ihm hin und sah ihn an. „Meinen Sie“, fuhr John fort, „dass die AEG wieder Leute einsparen will und dass ich die Uk-Stellung von dem einen oder anderen aufheben soll? Würden Sie das verantworten wollen?“ „Ich glaube kaum. Aber Sie müssen entscheiden.“ „Danke.“ Warum stelle ich der jungen Frau solche Fragen, dachte John. Sie ist scheu und zurückhaltend. Zwingt man sie aber zur Antwort, hat sie eine unerwartete Sicherheit.
Carola öffnete die Tür zum Zimmer des Chefs. Mit einem Lächeln in den Mundwinkeln ging John an ihr vorüber. Hinter einem großen, dunkelgebeizten Schreibtisch saß Potter, der Mann, der hier in allen wichtigen Fragen das letzte Wort hatte. Er verstand es jedoch, nicht nur zu befehlen, sondern auch anzuregen und den Erfolg zu organisieren. Seine grauen Haare waren kurz geschoren. Prüfend sah er durch die Brille auf den Eintretenden. „Herr Brehmer, ich hab Sie hergebeten, um mit Ihnen was Neues zu besprechen. Der Auftrag kommt von ganz oben.“ Während des anschließenden Gesprächs ging Potter gleich ins Detail. Er konnte in wenigen Sätzen Wesentliches sagen. John blickte auf das Parteiabzeichen am Jackett seines Gegenübers und dachte: Bist Nazi, aber wohl kein verbohrter, hängst dein Mäntelchen nach dem Wind, um deinen Posten zwischen Aufsichtsrat und Praxis zu behalten. Ich brauch so was nicht, kann mir selbst treu bleiben. Ingenieur bin ich und nichts weiter. Die besten Ingenieure sind die, die nichts weiter sein wollen; und die finden immer ihr Auskommen ... „Also“, fasste Potter zusammen, „wir haben es mit hochgespanntem Gleichstrom zu tun. Dafür müssen wir entsprechende Schalter konstruieren. Ihre Aufgabe.“
Aus heutiger Sicht liegt gar nicht so viel Zeit zwischen 1945 und 1962, lediglich 17 Jahre. 1962 veröffentlichte Brigitte Birnbaum erstmals im Kinderbuchverlag Berlin ihr Buch „Bert, der Einzelgänger“: Der vaterlos aufwachsende Bert verliert durch eine tückische Krankheit auch seine Mutter und soll nun zur Großmutter, die er noch nie gesehen hat. Die alte, vom Leben gebeutelte Frau will den Jungen nicht. Erst als sie erfährt, wer ihn dann bei sich aufnehmen würde, sagt sie zu. Die beiden haben es schwer miteinander, verstehen sich nicht. Das Dorf ist Bert fremd, seine bisherigen Freunde leben in der Stadt und in der neuen Schule gibt es nur Schwierigkeiten. Warum und wie sich das Blatt für den einsamen Jungen wendet, erzählt das Buch.
Lesen wir einmal kurz hinein in das Buch, als Bert Schlimmes passiert: „Im Schlafzimmer sah die Nachbarin, dass Frau Hörber in hohem Fieber fantasierte. Sie sprach die Kranke an, doch sie stöhnte nur. Bert stand zähneklappernd am Bett seiner Mutter. Das Schlafzimmer war ungeheizt. In diesen Minuten hatte Bert furchtbare Angst. „Marsch! Kriech in die Federn, sonst erkältest du dich auch noch!“, befahl ihm die Nachbarin und deckte ihn gut zu. „Ich glaube, es ist das Beste, wenn ich nach einem Arzt telefoniere. Ich komme gleich zurück.“ Sie strich Bert übers Haar und eilte hinaus.
Bert hockte mit angezogenen Beinen im Bett und umklammerte krampfhaft mit den Armen seine Knie. Er starrte zu seiner Mutter hinüber. Jeder Atemzug schien ihr Qual zu bereiten. Der Mond guckte noch immer durch den Spalt ins Zimmer. Bert sah ihn nicht mehr. Er sah nur hinüber in das andere Bett und lauschte auf Schritte im Treppenhaus, aber es blieb alles still. Auf der Straße hörte er ein Auto. Es fuhr vorüber.
Spät kam die Nachbarin mit dem Arzt. Bert kannte ihn. Er hatte ihm im vergangenen Sommer das arg aufgeschlagene Knie wieder zusammengeflickt. Die Nachbarin legte Bert Muttis Bademantel über, half ihm in seine Hausschuhe und brachte ihn ins Wohnzimmer. Im Schlafzimmer untersuchte der Arzt Mutti. Als er wieder herauskam, reichte er der Nachbarin einen weißen Zettel. „Die Überweisung in das Krankenhaus. Eine Lungenentzündung, damit ist nicht zu spaßen“, sagte er und wandte sich dann an den Jungen: „Na, was macht dein Knie?“ „Ist heil!“, stieß Bert hervor und dachte, wenn er das noch weiß, hat er auch nicht vergessen, wie ich dabei geheult habe. „Siehst du, und deine Mutti machen wir ebenfalls wieder gesund!“ Die Nachbarin aber fragte er leiser: „Kann das Krankenhaus sich an Sie wenden, falls es ernst wird?“ Die Nachbarin erblasste und nickte nur. Lauter sagte er dann: „Und der Junge? Wer kümmert sich um ihn?“ „Er bleibt bei uns, Herr Doktor!“, antwortete die Frau, „das ist doch selbstverständlich.“ „Nun gut.“ Der Arzt gab der Nachbarin die Hand. „Ich schicke sofort das Krankenauto.“
Nur wenige Zeit verstrich. Unten stoppte ein Krankenwagen seine schnelle Fahrt. Zwei Männer in weißen Kitteln kamen herauf, legten Frau Hörber auf eine Tragbahre, wickelten sie in warme Decken und trugen sie hinunter. Bis auf die Treppe lief ihnen Bert nach. Als die Haustür ins Schloss fiel und Bert das Auto anfahren hörte, lehnte er den Kopf gegen das Treppengeländer. Er schluchzte.“
Aber wie wir schon erfahren haben, wird sich das Blatt für Bert wenden. Wie gesagt, lassen Sie sich berühren. Von diesem wie von allen anderen Deals der Woche.