Manche von ihnen kann man mit Vergnügen und mit einem Lächeln genießen, manche zwingen den Leser wegen ihres Spannungsgehaltes zum Weiterlesen (und er erfährt zugleich noch viel Wissenswertes aus der Weltgeschichte), manches zwingt zum Innehalten und zum Nachdenken über das Leben und über den Sinn des Lebens und darüber, wie es geschehen konnte, was Menschen anderen Menschen antun konnten – und vielleicht heute noch antun. Was ist eigentlich normal? Und was ist verrückt? Aber lesen Sie selbst. Das aktuelle Angebot reicht von wundersam und spannend bis berührend und beklemmend.
„Wundersame Geschichten“ erzählt Heinz-Jürgen Zierke in seinem erstmals 1998 im Hinstorff Verlag Rostock erschienenen Buch „Spuk auf Spyker“: „Schritte, tapp tapp, tapp tapp. Nicht laut, aber deutlich vernehmbar, vierfüßig, wenn er sich nicht täuschte, und ganz in der Nähe, vielleicht hinter der Bohlenwand. Ein unverständliches Wispern begann, mal dumpf, mal glucksend, dann stöhnend, als würgte der Teufel seine Großmutter, und löste sich in einem verhaltenen Schrei!“
Unheimlich, gespenstisch, Schauder erregend, aber nicht ohne Humor und Ironie geht es zu in diesen wundersamen Geschichten. Pommern und die Uckermark haben da allerhand zu bieten: Ein Teufel macht in der Gestalt eines hübschen Mädchens dem starken Geschlecht ganz schön zu schaffen, Ferdinand lässt sich von einem Männchen mit einem großen Hut helfen, eine Frau ohne Kopf erscheint und ein uralter, steingrauer Wels, dem Merkwürdiges widerfährt, taucht auf. Aber nicht nur in der Vergangenheit spukt es, auch die Gegenwart ist nicht frei von makabren Ereignissen, lässt uns Heinz-Jürgen Zierke wissen. Eine Äbtissin macht einem Dienstreisenden Angst, auf Schloß Spyker stören dunkle Gestalten eine Schulung, und schließlich geht es um viel Geld, einen Besenbinder und - um Spucke in einer Spuk- und Spuckgeschichte an einem nicht näher bezeichneten Ort. Manche Stadt und manches Dorf allerdings finden deutliche Erwähnung. Und so kann der geneigte Leser überprüfen, ob dergleichen Un-Heimlichkeiten auch heute noch stattfinden in: Stralsund, Tribsees, Voigdehagen, Rom, Lübz, Parchim, Abtshagen, Gornow, Wildenbruch, Jamund, Torgelow, Saal, Damgarten, Putgarten, Sagard, Arkona, Jatznick, Kölzow, Stolzenburg, Pasewalk, Greifenberg, Prenzlau, Woldegk, Neubrandenburg, Fürstenwerder, Ueckermünde und auf Schloß Spyker. Hören wir zum Einstieg hinein in die Geschichte, in welcher der Teufel selbst als Mädchen auftritt und sich der Besitzer eines Gütchens ein bisschen anders verhält als man denkt. Und diese Geschichte beginnt so:
„Nicht weit von Stralsund, in südliche Richtung geschaut, lag ein Gütchen, das nicht eben sehr groß war, aber seinem Besitzer ein sorgenfreies Leben gestattete, wenn auch kein solches, wie es in seinen Kreisen üblich war. Der Herr gab weder Bälle noch rauschende Feste; er trank auch nicht, spielte nicht und wettete nicht auf Pferde, ja, nicht einmal im Lotto. Dafür plagte ihn eine andere Leidenschaft, für die er freilich kaum Geld aufwendete: Er stieg den jungen Mädchen nach, die er mit feurigen Augen und sanften Worten leicht zu gewinnen wusste.
Wie gesagt, diese Leidenschaft kostete ihn wenig, da er sie nicht an Damen oder solche, die sich dafür ausgaben, verschwendete. Er suchte sein Vergnügen lieber bei prallen Bauerndirnen. Da er aber mit den Jahren die Mädchen seines Hofes und die des nahen Dörfchens nur allzu gut kannte, dachte er eines Tages daran, sich in der Umgebung umzuschauen. Mädchen sind ja wie Unkraut, sie wachsen immer wieder nach. Pflückt man eine Blüte, sprießt schon die nächste Knospe. Er befahl also seinem Leibknecht Franik, das Coupé im Schatten der uralten Eiche bereitzustellen.
Franik - ein seltsamer Name für unsere Gegend. Der Herr hatte ihn aus der Kaschubei mitgebracht, wie er sagte. Er war einige Zeit in der fernen Stadt Bütow in Garnison gewesen, bevor er seines angegriffenen Herzens wegen den Abschied nehmen durfte. Franik - seinen Burschen, der ihn unermüdlich mit geübtem Blick auf die Schönheiten der Landschaft aufmerksam gemacht hatte, löste er beim Regiment aus und behielt ihn als Knecht. Franik bürstete die Polster der Kutsche, denn sein Herr bekam vom Staub leicht das Niesen, spannte an und fuhr vor. Der Junker stieg ein und prahlte: „Das erste Weib, das uns über den Weg läuft, ziehe ich mir in den Wagen.“ Sprach’s, lehnte sich genüsslich zurück und nickte ein.
Sie waren kaum eine Viertelstunde gefahren, als ihnen eine Frau entgegenkam. Die Jüngste war sie wohl nicht mehr. Herbe Falten kerbten das Gesicht, und ein grünes Kopftuch versteckte die grauen Fäden in dem aschblonden Haar. Sie zog am Strick eine braunbunte Ziege hinter sich her, mit der sie zum Bock wollte. Franik weckte den Schlafenden: „Herr, die erste Frau.“ Der Angesprochene schreckte hoch, rieb sich die Augen, sah die Alte, schlug beide Hände vors Gesicht und schrie: „Pfui, die alte Hexe! Gib den Pferden die Peitsche, Franik!“ „Frau ist Frau, Herr.“ „Für dich vielleicht. Hast selber keine Zähne und magst am Gepökelten lutschen. Ich aber will Frischfleisch, Frischfleisch.“ Wieder lehnte er sich zurück. Sein Wunsch erfüllte sich. Ein junges Weib mit flatternden Haaren, geröteten runden Augen und prallen Lippen kam den Weg entlang. Ihr Atem ging schwer; sie hatte eine gehörige Last zu schleppen, die ihres eigenen Körpers. „Herr, eine Frau! Frischfleisch, Frischfleisch, und gleich die doppelte Portion. Da lohnt sich das Kauen.“ Wieder schreckte der Junker hoch, steckte den Kopf aus dem Fenster und zog ihn gleich wieder ein. „Keine Frau. Ein Mehlsack, Franik, ein Mehlsack. Lass die Zossen laufen!“ „Frau ist Frau“, gab Franik zurück und knallte mit der Peitsche. „Wenn ich mir die in die Kutsche ziehe, bricht mir das Achsholz.“ Sie zuckelten weiter über den ausgefahrenen Landweg. Die geteerten Achsen ächzten; die rindslederne Federung hielt den Kutschkasten mühsam im Gleichgewicht. Vom nahen Kiefernwald wehte ein strenger Harzgeruch herüber.
Da trat hinter einem Gebüsch aus wuchernden Rotdornsträuchern, das die Biegung des Weges verdeckte, ein wunderhübsches Mädchen hervor, rank und schlank wie eine Erle, biegsam wie eine Haselrute, die Augen leuchteten wie glimmende Kienspäne, die Haut war glatt wie Buchenrinde. Diesmal brauchte Franik seinen Herrn nicht zu wecken. Der riss beim Anblick des Mädchens die Augen weit auf, das Wasser lief ihm im Munde zusammen; er schnalzte mit der Zunge und leckte sich die Lippen. „Halt an, Franik! Die ziehe ich mir auf den Schoß und fahre mit ihr in die Jagdhütte.“ Er öffnete den Schlag weit.
Franik, dieser nüchterne Kerl, verspürte ein brenzliches Kitzeln in den Nüstern. Er konnte gerade noch rufen: „Dat Gesicht is söt, awer de Föt, de Föt!“, da setzte die hübsche Fremde auch schon den Fuß auf das Trittbrett, wobei sie den Rock etwas anheben musste. So sah auch der Herr den gespalteten Huf. Hastig schloss er den Schlag und klemmte dem Teufel den linken Mittelfinger ein. „Zum Teufel mit dem Teufel!“, rief er schreckensbleich. „Fahr zu, Franik, fahr zu! Wende auf dem Rübenacker und dann nach Hause, an der Voigdehagenschen Kirche vorbei! Ich hab genug von dem Weibsvolk!“´
Aber ob ihm das wirklich geholfen hat, das erfahren wir erst beim Weiterlesen dieser ebenso wundersamen wie hübschen Geschichte.
Ganz ohne Teufel geht es in dem erstmals 1982 im Kinderbuchverlag Berlin veröffentlichten Buch „Früh und spät“ von Jutta Schlott zu. Allerhand Schwierigkeiten gibt es allerdings auch hier: Nach dem Umzug in die Neubauwohnung in einer anderen Stadt können sich die drei Söhne, vor allem der 10-jährige Olaf, nicht daran gewöhnen, dass Vater und Mutter jetzt in zeitlich unterschiedlicher Schichtarbeit tätig sind. Olaf und Sven haben häusliche Pflichten zu erfüllen, die sie jedoch oft vernachlässigen. Voll Wehmut denkt Olaf manchmal an die Heimatstadt zurück, wo er die Oma besuchen konnte und einen Freund hat. Mit schlechten Zensuren in der Schule und Zigarettendiebstahl in der Kaufhalle bereitet er besonders seiner Mutter, die gerade ihren Meister macht und stark belastet ist, zusätzliche Probleme. Das auch im Rückblick sehr interessante Buch beginnt an einem Donnerstag und mit einem Versäumnis:
„Es war März, Mitte März, aber der Winter war zurückgekommen. Zwei Tage lang fielen dicke, feuchte Flocken; jetzt lag der Schnee in grauen Häufchen schmuddelig und pappig an den Straßenrändern. Auf den Fahrbahnen und Wegen war er, kaum hingeweht, gleich zertaut oder zertreten worden. Es nieselte, und der Junge stellte sich in den ersten Eingang des Häuserblocks oberhalb der Böschung. Es war halb fünf oder kurz danach, er hätte es gewusst, ohne zur Säule mit der Digitaluhr zu sehen, denn die Möwen und Krähen hatten schon in großen Schwärmen krächzend und kreischend den allabendlichen Flug zu ihren Schlafplätzen begonnen. Stets flogen sie zur gleichen Zeit in die gleiche Richtung. Man hätte Uhr und Kompass nach ihnen stellen können. Der Junge hatte noch nie so viele Möwen gesehen wie in dieser Stadt. In Borna gab es überhaupt keine.
Zu den Füßen des Jungen, an der Haltestelle, kamen in schnellem Wechsel aus beiden Richtungen die Straßenbahnen an. Die meisten Leute liefen, ohne nach links und rechts zu sehen, die gewohnten Wege. An diesem diesigen, nebligen Spätnachmittag schienen sie alle in Grau gekleidet. Manchmal leuchtete das Tuch einer Frau oder der Anorak eines Kindes farbig auf. Der Junge hatte keine Sorge, die Mutter nicht zu erkennen. Sie trug Schal und Käppi in einem kräftigen Orange, aber sicherer noch erkannte er ihren Gang. Die Mutter ging aufrecht, in schnellen, schwingenden Schritten. Meist hielt sie den Kopf erhoben, ihr Haar fiel wellig bis weit über die Schultern. Wenn die Mutter lief, sah es nicht aus, als überbrücke sie die Entfernung von einem Ort zum andern, sondern als sei das Gehen selbst ein Vergnügen. Er beschloss, noch zehn Bahnen abzuwarten, wenn sie dann nicht dabei war, würde sie vor dem Abend nicht kommen, und es hatte keinen Sinn, dort weiterzustehen. Die Abstände zwischen der Ankunft der Straßenbahnen wurden länger. Der Junge stampfte kräftig mit den Füßen auf, um sich die Beine zu wärmen. Die achte. Die neunte. Die zehnte. Eine noch, dachte er. Auch mit der elften kam die Mutter nicht. Er stülpte sich die Kapuze über und ging langsam um den Block herum, auf die Kaufhalle zu, deren blaue Leuchtschrift schon eingeschaltet war. Vielleicht traf er die Lehrlinge, um diese Zeit kamen sie oft. Den ganzen Weg zurück rannte er im Laufschritt, stürzte die Treppen hoch, immer zwei, drei Stufen auf einmal. Er versuchte gleichmäßig zu atmen und drückte zaghaft auf den Klingelknopf.
Die Tür wurde von innen aufgerissen. Die Mutter stand vor ihm, sie war wütend, das sah er gleich. Sie hatte ein Geschirrtuch über die Schulter geworfen. „’n Abend“, versuchte er zu grüßen. „Weißt du, wie spät es ist?“, herrschte die Mutter ihn an. Er sah auf ihre Hausschuhe und antwortete nicht. „Olaf, ich habe dich etwas gefragt!“ Die Stimme der Mutter wurde energischer. „Sieben“, quetschte er heraus. „Es ist jetzt genau zehn Minuten nach sieben! Und wann solltest du zu Hause sein?“ „Um vier.“ Die Mutter, die ihn, nach vorn gebeugt, angesehen hatte, richtete sich auf. „Na fein, dass du dich erinnerst“, sagte sie spöttisch. „Und was solltest du dann?“ Olaf ließ den Kopf noch tiefer sinken. Er spürte unterm Kinn den Reißverschluss vom Anorak. Warum quälte sie ihn mit solchen Fragen. Sie wusste doch alles. „Ich sollte Guschi abholen“, antwortete er leise.
Die Mutter stieß mit dem Fuß die Tür zum Wohnzimmer zu, in dem das Radio spielte. „Ihr sollt nicht immer Guschi zu ihm sagen!“ Als hätte er darauf gewartet, öffnete Gustav vorsichtig die Kinderzimmertür und steckte seinen Kopf heraus. „Mami ...“, fing er an. „Du bleibst da!“ Die Mutter drehte ihn mit einer Hand an der Schulter um und schob den Kleinen zurück. „Du erklärst mir jetzt, warum du Guschi - äh, Gustav - nicht abgeholt hast“, sagte sie ein bisschen weniger streng. „Vergessen“, murmelte Olaf. „Vergessen! Vergessen!“ Die Mutter wurde wieder wütend. „Was würdest du sagen, wenn ich mal ,vergesse‘, nach Hause zu kommen! Oder ich ,vergesse‘ mal, euch zu essen zu machen ...“ Der Türgong läutete in den letzten Satz der Mutter. Sie ging zur Tür. Es war Sven.“
Auch von einer Kindheit, allerdings zu anderen Zeiten, ist anfangs in dem Buch „Gerda, das Nuschtchen. Drei Erzählungen zwischen Königsberg und Tangermünde“ von Elisabeth Schulz-Semrau die Rede, das erstmals 2007 gedruckt erschienen war. Und darin kommen merkwürdigerweise auch Straßenbahnen vor, auch wenn sie vielleicht nicht so oft fahren wie in dem Buch zuvor: Die todkranke Mutter der dreizehnjährigen Gerda bittet die Gnädige, bei der sie zusätzlich zu ihrer Arbeit an der Wäscherolle beim Hausputz hilft, sich um ihre Tochter zu kümmern. Als die Frau drei Tage später stirbt, wird die (fast) fensterlose Speisekammer als Schlafraum für das Mädchen hergerichtet, das ein Jahr später die Schule verlässt und die entlassene Dienstmagd ersetzt. Gerda hält auch auf der Flucht aus Königsberg ihren Herrschaften die Treue und trägt in der schweren Nachkriegszeit mit ihrer Hände Arbeit in der neuen Heimat Tangermünde ganz wesentlich zur Ernährung bei. Ganz allmählich und sehr zaghaft entwickelt sich bei Gerda etwas Selbstbewusstsein, die nun die Frau nicht mehr Gnädige nennt. Und so fängt das Buch an:
„Karalautschi
Das lang gestreckte Zimmer der Großmutter war so etwas wie die Erdachse meiner ersten Jahre. Hier verbrachte ich die wenigen heilen Stunden meiner Kindheit. In meinem Elternhaus in Karalautschi, Tragheimer Kirchenstraße siebzehn, waren meine Tage von Ängsten durchwoben. Angst vor dem alten strengen Mann, meinem Vater, vor den plötzlichen Launen meiner schönen, umschwärmten Mutter, Angst vor der Schule, vor dem Alleinsein, vor dem Zusammensein. Angst war irgendwie das Vorzeichen all meiner Handlungen.
Dagegen hatte ich ein seltsames Abkommen mit Gott geschlossen. Auf meinem Schulweg, der natürlich immer mit irgendetwas, das ich vergessen, nicht ordentlich oder gar nicht erledigt hatte, beschwert war, kam ich an der Konditorei Kaiser vorbei. Ich verweilte kurz vor den gefüllten Schaufenstern und begann mit meinem Ablasshandel. Also, lieber Gott, heute bekommst du zehn Stück Bienenstich, zehn Sahnerollen, fünfzehn Streuselschnecken, zehn Marzipanschnittchen, zwanzig Windbeutel, fünfzig Baiser mit Schlagsahne (das aß ich selbst am liebsten), davon ... und davon ...
Danach folgten Bestellungen aus dem Milchladen und aus der Fleischerei. Manchmal reicherte ich die Lebensmittelladung rasch noch ein wenig an, es konnte ja sein, der Gott war nicht zufrieden, würde mir also auch nicht genügend zur Seite stehen, wenn mich das Leben am Wickel hatte. Er musste wohl nach meiner Vorstellung unheimlich essen können, dieser Gott, schließlich war er allmächtig. Und darum reichte es auch völlig, ihm all die Dinge nur zu wünschen. Wie sie ohne Komplikationen und ohne Lebensmittelkarten aus den Geschäften zu ihm gelangten, war mein Problem schon nicht mehr.
Die Geborgenheit im Zimmer meiner Großmutter, aber auch das begriff ich zu spät fast, kam vor allem von der Persönlichkeit meiner Tante Ella her. Bei Tante Ella gab es das beste Essen der Welt. Hühnerfleisch oder dünne Brotscheiben, deren Rinden abgeschnitten waren, mit duftender Butter und köstlicher Wurst. Ihre vier jüngeren Brüder, Landwirte alle, kamen aus dem Masurischen nie nach Karalautschi, ohne bei Tante Ella Station zu machen. Was Essen betraf, war ich von meinen Eltern nicht verwöhnt. Und natürlich versuchte meine Mutter auch hier ihren berühmten Blick, der, wenn Leute fragten, möchtest du noch etwas, mich sofort antworten ließ: Danke, ich bin satt. Denn es gehörte sich nicht, mehr als ein Häppchen von einer Speise zu sich zu nehmen. Lass bloß das Kind essen, sagte meine Großmutter drohend, das e zum ä hin, also äßen.
Würdig, in schwarze Kleider mit Puffärmeln, Spitzenjabots oder Samteinsätzen kleidete Tante Ella ihre Mutter. Nie sah ich ein helles Kleidungsstück an ihr. Einmal hängte man ihr ein goldenes Kreuz um den Hals, und es nahm sich wie eine schwere Last an dem dünnen Frauchen aus. Aber vielleicht kam der Eindruck vielmehr von dem Mann, der dieses Mutterkreuz überbrachte. Er steckte prall in einer goldfarbenen Uniform und strahlte gegenüber der Verletzlichkeit der Greisin eine erdrückend gewalttätige Gesundheit oder Männlichkeit aus, die das ganze Zimmer einzunehmen schien. Tante Ella riss, sofort nachdem er weg war, die Fenster weit auf, und der Orden wurde ins Kästchen zurückgelegt, blieb allerdings an diesem Tag für alle sichtbar auf der Nähmaschine liegen.
Überhaupt die Nähmaschine. Man konnte sie einklappen. Versenkbar, sagte Tante Ella, eine Singer. Für mich ein wichtiges Möbel in Großmutters Zimmer. Für meine Tante sollte sie ungleich wichtiger werden. Sie würde damit für sich und zwei andere kranke Menschen in schwerster Zeit Leben ernähren. Meist, wenn ich zu Besuch kam, war auf der Nähmaschine eine Überraschung für mich aufgebaut. Zum Geburtstag aber fand ich in jedem Jahr, neben meinen neu eingekleideten Puppen und selbst gebackenem Kuchen, etwas, wozu meine Mutter selten Zeit verschwendete, mein Allerschönstes: Gezuckerte Erdbeeren, frisch gepflückt, aus Tante Ellas Garten.
Und - Heiligabend, nach dem Mittagessen. Schwarzsauer hatte es gegeben; meine Mutter musste wie üblich tadeln, ich äße mit langen Zähnen. Ich kämpfte wirklich mit den schwärzlich geronnenen Blutflocken um den grauen, runzligen Gänseflügel, der mir zugeteilt worden war. Die Tatsache dieses Tages ließ es mich schaffen. Sie bekämen es fertig, mich sogar heute vor der grässlichen Suppe bis zum Abend sitzen zu lassen.
So stand unserm Aufbruch nichts mehr im Wege. Edith, Martha, Gerda oder wen wir gerade hatten, durften an diesem Tag Angehörige besuchen, wir, die Eltern und ich, gingen zur Großmutter. Und da die Zeit durch meine Sampelei, wie meine Mutter feststellte, ziemlich vorgerückt war, wurde zu meiner Erleichterung beschlossen, wenigstens eine Tour zu fahren. Wir gingen auf unserer Straßenseite an den vier Häusern bis zur Tragheimer Kirche entlang, überquerten die Fahrbahn zur Hohenzollernstraße hin, gingen den sanft gebogenen Straßenschlauch hoch bis zum Steindamm, bogen rechter Hand um die Ecke, um dort auf eine der beiden möglichen Straßenbahnen zu warten.“
Wir wechseln noch einmal Zeit und Ort – und zwar gründlich. Erstmals 1969 brachte Wolfgang Schreyer beim Verlag Das Neue Berlin seinen Abenteuerroman „Der gelbe Hai“ heraus: Miami, November 1963. Nach dem Mord an Präsident Kennedy gerät ein cubanischer Funker aus dem Kreis der Verdächtigen in die Hand eines mächtigen Apparates und kann nicht mehr zurück. Tausend Meilen südostwärts von Florida sinkt er am Fallschirm auf ein fremdes Land herab und muss sich nun als Mensch und Kämpfer bewähren. Inmitten öder Berge, auf windgepeitschten Hochebenen, in zerklüfteten Tälern und Höhlen, vor einem einsamen Berghotel begegnet er aufrechten und listigen Männern, erfahrenen und romantischen Guerilleros, Revolutionären und einem schweigsamen Mädchen, das dem geliebten Mann gefolgt ist. Und immer umgibt ihn und seine Zufallsgefährten ein erbarmungsloser Feind - mit dem er täglich spricht. Seine Funksprüche beginnen: „Gelber Hai ruft...“
Dies ist die tragische Geschichte eines Aufstandes in der Dominikanischen Republik - ein Roman, auf Tatsachen gegründet, der ein Höchstmaß an Ehrlichkeit und Realistik bietet. Schreyers Thema sind revolutionäre Führungsfragen. Die Zerrissenheit der Rebellen steht für das buntscheckige Gefüge der oppositionellen Bewegung in Lateinamerika. Schreyer zeigt ihren schwierigen, manchmal verzweifelten Kampf. In diesem abenteuerlichen Roman - seinem dritten aus dem karibischen Raum nach PRELUDIO 11 und DER GRÜNE PAPST - gibt er dem Helden selbst das Wort. Durch ihn erleben wir alle inneren und äußeren Nöte der Guerilleros, die quälende Auseinandersetzung um den besten Weg und die befreiende Tat. Darin liegt ein wesentlicher Reiz der Geschichte. Sie lässt den Leser nicht los und ist bei härtester Spannung doch stets von Menschlichkeit durchdrungen.
Gleich von der ersten Zeile an sind die Leser mitten im Geschehen. Und der Autor erweist sich wieder einmal als Meister spannenden Schreibens:
„ERSTES KAPITEL
1
Abends kam Sprühregen auf, die beleuchteten Palmen vor dem Hotel „Commodore“ tropften im Wind. Irgendwo auf dem Weg durch die Stadt hatte sich ein Schatten an mich gehängt. Ich spürte ihn zum ersten Mal beim Überqueren der Patton Avenue, fünfzig Schritte vor meinem Stammlokal. Nicht, dass ich ihn gesehen hätte; die City war viel zu belebt. Wer immer es sein mochte, er schwamm im großen Strom hinter mir her. Als ich die Stufen zum „El Chico“ hinabstieg, glaubte ich es wieder zu fühlen... Aber warum? Ich tat ja nichts, hatte nichts in Aussicht – seit einem Dreivierteljahr lungerte ich in Miami herum. Sie hatten uns auf Eis gelegt, das war mein Kummer, darüber wollte ich nachher mit Lopez sprechen. Also warum?
Ich grübelte noch vor der Theke, wo man für neunzig Cents ein Sandwich mit Schinken und Käse, Muschelsuppe und Kaffee bekommt, meistens auch ein Doughnut. Die Warteschlangen sind entsprechend lang. Der Raum war wie immer laut und voll – ein Treffpunkt meiner Landsleute. Anscheinend redete alles von dem Mord an Kennedy. Aus dem Attentat von Dallas wurde allmählich ein amerikanischer Alptraum. Eben sagte der Fernsehsprecher, Johnson habe durch Verfügung Nr. 11 130 sieben prominente Bürger unter dem Vorsitz des Obersten Richters Warren beauftragt, Hergang und Hintergrund des Anschlags zu klären. Ich nickte Bekannten zu und beobachtete die Schwingtür. Doch es erschien kein fremdes Gesicht.
Eine Zeitlang hörte ich auf, mir Sorgen zu machen, blieb aber auf der Hut. Die allgemeine Nervosität hatte mich angesteckt. Eine Woche nach dem Attentat zog der Fall noch immer neue Kreise. Ich begann zu fürchten, sie könnten auch uns hier erreichen. Bis zum Sonntagvormittag waren die meisten bereit gewesen, in Lee Oswald einen Verrückten zu sehen, dem es durch Zufall gelungen war, seine Wahnidee in die Tat umzusetzen. Doch als man im Fernsehen den untersetzten Mann ins Bild stürzen und schießen sah, als Oswald unter Jack Rubys Kugel zusammenbrach, da regten sich Zweifel. Seitdem schien es mehr und mehr, als habe der Präsidentenmörder nicht allein gehandelt, als sei er bloß das einzig sichtbare Glied einer Kette von Verschwörern. Widerspruchsvolle Gerüchte kamen auf: Hinter Oswald stünden lateinamerikanische Anarchisten oder texanische Ölmillionäre, cubanische Revolutionäre oder Antikommunisten, Fidel Castro oder Lyndon B. Johnson. Unser spanischsprachiges Emigrantenblatt war instinktlos genug, die Wahrsagerin Jeane Dixon zu zitieren: „Castro glaubte, Kennedy und Chruschtschow wollten ihn stürzen...“
Ich sah von der Suppe auf und merkte, dass der Teint des Nachrichtensprechers sich gründlich färbte, sein Mund lief blau an wie der einer Wasserleiche. Das lag nicht an den Lügen, die er verbreitete, sondern an Mängeln des Farbfernsehens. Der Kellner korrigierte die Einstellung, er tat das immer im Vorübergehen, die Wasserleiche blühte rosig auf und sagte: „... vermutet, dass John F. Kennedys Tod in New Orleans geplant worden sei, und zwar von Antikommunisten, rechtsradikalen Amerikanern und Cubanern als Antwort auf die fehlgeschlagene Invasion in der Schweinebucht und die spätere Weigerung des US-Präsidenten, ähnliche Aktionen zu genehmigen.“
Dieser Satz hätte mich nicht stören müssen, doch soviel war klar: er zog die amtliche Aufmerksamkeit auf uns. Wir standen geradezu im Rampenlicht, nicht jeder konnte das vertragen. Würde das FBI nun die cubanische Kolonie überprüfen, besonders diejenigen, die irgendwann einmal Waffen besessen und an Aktionen teilgenommen hatten? Der Personenkreis war nicht so groß, wie es auf den ersten Blick scheinen mochte. Neunzigtausend Emigranten lebten in Florida, sechstausend davon hatten der Invasionsarmee angehört, aber nur ein paar hundert waren an den Unternehmungen dieses Jahres beteiligt. Uns Burschen von den Kommandos würden sie sich ansehen wollen.
Ich schob den Teller weg – plötzlich schwitzte ich; nicht von der Suppe. Auf dem Tablett lag ein Zettel, eben war er noch nicht da gewesen, wer hatte ihn unter den Teller geschoben? Ich las einen einzigen Satz und fühlte einen Schock. Dringend an Tony: Erwarte Dich im Garten – Lopez. Die Mitteilung war ungewöhnlich nach Inhalt und Form. Ich wusste nicht einmal, ob es Lopez' Schrift war; er hatte mich niemals schriftlich benachrichtigt und auch nicht durch Vermittlung Dritter. Und weshalb wählte er für unseren Treff einen so auffälligen Ort? Er verkehrte kaum im „Garten“, ebenso wenig passte es zu mir. Er hatte mich heute bei sich erwartet, war sein Quartier nicht mehr sicher?“
Den heutigen Newsletter beschließt ein Buch, das sich einem der dunkelsten Kapitel der deutschen Medizingeschichte widmet - an einem konkreten Beispiel aus Schwerin. Aber es geht um weit mehr. 2003 veröffentlichte Helga Schubert im Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main „Die Welt da drinnen. Eine deutsche Nervenklinik und der Wahn vom ‚unwerten Leben‘“: Diesem Buch liegen die Akten von 179 Patienten der Schweriner Nervenklinik zugrunde, die 1941 als „lebensunwert“ ermordet wurden. Ihre Akten blieben auch nach dem Ende der Nazizeit unter Verschluss - im Ministerium für Staatssicherheit der DDR -, bis sie nach der Wende 1990 ins Berliner Bundesarchiv gelangten, wo Helga Schubert sie ausgewertet hat. Ihr Buch - keine historische Studie im engeren Sinn, sondern ein bewegendes und einzigartiges Stück Literatur - folgt minutiös den Schicksalen einzelner Opfer vor und nach ihrer Einlieferung in die Klinik, aber auch den Werdegängen der Ärzte - die sich dem Tötungsauftrag verschrieben oder sich ihm widersetzten. Zugleich sucht dieses Buch auch nach der Anbindung an eine Gegenwart, in der Debatten um Sterbehilfe, Hirntod und pränatale Gendiagnostik immer breiteren Raum einnehmen. Sein Ziel: Die offene Gesellschaft mit allen Mitteln - auch dem der belasteten Erinnerung - offen zu halten und das „Verrückte“ in und um uns als Teil unseres Lebens zu akzeptieren.
„Wie viel einzelne Schicksale getöteter Geisteskranker könntet ihr in einem Buch aushalten, habe ich ein paar Leute gefragt. Fünf, hat Katja geantwortet. Höchstens zehn, antwortete Hannes. Zwölf, sagte die Literaturredakteurin einer Zweiwochenzeitschrift, und dann möglichst in einem Rhythmus angeordnet mit den Geschichten der Täter. Ob ich so etwas lesen, mir so etwas antun werde, weiß ich noch nicht, war die Antwort einer Lehrerin.“
Hier ein Ausschnitt aus diesem bewegenden Buch:
„Perlkönigin und Nattergallen - Der Haken über dem u
Alwine, die Perlkönigin, erlitt am 24. Februar 1940 einen Ohnmachtsanfall. Bei einer Körpertemperatur von 38° fieberte sie. Der herbeigerufene diensthabende Psychiater vermutete eine Influenza. Er unterzeichnete diese Eintragung in ihrer Krankenakte aber nicht mit seinem Namen. Bis auf eine einzige Ausnahme in all den 178 anderen Krankenakten aus der Heil-und Pflegeanstalt auf dem Schweriner Sachsenberg, die ich gelesen hatte, tat das auch keiner seiner Kollegen. Aber ich erkannte diesen Arzt trotzdem wieder. Denn er machte als Einziger seine Eintragungen in lateinischen Buchstaben und setzte dabei einen Haken über das u. Da gehörte der Haken aber nicht hin. Denn der u-Haken gehört zur alten Sütterlinschrift. (Wir, in der ersten Schulklasse gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, sechs Jahre nach diesem Ohnmachtsanfall, erlernten noch ein paar Wochen lang diese Schrift.) Er wollte vielleicht modern sein und hing doch an dem früh Erlernten, dachte ich: So machte er auch einen Haken über dem u der Influenza. So konnte ich diesen Arzt mit dem überflüssigen u-Haken in den Krankenakten von seinen Kollegen unterscheiden, aber nur, wenn ein Wort mit u im Satz vorkam.
Ein zweiter Arzt dagegen unterschied sich deutlich von seinen anderen Kollegen, und ich freute mich schon, wenn ich seine Schrift beim Umblättern der Aktenseite entdeckte, denn er verfasste seine Bemerkungen in winzigen Sütterlin-Arabesken mit dünner Feder, wie in einer Geheimschrift. Nie machte er einen Klecks, und jedes Mal lohnte es sich, seine Grafiken genau zu entziffern: Es waren oft menschenfreundliche Entdeckungen in der fremden Welt seiner ihm anvertrauten verwirrten Patienten. Seine Girlandenzeilen taten mir gut, denn er versuchte, das ihm Unverständliche zu beschreiben und seine Patienten als Schwerkranke zu sehen. Nie las ich bei ihm von Unbrauchbaren, blöde Glotzenden oder Keifenden.
Ein dritter Arzt schrieb in unauffälliger Sütterlinschrift, in jede Akte nur ein paar Wörter, Jahr für Jahr, nur die notwendigsten Mitteilungen: Zerreißt. Schlägt. Ruhiger. Verlegt in Einzelzelle. Hyoscin (er gab bei diesem Medikament die genaue Dosis an). Er machte ebenfalls einen u-Haken, aber der gehörte ja auch zur Sütterlinschrift.
Ein vierter Arzt schrieb ähnlich wie der erste in lateinischen Buchstaben, machte aber keinen u-Haken. Er hatte sich als Einziger ganz auf die neue Schrift eingestellt. Auch als es um Leben und Tod ging, als man nämlich in der Berliner Euthanasie-Zentrale über die Meldebögen schon Bescheid bekommen hatte, dass ein bestimmter Patient nicht mehr arbeiten konnte oder eine Patientin apathisch im Bett lag, und die anderen Ärzte mit u-Haken, Girlanden und sachlichen Kurzwörtern noch etwas Gutes von den bald womöglich als lebensunwert Herausgesuchten berichteten, also von der Hilfsbereitschaft eines schizophrenen Patienten, von seinen militärischen Grüßen, seiner Freundlichkeit und Zuverlässigkeit, oder zumindest von seiner Insichgekehrtheit, dann schrieb dieser vierte Arzt ohne u-Haken: Zu nichts zu gebrauchen, unbrauchbar. Seine Schrift fand ich in roter Tinte neben Jahrzehnte alten Eintragungen früherer Ärzte. Deren damalige Aufzeichnungen konnten für die Entscheidung zur Tötung wichtig sein: Denn wenn schon die Mutter Selbstmord in der Anstalt verübt hatte, sah dann nicht die Depression der Tochter, die jetzt auf der Station lag, nach einer ererbten Geisteskrankheit aus? Erblich? schrieb darum dieser vierte Arzt in roter Tintenschrift in die Anamnese von vor 20 Jahren, die, verfasst in ordentlicher Sütterlinschrift, am Anfang der Akte eingeheftet war. Denn um das Erbliche und die familiäre Belastung und den gesunden Volkskörper ging es diesem Arzt wohl, ohne u-Haken bei den Wörtern „Belastung“ und „gesunden“.
Alwines Fieber stieg zwei Tage später auf 39,1°. Der Arzt mit dem u-Haken hatte mit der Diagnose einer Influenza Recht behalten. Nur mit der Jahreszahl in der Akte irrte er sich: Er trug seine Bemerkung noch unter dem Jahr 1939 ein. Vermutlich hatte er übersehen, dass seine Eintragung vom 24. Februar die erste über diese Patientin im Jahre 1940 war, dass also noch kein Arzt vor ihm etwas Mitteilenswertes an ihr gefunden hatte. Erst bei der nächsten Eintragung, der zweiten und letzten über sie in diesem Jahr, steht in einer ähnlichen Schrift die richtige Jahreszahl: 1940. „5.8.: Sehr verschroben, wird als Hoheit angeredet, brachte einen toten Vogel aus dem Garten, wollte ihn gebraten haben. Schwer beeinflussbar, leicht erregbar.“
Die u's in „aus“ und „beeinflussbar“ standen nackt, ohne u-Haken vor mir. Als ich in der Krankenakte Alwines las, dass sie einen toten Vogel aus dem Garten der Anstalt hereingebracht hatte und ihn gebraten haben wollte, fast genau ein Jahr vor ihrem eigenen Tod, war mir unheimlich: Es war ja schon August 1940, bald begann das zweite Kriegsjahr. War sie so hungrig? Hielt sie den Vogel für eine Delikatesse? War es ein archaisches Symbol? Das Herz eines Vogels essen statt das Herz eines Menschen? Vermutlich hatte sie den Vogel schon tot gefunden, denn wenn sie ihn erst getötet hätte, wäre darüber in der Akte berichtet worden.“
Es fällt nicht leicht, diesen letzten Text des aktuellen Newsletters zu lesen und darüber nachzudenken, was den Menschen damals geschehen ist, über die Helga Schubert in „Die Welt da drinnen“ schreibt – und wie viel diese mit der Welt draußen zu tun hatte. Wie die anderen vier Bücher auch lädt es jedoch dazu ein, sich dem darin Berichteten auszusetzen und sich je nach dessen Charakter damit auseinanderzusetzen – beklemmend und berührend, spannend und wundersam.